AfD-Beobachtung:Wenn Linke den Verfassungsschutz feiern und Rechte die Linkspartei in Schutz nehmen

  • Für die Verfassungsschützer in Bund und Ländern steht eine der schwierigsten Entscheidungen seit Langem an: Sollen sie die AfD beobachten?
  • Linke, die einst gegen den Verfassungsschutz wetterten, sind jetzt für den Einsatz.
  • Die AfD könnte sich, wenn der Streit vor dem Bundesverfassungsgericht landet, sogar auf Argumente von Linken berufen.

Von Georg Mascolo und Ronen Steinke

Verkehrte Welt, so wirkt es in diesen Tagen. Die Verhältnisse scheinen Kopf zu stehen. Da sind Linke, die den Verfassungsschutz am liebsten abschaffen wollten und nun ihr Herz für ihn entdecken. Parteichefin Katja Kipping etwa forderte vor Kurzem, dass der Verfassungsschutz endlich gegen die AfD aktiv wird, auch wenn dies "das Problem nicht löst". Andererseits überraschen AfDler: Die langjährige Beobachtung der Linkspartei, so sagte es Parteichef Alexander Gauland neulich in kleiner Runde, sei schon immer falsch gewesen. Er habe das stets bedauert. Der Staat dürfe nun nicht denselben Fehler wiederholen. Bei der AfD.

Für die Verfassungsschützer in Bund und Ländern steht eine der schwierigsten Entscheidungen seit Langem an. Sie müssen in diesen Wochen entscheiden, ob man eine bei vielen Wählern erfolgreiche Partei als extremistisch einstufen und geheimdienstlich beobachten soll. Reichen die zusammengetragenen Belege, werden die Gerichte dem später zustimmen. Reichen sie nicht, dürfte die AfD schon den kleinsten juristischen Teilsieg über den Verfassungsschutz "als Persilschein feiern", wie ein SPD-Innenpolitiker warnt.

Die Entscheidung folgt keiner exakten Wissenschaft. Der Geheimdienst, so heißt es in Paragraf 3 des Bundesverfassungsschutzgesetzes, beobachtet "Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung (...) gerichtet sind". Aber das ist vage. Bei vielen Gruppen, die der Dienst sich in der Vergangenheit vorgenommen hat, gab es wenig Streit: Es sind Nazis, Terroristen oder ausländische Gruppen wie die türkischen "Grauen Wölfe", die Gewalt propagieren. Geht es jedoch um politische Parteien, dann ist besondere Sorgfalt notwendig, das Grundgesetz betont ihre herausgehobene Bedeutung und garantiert ihnen besonderen Schutz.

Eine offizielle Beobachtung ist eine Art Kainsmal, eine Warnung der Exekutive. Sie soll den weiteren Marsch der Partei durch die Institutionen zumindest erschweren, die Bürger sollen wissen, wen und was sie da wählen. Das macht die Entscheidung so brisant, der Verfassungsschutz greift damit direkt in den politischen Prozess ein: Achtung, Verfassungsfeinde! Erlaubt sind dann nachrichtendienstliche Mittel, der Staat darf V-Leute anwerben, die in der Partei spionieren.

Ob die AfD als extremistisch eingestuft wird, soll eine Arbeitsgruppe aus 17 Experten des Bundesamts für Verfassungsschutz bis Jahresende beraten. Die Entscheidung folgte in der Praxis aber selten ganz vorhersehbaren Kriterien, besonders deutlich wurde dies in der Vergangenheit bei der heutigen Linkspartei, der früheren PDS. Länder wie Brandenburg erklärten schon Mitte der 1990er-Jahre: Die Entscheidung des Bundes, die PDS zu beobachten, ließe sie "kalt". "Ich halte es grundsätzlich für besser, mit PDS-Mitgliedern wie Sahra Wagenknecht politisch zu diskutieren, als sie zu überwachen", sagte der damalige Landesverfassungsschutzchef Wolfgang Pfaff. Zudem stieß Pfaff schon damals eine Diskussion an, die bis heute nicht ganz beendet ist: "Mir wäre wohler, wenn ein so massiver Eingriff in das Parteienprivileg des Grundgesetzes unter Richtervorbehalt gestellt werden würde."

"Vertrackt" nannte der damalige Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) die Beobachtung der PDS, als sie 1998 mit der SPD in Mecklenburg-Vorpommern eine Koalition formte. Noch auffälliger war die politische Dimension in Berlin: Anfang der 1990er-Jahre bestellte der dortige CDU-Innensenator, Dieter Heckelmann, bei seinen Verfassungsschützern einen Bericht über die PDS. 1994 vermeldete der Dienst: "Noch" befinde sich die Partei "in einem gewaltfreien Stadium". Aber "wann mit gewaltsamen Aktionen zu rechnen ist, lässt sich ohne den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel nicht vorhersagen".

Die heutige Vizepräsidentin des Bundestages, Petra Pau (Linke), erinnert sich an einen Vorfall aus den späten 1990er-Jahren, der Berliner Verfassungsschutz hatte einen ehemaligen Stasi-Hauptmann angeworben und unter dem Decknamen "Förster" auf die Partei angesetzt. Der Mann hatte es im DDR-Unterdrückungsapparat weit gebracht, er prahlte gern, im Falle einer Besetzung Westberlins sei er als Stasi-chef von Wilmersdorf vorgesehen gewesen. Im Jahr 2002 trat die Linke dann in die Berliner Landesregierung ein. Noch fünf Jahre zuvor hatte der CDU-Innensenator verkündet, es bestehe "kein Zweifel" an ihrer Verfassungsfeindlichkeit. Und auch danach hielten die vier unionsgeführten, westdeutschen Länder Niedersachsen, Hessen, Baden-Württemberg und Bayern an einer Beobachtung der Partei fest.

Warum es bei den einen für eine Beobachtung reicht und bei den anderen nicht, ließ sich selten wirklich gut erklären. Auch jetzt, vor der Entscheidung über die AfD, haben die 17 Verfassungsschutzbehörden kein geschlossenes Bild abgegeben. Das rot-rot-grün regierte Thüringen erklärte den Landesverband der AfD zum "Prüffall", das ist die Vorstufe zur Beobachtung. Im benachbarten, CDU-geführten Sachsen hatte man dagegen anfangs solche rechtsstaatlichen Bedenken, dass man nicht einmal etwas zur Materialsammlung des Bundes über die AfD beisteuern wollte.

Um klare Kriterien sind auch die Verwaltungsgerichte verlegen, die immer mal wieder angerufen worden sind. Wann sind einzelne Parteigliederungen bedeutend genug, dass sich der Rest der Partei in Mithaftung nehmen lassen muss? Gerade für die AfD und ihre durch extremistische Äußerungen aufgefallene Jugendorganisation JA kann dies entscheidend sein. Das könne man nur mit einer "Gesamtschau" von Indizien beantworten, haben Oberverwaltungsgerichte in Berlin, Baden-Württemberg und Bayern in den vergangenen Jahren betont, interessant sind etwa Größe und Eigenständigkeit der Gliederungen. Unter Umständen muss sich die AfD bald auch radikale Äußerungen externer Gruppen entgegenhalten lassen, mit denen die Partei "sich identifiziert oder sympathisiert", wie das Berliner Oberverwaltungsgericht 2011 formulierte.

Dass ausgerechnet Thüringen jetzt an der Spitze derer steht, die auf die Beobachtung der AfD dringen, ist besonders interessant: Es war der heutige Thüringer Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke), der jahrelang am ausdauerndsten gegen seine Beobachtung prozessierte. 2013 gab das Bundesverfassungsgericht ihm recht, schon das bloße Sammeln von Informationen über einen Abgeordneten beeinträchtige den demokratischen Prozess, "weil die hiermit verbundene Stigmatisierung Wählerinnen und Wähler von einer Kontaktaufnahme abhalten" könne. Karlsruhe stellte klar, dass nur noch Abgeordnete beobachtet werden dürfen, die "aggressiv" die Demokratie bekämpfen.

Erst 2014 erklärte der damalige Innenminister Thomas de Maizière (CDU), dass man aus Gründen der "Beobachtungspriorisierung" künftig keine Bundestagsabgeordneten der Linken mehr ins Visier nehmen werde.

Ironie der Geschichte: Wenn der Thüringer AfD-Politiker Björn Höcke oder andere demnächst gegen ihre Beobachtung vor das höchste deutsche Gericht ziehen sollten, werden sie sich auf die Argumente von Ramelow berufen können.

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