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AfD im Bundestag:"Es geht darum, Angst zu erzeugen"

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Vor knapp einem Jahr ist die AfD in den Bundestag gewählt worden. Seitdem hat sich die Debattenkultur verändert, sagt Rhetorik-Experte Olaf Kramer.

Interview von Philipp Saul

Nach neun Wochen parlamentarischer Sommerpause nimmt der Deutsche Bundestag an diesem Montag in Berlin wieder seine Arbeit auf. Mit dabei ist neben fünf anderen Fraktionen auch die AfD. Nach der Wahl vor knapp einem Jahr erregte ihr Einzug in den Bundestag Sorge und Entsetzen. Wie wirkt sich die Anwesenheit der AfD auf die Debattenkultur aus? Ein Gespräch mit Olaf Kramer, dem geschäftsführenden Direktor am Seminar für allgemeine Rhetorik der Eberhard-Karls-Universität Tübingen.

SZ: Hat sich der Bundestag mit dem Einzug der AfD verändert?

Olaf Kramer: Die Debattenkultur hat sich auf jeden Fall verändert. Die Zahl der Zwischenrufe ist zum Beispiel nach oben gegangen. Die AfD ist eine sehr zwischenruffreudige Partei, kassiert aber auch selbst sehr viele Zwischenrufe. Man könnte sagen, dass das Ausdruck einer lebendigen Debattenkultur ist. Man kann es aber auch kritisch sehen: Der Zwischenruf der anderen Parteien hat selbst etwas Populistisches.

Wie meinen Sie das?

Die AfD ist auf dieser Ebene ein leichter Gegner. Die einzelnen Parlamentarier machen es sich aber zu einfach. Sie haben das Gefühl, mit ihrem Zwischenruf eine Retourkutsche zu geben, aber sie sprechen damit nicht über sachliche Probleme. Sie heizen die Debatte nur auf. Mit Hilfe des Zwischenrufs ist der AfD nicht beizukommen.

Welche rhetorischen Mittel wenden AfD-Abgeordnete typischerweise in ihren Reden an?

Sie arbeiten viel mit Wiederholungsschleifen. Durch ständige Wiederholungen gehen Begriffe ins Bewusstsein der Wähler ein, werden etabliert und stark gemacht. So gelingt es der AfD, den politischen Diskurs zu beeinflussen. Sie führen Begriffe ein, an denen sich die anderen dann abarbeiten. Ausdrücke wie "Staatsversagen" oder "Messer-Männer" kommen so noch mehr zur Geltung und bleiben präsent. Da höhlt der stete Tropfen den Stein.

Welche Methoden wendet die Partei noch an?

Emotionalisierung spielt eine ganz große Rolle. Es geht darum, Angst zu erzeugen. Dieses Gefühl von Unsicherheit und Bedrohung rufen viele AfD-Abgeordnete in ihren Reden hervor. Außerdem ist die AfD-Rhetorik sehr aggressiv. Etwa mit der Ankündigung von Alexander Gauland, Kanzlerin Angela Merkel zu "jagen". Auch in der Debatte werden Positionen des politischen Gegners nicht einfach nur zurückgewiesen, sondern gleich als völlig absurd dargestellt und aggressiv angegangen.

Seit die AfD im Bundestag vertreten ist, hat auch das gehässige Lachen bei Reden von Abgeordneten anderer Fraktionen zugenommen.

Das ist etwas, was das Klima im Parlament sehr beeinflusst. Dieses hämische Lachen, das Verlachen des anderen führt weg von einem sachlichen Diskurs.

Wie verhalten sich die anderen Parteien im Bundestag?

Die Anwesenheit der AfD führt dazu, dass die Parteien näher zusammenrücken. Man ist sich relativ einig, gegen die AfD zu sein. In der Sache kommt man dadurch allerdings recht wenig vorwärts. Die richtige Reaktion wäre, den populistischen Vereinfachungen einen differenzierten Diskurs entgegenzusetzen. Die Gefahr ist immer groß, diesen einfachen Parolen zu erliegen und beispielsweise in der Flüchtlingspolitik bestimmte Maßnahmen mit klangvollen Namen wie "Ankerzentren" durchzuführen. Die suggerieren, dass da ganz viel passiert, aber in der Sache bedeuten sie keinen wirklichen Fortschritt.

Lässt sich die AfD bloßstellen, wenn man sie mit Fakten konfrontiert?

Da ist der Blick in die USA ganz interessant. Im Präsidentschaftswahlkampf hat das Team von Hillary Clinton die Aussagen von Donald Trump im Sekundentakt geprüft, richtig gestellt und Widersprüche aufgezeigt. Am Ende hat das aber nicht geholfen. Das gilt auch im Umgang mit der AfD. Es ist ohne Zweifel wichtig, diese Fakten zurechtzurücken. Aber ist eine Illusion, zu glauben, dass die AfD damit erledigt wäre. Allein mit Fakten holt man nur wenige Wähler ab.

Wie kann man die Wähler sonst abholen?

Menschen reagieren nicht nur auf sachliche Argumente. Es kommt auch noch eine emotionale Ebene dazu. Nur weil man das Richtige in die Welt setzt, wirkt es nicht auch automatisch. Die Fakten müssen in die Lebenswirklichkeit und die Denkzusammenhänge der Menschen eingefügt werden.

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