Süddeutsche Zeitung

AfD:Aufruhr am Abend

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Der Grünen-Politiker Cem Özdemir rechnet im Bundestag mit der rechtspopulistischen Partei ab - und erhält dafür viel Beifall.

Von Jens Schneider, Berlin

Es wirkt, als ob sich an diesem Donnerstagabend im Bundestag etwas entladen hat, das sich seit Wochen aufstaute. Auch am Tag danach ist das noch zu spüren. Im Internet wird die Rede des Grünen Cem Özdemir tausendfach angeschaut und empfohlen. Zitate werden auf Twitter versendet, mit Icons, die Beifall ausdrücken. Sätze wie: "Wenn Sie die Nummer des Ausstiegstelefons für Neonazis brauchen, ich kann sie Ihnen geben." Özdemir rief ihn der AfD zu in einer hoch emotionalen Debatte. Er bekam viel Applaus. Die AfD empörte sich umso mehr.

Im Saal war es so unruhig, dass Petra Pau, Vizepräsidentin des Bundestages, erklärte, wegen des hohen Lärmpegels seien nicht alle Zwischenrufe zu verstehen gewesen. Falls es Verstöße gegen die Regeln des Parlaments gegeben habe, müsse man sich gegebenenfalls nachträglich darum kümmern. So zeigte dieser Abend, wie sehr sich das Parlament verändert hat, seitdem die AfD in den Bundestag eingezogen ist.

Bemerkenswert ist, dass sich diese Veränderung in einer vermeintlichen Randdebatte zeigt. So war es schon in den vergangenen Wochen. Und es waren wieder Politiker der zweiten Reihe, die mit Leidenschaft und Schärfe in die Konfrontation gingen. Noch am Morgen hatte die Bundeskanzlerin in ihrer Regierungserklärung die AfD eher ignoriert. Deren Fraktionsspitzen antworteten mit erwartbaren Sätzen, ohne viele Provokationen.

"Sie verachten alles, wofür dieses Land in der ganzen Welt geachtet wird und respektiert wird."

In den Abendstunden ging es früher ruhig zu im Bundestag. Meist verfolgten wenige Abgeordnete sachliche Debatten. Nun war der Saal gut besetzt, und Özdemir attackierte mit seiner leidenschaftlichen Rede die Abgeordneten im Saal rechts des Rednerpults. Er rief ihnen zu: "Sie alle von der AfD, wie Sie da sitzen, würden, wenn Sie ehrlich wären, zugeben, dass Sie dieses Land verachten."

Der AfD-Fraktionsvorsitzende Alexander Gauland schimpfte: "Das ist ja eine Frechheit!" Seine Kollegen lachten über Özdemir. Der legte nach: "Sie verachten alles, wofür dieses Land in der ganzen Welt geachtet wird und respektiert wird."

Özdemir nannte die Erinnerungskultur, auf die er stolz sei. Er sprach von der Vielfalt, zu der Bayern und Schwaben genauso gehörten wie Menschen, deren Vorfahren aus Russland kommen, und "Menschen, deren Vorfahren aus Anatolien kommen und die jetzt genauso stolz darauf sind, Bürger dieses Landes zu sein".

Er warf der aufgebrachten AfD vor, dass sie "unsere gemeinsame Heimat verachtet". Die AfD wolle einen autoritären Staat. "Sie sind aus demselben faulen Holz geschnitzt wie diejenigen, die Deniz Yücel verhaften ließen", rief er.

Eigentlich sollte es allein um einen Antrag der AfD gehen, den die anderen Parteien vor der Sitzung so kühl und nüchtern kommentiert hatten, als müsste man ihn am besten nicht mal ignorieren. Die AfD forderte darin den Bundestag auf, Äußerungen des Journalisten Deniz Yücel zu missbilligen, der vor einer Woche nach einem Jahr aus türkischer Untersuchungshaft freikam. Es ging um Äußerungen von Yücel aus Artikeln von 2011 und 2012.

Gemeint waren extrem umstrittene Satiren in der taz, wo Yücel arbeitete, bevor er zur Welt wechselte. In einem der beiden Texte hatte Yücel dem Buchautor Thilo Sarrazin einen Schlaganfall gewünscht. Die Zeitung wurde für den Text gerügt, Sarrazin verklagte sie erfolgreich, Yücel entschuldigte sich. Im zweiten Text schrieb er zugespitzt über den Geburtenrückgang. "Super, Deutschland schafft sich ab!" Der AfD-Abgeordnete Gottfried Curio sagte, Yücel sei von einem "extremen Deutschland-Hass" getragen.

Der Antrag spiegelt eine weit verbreitete Stimmung unter AfD-Anhängern wider, die sich von den Texten beleidigt fühlen, sie nicht als Satire sehen, sondern als Angriff auf Deutschland, und sich wiederum im Netz voller Wut über Yücel äußern. Die AfD hat ihn bewusst gestellt, im Wissen um die Resonanz bei ihrer Klientel.

In Bundestag räumten Redner der anderen Parteien ein, dass sie die Kolumnen Yücels nicht unbedingt schätzten. Aber sie wiesen den Antrag vehement zurück. Sie werteten ihn als Angriff auf die Pressefreiheit. Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) nannte die Initiative der AfD in einer kühlen Rede "einen Antrag von intellektueller Erbärmlichkeit".

Özdemir sagte, dass der Bundestag nicht die Arbeit von Journalisten bewerte. Es gebe in diesem Land keine oberste Zensurbehörde. Dann griff er die AfD generell an. Er erinnerte an den Auftritt des AfD-Landesvorsitzenden von Sachsen-Anhalt, André Poggenburg, am Aschermittwoch in Sachsen. Er hatte dort die türkische Gemeinde als "Kameltreiber" beschimpft. Als er Özdemirs Namen nannte, skandierten Poggenburgs Zuhörer: abschieben, abschieben!

"Mich hat das eher an eine Rede im Sportpalast erinnert", rief Özdemir aus, ein Bezug zur Rede des NS-Propagandaministers Joseph Goebbels im Berliner Sportpalast. "Ich will Ihnen zurufen", wandte er sich der AfD zu: "Unser Deutschland, dieses Deutschland, ist stärker, als es Ihr Hass jemals sein wird."

Wieder gab es heftigen Applaus von allen Fraktionen, nur von der AfD nicht. Die verbreitete am Freitag Gottfried Curios Angriffe auf Deniz Yücel im Netz. Die AfD-Anhänger feierten Curio. Diesseits der Welt der AfD jedoch wurde die Rede von Özdemir ein Hit.

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Quelle:
SZ vom 24.02.2018
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