Äthiopien:Das Volk muss weiter auf Wahlen warten

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Nach der zweiten Verschiebung der Parlamentswahl zweifelt die Opposition, welchen Wert der Urnengang überhaupt noch hat. Gegner von Ministerpräsident Abiy Ahmed sitzen in Haft oder stecken im bewaffneten Kampf, auch der Konflikt in Tigray tobt weiter.

Von Bernd Dörries, Kapstadt

Am Dienstag startete Äthiopiens Ministerpräsident Abiy Ahmed eine Initiative, mit deren Hilfe Millionen Bäume gepflanzt werden sollen. Am Mittwoch schon das nächste freudige Ereignis: Mit der "Äthiopien-Woche" begann ein Kulturfestival rund um die reichen Traditionen und Schätze des Landes, mehr als 80 Volksgruppen sollen mitfeiern. Abiy durchschnitt ein Band in einem der neuen Parks, die er in der Hauptstadt Addis Abeba schaffen ließ.

Während der Premier und seine Delegation am "Friendship Square" in die Kameras lächeln, ist die Stimmung im übrigen Äthiopien alles andere als freundschaftlich. Im ganzen Land verschärfen sich bewaffnete Konflikte zwischen den Volksgruppen.

Eigentlich sollten die Äthiopier am 5. Juni eine neue Führung wählen, doch der Urnengang wurde gerade verschoben. Die Wahlkommission macht organisatorische Probleme verantwortlich - in vielen Regionen seien die Wahlunterlagen nicht rechtzeitig zugestellt worden, in anderen habe es Verzögerungen bei der Registrierung der Wähler gegeben. Es ist bereits die zweite Verschiebung, schon im vergangenen August war die Abstimmung abgesagt worden, wegen der Corona-Pandemie.

Am 21. Juni sei man dann aber so weit, versichert die Wahlbehörde. Die Opposition dagegen fragt sich, ob Abiy wirklich wählen lassen will. Und was diese Wahl überhaupt wert sei. Die EU hat bereits beschlossen, keine Wahlbeobachter zu schicken, da sie sich über die Bedingungen einer solchen Entsendung mit der Regierung nicht einigen konnte. Premier Abiy winkte ab: EU-Beobachter seien auch nicht "notwendig", sagte er.

Äthiopien
:Zeichen der Entspannung in Tigray

Das Nachbarland Eritrea wolle seine Truppen aus der Konfliktregion abziehen, sagt der äthiopische Premier Abiy Ahmed. Zuvor hatte er deren Präsenz lange bestritten.

Die Wahl mit wochenlanger Verspätung abzuhalten, wird nicht leicht. In Äthiopien beginnt bald die Regenzeit, manche Gebiete werden nur noch schwer erreichbar sein. Viele Oppositionsparteien haben bereits angekündigt, keine Kandidaten aufzustellen. Manche protestieren gegen die Verhaftung ihrer Führer, andere haben sich in den bewaffneten Kampf zurückgezogen. Angesichts dieser Konflikte wünschen sich manche Oppositionspolitiker lieber einen nationalen Dialog als eine Wahl, die an den verhärteten Konflikten im Land wahrscheinlich nicht viel verändern wird.

An den kriegsgequälten Tigray geht der Wahlstreit vorbei

Abiy Ahmed kam als Versöhner und Reformer ins Amt, übrig geblieben ist davon wenig. Das liegt nicht nur an ihm. In der Region Tigray kämpft Abiys Zentralregierung mit unverminderter Härte gegen die Führung der dortigen Volksgruppe, die in Äthiopien lange fast alle wichtigen Führungsämter innehatte und zahlreiche Verbrechen beging. Abiy entmachtete die Funktionäre, die wiederum die äthiopische Armee angriffen und eigenmächtig Regionalwahlen abhielten. Im Dezember ließ Abiy die Armee eingreifen: Es sollte eine kurze und präzise Operation zur Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung werden.

Mehr als ein halbes Jahr später sind eine Million Menschen auf der Flucht, etwa fünf Millionen sind nach Angaben von Hilfsorganisationen auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen. Vor allem die Truppen aus dem benachbarten Eritrea, die auf der Seite des Ministerpräsidenten kämpfen, sollen für systematische Vergewaltigungen und Morde an der Zivilbevölkerung verantwortlich sein.

Abiys Ankündigung vom April, dass Eritreas Truppen bald abziehen würden, seien bislang folgenlos geblieben, kritisieren Menschenrechtsorganisation. Der Fernsehsender CNN filmte kürzlich eritreische Soldaten, die sich äthiopische Uniformen angezogen hatten und Hilfslieferungen in die umkämpfte Region blockierten. Der Streit um die Wahl geht an der gequälten Bevölkerung in Tigray derweil vorbei. Wählen dürfen die Menschen dort ohnehin nicht.

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