AfD:Brisanter Befund

Pressekonferenz AfD

In neuer Bredouille: der AfD-Bundesvorsitzende Jörg Meuthen.

(Foto: Ralf Hirschberger/dpa)

Ein eigenes Gutachten soll die Partei vor einer Beobachtung durch den Verfassungsschutz bewahren, stattdessen bringt es sie nur noch mehr in Bedrängnis.

Von Sebastian Pittelkow, Katja Riedel und Jens Schneider, Berlin

Als der Vortrag im Bundesvorstand der AfD zu Ende war, murrten einige der wichtigsten Politiker der rechtsnationalen Partei heftig. Alexander Gauland, der mächtigste Mann in der AfD, soll dem Vernehmen nach gesagt haben, dass er unter diesen Umständen morgens ja gar nicht mehr aufzustehen brauche. Weil damit nämlich die AfD durch eigentlich jede von Gaulands Reden ein Fall für den Verfassungsschutz wäre. Der Partei- und Fraktionschef Gauland wäre freilich kein Einzelfall. Im Grunde würde diese Einschätzung für die ganze Partei gelten - das macht das Gutachten des emeritierten Freiburger Staatsrechtlers Dietrich Murswiek so pikant.

Roland Hartwig, der Vizechef der AfD-Bundestagsfraktion, stellte es vor kurzem dem Parteivorstand vor. Die AfD-Spitze hat es selbst bei dem als konservativ eingeschätzten Juristen Murswiek in Auftrag gegeben und lernte nun, dass sie ein großes Problem bekommen könnte. Es dreht sich um die Frage, die in der AfD derzeit für die größte Unruhe sorgt: Könnte die Partei, die inzwischen in allen 16 Landtagen und im Bundestag sitzt, bald als Ganzes vom Verfassungsschutz beobachtet werden? In der kommenden Woche wollen die Abteilungsleiter der Landesämter für Verfassungsschutz erneut über diese Frage beraten. Die AfD-Spitze verfolgt die Debatte mit großer Sorge, die beiden Vorsitzenden Gauland und Jörg Meuthen ahnen, dass Wähler und wesentliche Teile ihrer aktiven Basis abgeschreckt werden könnten, viele kommen aus dem öffentlichen Dienst. Also hat die AfD eine Kommission eingesetzt, um sie "unangreifbar" zu machen, wie es heißt. Geführt wird die Kommission von Fraktionsvize Hartwig, einem moderaten AfD-Politiker, der früher Justitiar eines großen Chemie-Konzerns war.

"Wenn man das Papier ernst nimmt, können wir nix mehr machen," sagt ein AfD-Mitglied

Um eine Beobachtung abzuwenden, will man den eigenen Laden prüfen und den Mitgliedern Handreichungen geben, eine Art Fibel für verfassungskonformes Benehmen. Dafür beauftragte man den Staatsrechtler Murswiek. WDR, NDR und Süddeutscher Zeitung liegt die Zusammenfassung des Gutachtens vor, die Hartwig im Bundesvorstand vortrug. Es ist ein für die AfD verheerender Befund, den man nun zur "internen Angelegenheit" erklären will.

Denn auf diesen zehn Seiten sind Kriterien aufgeführt, die eine Partei in der Summe zum Fall für den Verfassungsschutz machen. Die AfD erfüllt sie reihenweise, auf den letzten vier Seiten stehen "Handlungsempfehlungen zur Vermeidung einer Beobachtung durch den Verfassungsschutz". Zu eigentlich jedem Punkt fällt auch AfD-Spitzenpolitikern ein Beispiel für einen Verstoß aus den eigenen Reihen ein. Da heißt es etwa: "Unbedingt notwendig ist es, folgende Äußerungen und Verhaltensweisen zu unterlassen: pauschale Diffamierungen oder Herabwürdigungen von Ausländern/Immigranten/Flüchtlingen/Muslimen." Und: "extremistische Reizwörter" wie "Umvolkung", "Überfremdung", "Volkstod" oder "Umerziehung" müssten vermieden werden.

Murswiek führt zahlreiche Beispiele an, die eine Beobachtung der AfD rechtfertigen würden. Pauschale Negativurteile über die "Altparteien", über die "politische Klasse" oder über die Medien sollten vermieden werden - etwa der Begriff "Lügenpresse", der bei der AfD zum Alltagsvokabular gehört. Angesichts dieser Liste sprachen Vorstandsmitglieder davon, dass die AfD sich dann ja gleich auflösen könne, die Empfehlungen seien so nicht umsetzbar.

Ein Vorstandsmitglied sagt dazu: "Wenn man das Papier ernst nimmt, können wir gar nix mehr machen." Man müsse die Empfehlungen "in AfD-Deutsch übersetzen und der Basis vermitteln". Das werde schon schwer genug. Es gibt schon ohne das Gutachten viel Unruhe. In einem "Stuttgarter Aufruf" schrieben jetzt mehrere Hundert Mitglieder des rechten Flügels, darunter Abgeordnete: "Wir widersetzen uns allen Denk- und Sprechverboten." Sie beklagen, dass "zahlreiche Ordnungs- und Ausschlussverfahren" gegen Mitglieder eingeleitet worden seien. Der Sonderermittler Hartwig werde in Parteikreisen "Großinquisitor" genannt, ist zu hören. Es sei von einer "AfD-Stasi" die Rede.

Hartwig sagt zum Murswiek-Papier: "Das ist nichts weiter als ein Zwischenschritt", sein Exzerpt sei eine Zusammenfassung des Gutachtens. Das werde nun weiter verarbeitet "zu einer Handlungsempfehlung für die Partei". Darin solle dann "differenziert werden zwischen nachvollziehbaren tatsächlichen Anhaltspunkten für verfassungsfeindliche Bestrebungen, die in der Partei zu bekämpfen sind" - und anderen Beispielen, die der Verfassungsschutz als Anhaltspunkt sehen würde, die er aber für "fraglich oder rechtswidrig" hält. Die Parteichefs Gauland und Meuthen lehnten eine Stellungnahme ab.

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