#sprachemachtpolitik:Wie die AfD im Bundestag isoliert wird

Bundestag

Alexander Gauland, Fraktionsvorsitzender der AfD, allein im Plenarsaal

(Foto: Tom Weller/dpa)

Seit mehr als zwei Jahren sitzt die AfD im Bundestag - wie hat sich das Klima im Plenarsaal dadurch verändert? Eine Datenauswertung der Parlamentsprotokolle liefert eine Zwischenbilanz.

Von Sabrina Ebitsch und Martina Schories

Vor zweieinhalb Jahren ist die AfD in den Bundestag eingezogen, um "zu jagen". Jetzt beklagt ihr Fraktionschef Alexander Gauland, von dem die Ankündigung stammte, im Bundestag, seine Partei werde mit "beispielloser Hetze" überzogen. Das skizziert die Frontlinie, die die neue, zumindest in Teilen rechtsradikale Fraktion von den Alteingesessenen scheidet.

2018 hat die SZ einen Artikel mit dem Titel "Das gespaltene Parlament" veröffentlicht. Er war das Ergebnis einer Datenrecherche auf Basis der Bundestagsprotokolle, mit der herausgefunden werden sollte, wie die neue Partei den Bundestag verändert hat. Das ist zwei Jahre her, es ist viel passiert, nicht nur in Thüringen, auch in Berlin: Von Provokationen und Eklats abgesehen, hat die AfD fünf Abgeordnete weniger, den Vorsitz im Rechtsausschuss verloren und ist viermal bei der Wahl für das Bundestagspräsidium gescheitert.

Zeit für eine Zwischenbilanz aus Datenperspektive: Wie hat sich das Klima im Plenarsaal entwickelt? Die SZ hat die fast 11 000 Redebeiträge aus den 138 Sitzungen bis Ende 2019 ausgewertet. Anders als bei den computerlinguistischen Analysen dieses Themenschwerpunkts (hier lesen Sie die Auswertung zum Thema Migration, hier zur Klimapolitik) geht es hier nun um die Metadaten, die Struktur der Protokolle: also jedes Lachen, jedes Klatschen, jeder Zwischenruf, der von den Stenografen protokolliert wurde.

Klar ist: Aus der Spaltung scheint ein Graben geworden zu sein. Die AfD steht unter politischer Quarantäne, sie wird isoliert und isoliert sich selbst, sie attackiert und wird attackiert. Die Zahl der Ordnungsrufe ist jetzt schon höher als in den vier vorangegangenen Legislaturperioden und das nicht etwa, weil der Bundestag so groß ist wie nie zuvor. Fast alle haben mit der AfD zu tun. Wenn ein FDP-Vertreter das Verhalten der AfD im Parlament als "Attentat auf die Integrität und Arbeitsfähigkeit" und eine AfD-Vertreterin ihn daraufhin als "Terroristen" bezeichnet, veranschaulicht das das zerrüttete Verhältnis ganz gut.

Lachen als Waffe

Das zeigt sich auch in einer nur scheinbar harmlosen Variante des politischen Schlagabtauschs. In den Protokollen des Parlaments wird explizit Lachen - im Unterschied zur eher wohlwollenden, verbindenden Heiterkeit - notiert, wenn sich Abgeordnete über andere lustig machen, spotten, also den politischen Gegner lachend erniedrigen wollen.

Aus der Datenanalyse geht eindeutig hervor, dass die AfD besonders häufig über die Abgeordneten anderer Fraktionen lacht - und umgekehrt. Das war bereits in der Anfangsphase der 19. Legislaturperiode so und hat sich noch weiter verschärft.

In der Grafik lässt sich von links nach rechts ablesen, wie oft und bei wem die AfD gelacht hat. In den Zeilen der anderen Fraktionen zeigen sich viel mehr helle Flecken. Das bedeutet, dass diese insgesamt sehr viel seltener über andere Fraktionen im Parlament lachen. Wenn sie lachen, dann tun sie das, wie der Blick in die erste Spalte nach unten zeigt, vor allem bei AfD-Rednern.

Wer lacht über wen?

(Je dunkler die Farbe, desto häufiger wurde gelacht.)

Nach wie vor ist die AfD die offensivste Partei, wenn es ums Lachen über die politische Konkurrenz geht. Mit einem entscheidenden Unterschied zur Anfangsphase: Sie lacht nun ähnlich häufig bei Reden der SPD und der Union - also über die Regierungsparteien. Während die AfD in der Anfangsphase mit Abstand am meisten bei Unionsrednern lachte, sind sie und die SPD-Kollegen nun nahezu gleich häufig das Ziel von Lachattacken der AfD, 212 beziehungsweise 209 Mal war das bisher der Fall. Bei den Grünen, dem sich immer stärker herauskristallisierenden politischen Feindbild der teils rechtsradikalen Partei, geschieht dies nicht einmal halb so oft, was allerdings auch mit der anteilig geringeren Redezeit der Fraktion zu tun haben dürfte.

Dass die SPD so häufig von rechts ausgelacht wird, könnte neben der Regierungsbeteiligung auch daran liegen, dass sich umgekehrt gerade die Sozialdemokraten offensiv gegenüber der AfD positionieren und über deren Reden besonders häufig lachen. Denn deutlich wird auch: Umgekehrt lachen auch die anderen Fraktionen vor allem bei Reden der Neuen. Allen voran die SPD, mehr als 300 Mal, aber auch die Grünen.

Am meisten forderte übrigens eine AfD-Rede zu Frauen in Führungspositionen das Lachen der übrigen Fraktionen heraus. Der Beitrag (Video der Plenarsitzung) von Detlev Spangenberg wurde mehr als 20 Mal von Lachen unterbrochen. Spangenbergs Argumentation beschränkte sich im Wesentlichen auf die Aufforderung (an Frauen), sich doch mehr anzustrengen. Die belustigten bis fassungslosen Reaktionen im Plenum gipfelten in der Versicherung von Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FPD), dass "vom Parlamentsdienst nur Wasser ausgeschenkt" werde.

Klatschen für die gemeinsame Sache

Klatschen ist im Plenum des Bundestags wie eine akustische Uniform: Die Abgeordneten markieren damit erst einmal, wohin sie gehören. Überwiegend wird für die eigenen Leute geklatscht, für die eigene Fraktion, den Koalitionspartner. Am Applaus lassen sich politische Bande daher ganz gut ablesen.

Verglichen mit dem ersten halben Jahr ist diese Tendenz mittlerweile sogar noch ausgeprägter als vorher: Ausnahmslos klatschen die Fraktionen nun überwiegend für die eigenen Kolleginnen und Kollegen. Bevor die Linie zwischen politischen Freunden und Gegnern eindeutig gezogen war, also in etwa vor der Regierungsbildung, war es womöglich noch leichter, im Klatschen auch tatsächlich Anerkennung für das Gesagte zu bekunden. Auch hier sticht die AfD heraus: Zu mehr als drei Vierteln ist ihr Applaus Eigenlob, entfällt also auf Redner der eigenen Fraktion - noch mehr als zu Beginn.

Umgekehrt betrachtet: Bei fast allen Fraktionen außer der AfD wird in etwa der Hälfte der Fälle auch anerkennend oder zustimmend für eine andere Fraktion geklatscht. Aber so gut wie nie für die AfD. Die Anerkennung von deren Redebeiträgen durch Applaus gilt unter den Parlamentariern geradezu als anrüchig - auch hier werden die Rechten gezielt oder intuitiv isoliert. Die Grafiken unten zeigen nur den Applaus, den die jeweiligen Fraktionen anderen spenden und wie er sich verteilt: Auf den ersten Blick wird deutlich, dass der Anteil der AfD durchweg am geringsten ist.

Ansonsten wird im Vergleich zur Anfangszeit - also in etwa der Zeit vor der Regierungsbildung - deutlich, dass sich die politischen Bande durchaus niederschlagen. Die nun mitregierende SPD hat im ersten halben koalitionslosen Jahr durchaus häufiger beispielsweise für Linke und Grüne geklatscht als heute, wo mehr als die Hälfte auf die Union entfällt. Auch bei der Union hat sich das Bild erwartungsgemäß zugunsten der SPD verschoben. Die AfD klatscht übrigens am meisten für die Union und - noch deutlicher als zu Beginn - für die FDP.

Tausende Zwischenrufe als verbales Ventil

"Ich brauche Schmerzensgeld für die Rede!", so kommentierte Franziska Brantner von den Grünen Einlassungen des AfD-Vertreters Martin Sichert im Oktober. Die Rede (PDF des Protokolls) war ein thematischer Husarenritt, von der Impfpflicht über Genitalverstümmelungen bis hin zu Antisemitismus. Sie gipfelte in dem von Argumenten nur bedingt begleiteten Vorwurf an die Bundesregierung, eine finanzielle Entschädigung der Angehörigen der Opfer des Anschlags vom Breitscheidplatz käme einer Zahlung von "Blutgeld" gleich.

Es war eine denkwürdige Rede, die die Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth (Grüne) abschließend nur mehr mit den Worten kommentieren konnte, dass sie "in hohem Maße die Grenze des politischen Anstands überschritten" habe. Denkwürdig auch deswegen, weil sie mit großem Abstand die meisten - 84 in nicht einmal zehn Minuten - Zwischenrufe dieser Legislaturperiode provozierte. Empörte wie "Ekelhaft!" oder "Schämen Sie sich!" und solche, die von einem gewissen Frustrationsgrad zeugten wie "Was hat man Ihnen in den Tee getan!"

Der Redner muss sich die Zwischenrufe gefallen lassen. Sie sind mal ein inhaltlich konstruktiver Beitrag, häufiger aber Ventil für Empörung oder auch eine gezielt eingesetzte Störung. Auch dieses politische Motiv dürfte eine Rolle spielen, wenn Abgeordnete bei AfD-Rednern verbal dazwischenfunken.

Und sie tun dies bis heute bei der AfD - wie schon vor der Regierungsbildung -besonders häufig. Sicherts Rede war insofern exemplarisch für das Verhalten der AfD und das der anderen Fraktionen ihr gegenüber: Die Rechten provozieren, die übrigen empören sich, geschlossen, eine gemeinsame Front gegen den Affront.

Die AfD erhält nach der Union, der Fraktion mit dem größten Redeanteil, die meisten Zwischenrufe, mehr als 11 000 bisher. Und nach wie vor sind es, wie die türkisfarbenen Balken in der Grafik zeigen, vor allem die Grünen und die SPD, die bei AfDlern laut werden. Die Protokollanten verzeichnen bei AfD-Reden mehr als 330 Zwischenrufe aus den Reihen der Grünen, mehr 460 aus denen der SPD. Allen voran von Ulli Nissen, die AfD-Reden mit 439 verbalen Interventionen gekontert hat, aber auch Marianne Schieder (SPD) und außerdem Michael Grosse-Brömer (CDU), die beide mehr als 320-mal laut wurden.

Auch hier scheint aber wieder die Frontstellung zwischen der AfD und den übrigen Fraktionen auf: Denn umgekehrt ist die Lust am Stören bei der AfD gegenüber den anderen ebenfalls ausgeprägt. Insgesamt ruft die isolierte AfD, deren Interventionen sich potentiell gegen jede andere Fraktion richten, häufiger dazwischen als alle anderen.

Auffälligster Unterschied zum ersten Halbjahr des neuen Bundestags: Damals kamen die meisten Zwischenrufe, wenn auch knapp, von den Grünen.

Die Datenauswertung zeigt aus ganz verschiedenen Blickwinkeln: Der erwartete oder auch befürchtete Gewöhnungsprozess im Umgang mit der AfD oder im Verhalten der AfD hat nicht stattgefunden. Stigmatisierung statt Normalisierung, die Rechten sind ein Solitär im parlamentarischen Betrieb - auch durch ihr eigenes Verhalten, das Gegenwehr bedingt. Für viele Parlamentarier außerhalb der AfD-Fraktion scheint zu gelten, was SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich im Oktober im Plenarsaal betonte (PDF des Protokolls): "Was hier vor fast 100 Jahren gesagt werden musste, muss auch heute gesagt werden: 'Da steht der Feind - und darüber ist kein Zweifel: dieser Feind steht rechts!'"

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