Koalitionsgedanken:Die gefährlichen Verkleidungskünste der AfD

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AfD-Spitzen mit Björn Höcke freuen sich über den Ausgang der Landtagswahl in Thüringen in der Bundespressekonferenz. (Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa)

Viele Parteimitglieder geben sich als Konservative, doch die AfD will das Land umstürzen. Wie geschichtsblind müssen Christdemokraten sein, die davon träumen, eine solche Partei von Rechtsaußen einhegen zu können?

Kommentar von Jens Schneider, Berlin

Die 17 Unterzeichner wird selbst in der Thüringer CDU niemand zur ersten Reihe der Landespolitik zählen. Es sind weitgehend Kommunalpolitiker aus der Provinz, dazu ein Landtagsabgeordneter. Politiker also, die Respekt und Gehör verdienen, denen man aber keinen gewaltigen Einfluss auf die Geschicke der CDU Deutschlands unterstellen kann. Deshalb könnte man fragen, was die Aufregung um ihren "Appell konservativer Unionsmitglieder in Thüringen" soll, der neutral harmlos mit dem ewig gültigen Bekenntnis überschrieben ist, dass eine Demokratie den Dialog brauche.

Doch die Gedanken in diesem Papier sind nicht harmlos. Und sie sind nicht unbedeutend, denn sie spiegeln eine Stimmung in Teilen der CDU wider, der sich nicht nur die Parteispitze entschieden entgegenstellen muss.

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Es geht um die Identität der Partei, und mehr noch, auch um den Schutz der liberalen, offenen Gesellschaft, für die seit der Gründung der Bundesrepublik gerade auch die CDU steht. Es geht darum zu verhindern, dass die AfD Einfluss auf die Regierungsgeschäfte bekommt, die auf Hasskampagnen und Ressentiments setzt - und diese offene Gesellschaft ablehnt.

Unkenntnis, politische Naivität und inhaltliche Nähe

Die Thüringer Kommunalpolitiker fordern, dass ihre Partei auch mit der AfD sprechen solle, um auszuloten, ob und wie in Thüringen eine stabile Regierung gebildet werden könne. Sie schließen eine Koalition mit Björn Höcke, dem Extremisten an der Spitze der Thüringer AfD, zwar aus. Sie schreiben aber, über andere Optionen solle gesprochen werden. Es könne doch nicht angehen, so ihre Mahnung, dass fast ein Viertel der Wählerstimmen bei diesen Gesprächen außen vor bleiben sollen, jene also, die Höckes AfD erlangt hat bei den Landtagswahlen.

Der Vorstoß entspricht einer Haltung, die gerade im Osten in der CDU häufiger zu finden ist. Es gibt dort in der zweiten und dritten Reihe eine Offenheit gegenüber der AfD, die auf Unkenntnis, politischer Naivität und manchmal auch inhaltlicher Nähe zu dieser Partei gründet. Diese Offenheit dürfte auch damit zu tun haben, dass einige Christdemokraten länger schon mit ihrer eigenen Partei und dem Modernisierungskurs der Kanzlerin fremdeln und ein Unbehagen über Kooperationen insbesondere mit den Grünen, aber auch der SPD empfinden. Da erscheint es ihnen kommod, es mal mit der AfD zu versuchen.

Die Gemäßigten ordnen sich unter

Zu gern lassen sie sich von dem Eindruck blenden, dass die meisten AfD-Politiker sich auf zivile Umgangsformen verstehen, wenn sie es wollen. Nur ist ein ziviler Auftritt nicht zwingend ein Zeichen für eine zivile, demokratische Haltung, im Gegenteil: Bei manchen AfD-Politikern wirkt der zivile Aufzug eher wie eine Camouflage, um bürgerliche Wähler zu gewinnen. Viele Auftritte in den Landtagen und im Bundestag, und aktuell die unerträglichen Tweets etwa des Rechtsausschussvorsitzenden Stephan Brandner, belegen es.

Dieser Partei fehlen Maß und Mitte. Gewiss, es gibt in ihren Reihen maßvollere Politiker. Aber sie ordnen sich unter, spielen mit. Denn sie sind eine Minderheit, hilflos unterlegen gegen Leute wie Höcke, Jörg Meuthen und Alexander Gauland. Die sind in ihrem Auftreten oft das Gegenteil von konservativ. Sie treten stets zivil auf, wenn es ihnen nutzt. Aber sie setzen auf Provokation und Regelverstöße, wenn es ihnen helfen könnte. Sie brauchen diese Provokationen, um Aufmerksamkeit und Erfolg bei ihren Anhängern zu erzielen.

Naiv und geschichtsblind

Konservativ? Die AfD sieht ihre politischen Konkurrenten nicht als Gegner, sondern als Feinde. Jeder kann das im Bundestag und in den anderen Parlamenten sehen. Auch reicht im Grunde ein kurzer Ausflug auf Webseiten der AfD, die von Hass und Respektlosigkeit gegen Minderheiten, aber auch gegen die Kanzlerin geprägt sind - jene Frau, die seit zwei Jahrzehnten das Gesicht der CDU ist.

Wie naiv muss ein Christdemokrat sein, der glaubt, mit dieser Partei könne man einen Dialog führen über eine vielleicht etwas andere Politik? Und wie geschichtsblind muss jemand sein, der davon träumt, eine solche Partei von Rechtsaußen einhegen zu können? In der AfD hat man ganz andere Vorstellung. Man will stark genug werden, um die CDU überflüssig zu machen. Und es soll nicht viel von dem übrig bleiben, was diese Partei aus diesem Land gemacht hat.

Nicht nur die 17 Christdemokraten aus Thüringen sagen aber, dass man doch die Wähler der AfD nicht ignorieren dürfe. Ihre Stimme müsse gehört werden - ganz so, als wolle jemand die Meinungsfreiheit dieser Bürger einschränken. Aber darum geht es hier nicht. Ein gängiges Missverständnis im rechten Lager: Man beklagt schnell fehlende Meinungsfreiheit, weil man sich mit seiner Meinung nicht durchsetzt. Die AfD wird in den Parlamenten gehört, sie hat dort als Opposition alle Rechte. Wie es sich gehört. Sie nutzt sie freilich sehr selten für inhaltliche Arbeit. Ihr geht es nicht ums Gestalten. Schon deshalb ist die Vorstellung so abwegig wie gefährlich, mit ihr über das Regieren zu reden.

© SZ vom 06.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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