Süddeutsche Zeitung

Alice Weidel:Fraktionschefin von Gaulands Gnaden

  • Alice Weidel gerät in der Spendenaffäre der AfD auch parteiintern unter Druck.
  • Es entsteht der Eindruck, dass AfD-Chef Alexander Gauland prüft, wie lange er sie noch halten will.

Von Jens Schneider, Berlin

Alice Weidel rückte in der AfD auf einen Schlag in den Vordergrund, als die einst unangefochtene Frauke Petry gerade von der Basis abserviert wurde. Auf dem Bundesparteitag im Mai 2017 in Köln suchte die damalige Parteichefin Petry noch ein letztes Mal die Konfrontation mit den anderen in der Spitze. Unter ihrer Führung war die AfD immer weiter nach rechts gerückt, nun aber wollte Petry ein Stopp-Signal setzen. Ihre Parteifreunde ließen sie auflaufen, der mächtige Strippenzieher Alexander Gauland wählte für die Bundestagswahl eine Weggefährtin aus, die mit dem eingeschlagenen Pfad der AfD keine Probleme hatte. Eine junge Frau, von der er schon erlebt hatte, dass sie für den Aufstieg flexibel mit ihren eigenen Positionen umgehen konnte.

Gauland suchte Weidel aus, so beschrieb er es selbst. Und sie lieferte sofort, und seither immer wieder - bis jetzt, da die Spendenaffäre und interne Querelen die 39-Jährige in Bedrängnis bringen. Nun entsteht der Eindruck, dass Gauland aufmerksam prüft, wie lange er sie noch halten will. Es sollten besser keine weiteren peinlichen Neuigkeiten bekannt werden, heißt es aus der Parteispitze. Das Schweigen etwa des Parteichefs Jörg Meuthen in dieser Angelegenheit fiel auch Parteifreunden auf. Auch sonst gab es die Woche über öffentlich wenig Rückhalt für Weidel, was intern nicht nur mit der Spendenaffäre erklärt wird.

Es gibt gleich ein Bündel von Gründen, weswegen Weidel kritisch beäugt wird. Der betagte Gauland sah in ihr anfangs die ideale Ergänzung zu seinem Profil: eine makellos wirkende Ökonomin mit dem Gestus einer vornehmen höheren Tochter, dabei angriffslustig. In schneidigem Tonfall brachte sie damals den Parteitag in Köln sofort in Wallung. Ihre Sätze hatten den Sound, den die Basis liebt. Die politische Korrektheit gehöre auf den Müllhaufen der Geschichte, rief sie aus. Und versprach: "Wir rocken Deutschland!"

Weidel sollte den neoliberalen Flügel bedienen. Sie war Analystin bei Goldman Sachs, eine Zeitlang in China, dann Unternehmensberaterin. Dass Weidel mit einer Frau zusammenlebt, mit der sie zwei Buben erzieht, störte öffentlich niemanden in der AfD. Manchen gefiel es, dass sie der AfD eine Anmutung von Modernität geben könnte, solange sie nur politisch auf Linie blieb. Dass sie mit ihrer Lebensgefährtin zum Teil in der Schweiz lebt, gefiel nicht jedem, aber es schadete ihr nicht.

Sie sieht die AfD mit ihrer islamfeindlichen und gegen Migration gerichteten Haltung als Garanten für die Rechte von Homosexuellen in Deutschland. Weidel fällt im Bundestag durch besonders rabiate Angriffe auf Muslime auf. In großen Debatten überlässt Gauland ihr die Wirtschafts- und Finanzfragen. Da rechnet Weidel vor, dass die Migration dem Land schade. Wenn man ihr folgt, befindet sich der "Wirtschaftsstandort Deutschland im freien Fall, nur noch knapp vor Aserbaidschan".

In Erinnerung geblieben ist sie im Parlament mit einer üblen Entgleisung. In der Generaldebatte im Mai sagte Weidel: "Burkas, Kopftuchmädchen und alimentierte Messermänner und sonstige Taugenichtse werden unseren Wohlstand, das Wirtschaftswachstum und vor allem den Sozialstaat nicht sichern." Alles in einem Atemzug. Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble rügte sie, "weil Sie damit alle Frauen diskriminieren, die ein Kopftuch tragen".

In der fragilen Statik der Rechtsaußenpartei wirkt Weidel dabei wie eine Art Solitär, manche der Moderateren halten sie für eine der Ihren. Als der extrem rechte Thüringer Landeschef Björn Höcke einst ausgeschlossen werden sollte, war Weidel eine treibende Kraft. Sie lässt gern durchblicken, dass sie ihn und seine Unterstützer in der Bundestagsfraktion wenig schätzt. Demonstrationen, wie sie Höcke und seinen Leuten gefallen, sind so gar nicht ihre Art. Aber als intern klar wurde, dass Höcke in der Partei zu viele Unterstützer hat, wollte sie sich nicht mehr an ihm stören.

Für die Bundestagsfraktion schmiedete Weidel mit Gauland eine Führungsriege, die der disparaten Truppe unerwartete Stabilität brachte. Nun haben sich die Abläufe etabliert, neue Machtzentren entstehen. Gauland braucht Weidel für die innere Statik nicht mehr, manche sehen sie als Gefahr, weil sie der AfD Regeln vorgeben will. Das löst Misstrauen aus in der Partei, zu deren DNA der Anspruch gehört, dass jeder alles sagen darf - und die politische Korrektheit auf den Müllhaufen der Geschichte gehört, wie Weidel es ausdrückte. So liefen Weidels Versuche ins Leere, der Fraktion einen Verhaltenskodex zu geben. Kritisch wird auch die Idee gesehen, der AfD per Handreichung klarzumachen, welche Wortwahl vermieden werden sollte, um eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz abzuwenden.

Die Konstanzer Staatsanwaltschaft muss nun die vielen Widersprüche aufklären

Weidel wird intern angelastet, dass wegen der zweifelhaften Buchführung der Fraktion ein führender Mitarbeiter entlassen wurde, der nun in der Spendenaffäre eine Rolle spielt. Dass die Sache öffentlich wurde, empört manche Abgeordneten mehr als der Umstand, dass man es mit der Buchführung vielleicht nicht so genau genommen hat. In AfD-Kreisen wird ihr das Talent nachgesagt, sich Parteifreunde zu Gegnern zu machen. Sie sei zu wenig verbindlich, habe mit ihrer Härte einige Parteifreunde verärgert.

Aber zunächst einmal stellte sich am Freitagmittag nun der Bundesvorstand eindeutig hinter Weidel. Von Fehlern wollte diejenigen erst mal nichts mehr wissen, die in der zurückliegenden Woche eine ziemliche Wut auf Weidel aufgebaut hatten. Nach einer ausgiebigen Sitzung verkündete die Parteispitze in Magdeburg in einer Erklärung, dass man keinerlei Verschulden bei Weidel sehe: "Momentan wird der Sachverhalt auf allen Ebenen der Partei sehr intensiv aufgeklärt", steht darin. "Ein Rechtsanwalt wurde mit der umfassenden Aufarbeitung des Sachverhalts und der Vorbereitung einer detaillierten Stellungnahme gegenüber den Behörden beauftragt."

Schon kurz vor der Sitzung hatte Weidel das in einer persönlichen Erklärung angekündigt. Darin schreibt sie, dass die "in den Medien berichteten Sachverhalte in wesentlichen Punkten falsch, unvollständig und tendenziös" seien. Sie erklärte aber nicht, was sie damit konkret gemeint sein sollte. Überhaupt erklärte Weidel nichts zum Vorgang selbst.

Am Freitag auf dem Europa-Parteitag der AfD kam das Thema in der Eröffnungsrede von Alexander Gauland gar nicht vor. Aber damit ist für sie keineswegs Ruhe in den eigenen Reihen garantiert. Schon zum Wochenbeginn am Montag in der Bundestagsfraktion könne es, so heißt es von einzelnen Abgeordneten, hoch hergehen. Weidel habe viel zu erklären.

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Quelle:
SZ vom 16.11.2018/fued/saul
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