Süddeutsche Zeitung

Krieg in Äthiopien:Immer noch Dunkelheit in Tigray

In der äthiopischen Bürgerkriegsregion herrscht wieder Frieden. Doch er ist fragil. Und wie sieht die Zukunft aus? Viele junge Menschen sehen keine Perspektive, sie wollen weg. Ein Besuch.

Von Bernd Dörries, Mekele

Dejen Mezgebe steht im Büro der Tigray Independence Party, hinter ihm eine kleine Stellwand mit dem Logo der Partei, in den Nebenräumen stehen verwaiste Schreibtische und leere Bücherregale. Es wirkt nicht so, als hätten hier viele Menschen vorbeigeschaut in den vergangenen Monaten. "Ich war im Busch", sagt Dejen und meint damit den Bürgerkrieg in der Region Tigray im Norden Äthiopiens, der im November 2020 begann und fast zwei Jahre dauerte. Seit einigen Wochen herrscht ein fragiler Frieden, nach etwa 18 Monaten brutaler Blockade hat Tigray wieder Zugang zum Internet, der Flughafen hat geöffnet, und humanitäre Hilfe kommt an.

Es ist ein langsames Erwachen aus der fast totalen Dunkelheit. Man denkt an die, die womöglich nicht mehr da sind, so wie einer der Söhne von Dejen, der noch an der Front vermisst wird. Aber auch an die Zukunft, darüber, was die Perspektive sein könnte für Tigray und seine geschundene Bevölkerung.

Dejen Mezgebe sagt, er sehe keinen anderen Weg als die Unabhängigkeit. Äthiopien ist ein Vielvölkerstaat mit mehr als 110 Millionen Menschen und 80 Volksgruppen. Die Tigray stellen etwa sechs Prozent, eine kleine Elite der Volksbefreiungsfront von Tigray (TPLF) dominierte aber jahrzehntelang Politik und Wirtschaft in ganz Äthiopien, bis 2018 der neue Ministerpräsident Abiy Ahmed aus der größten Volksgruppe der Oromo ins Amt kam. Er wollte die Macht der Regionen beschneiden, die TPLF sabotierte seine Politik, der Konflikt eskalierte bis zum Bürgerkrieg.

Die Region ist wohl um Jahrzehnte zurückgeworfen

Die Frage ist nun, wie ein langfristiger Frieden aussehen soll, nach all der Gewalt, nach vielleicht bis zu 600 000 Toten?

"Wir haben noch gar keine Worte gefunden für das, was uns angetan wurde", sagt Dejen, er ist im Hauptberuf Juraprofessor an der Universität von Mekele, die seit zwei Jahren geschlossen ist und auch beschädigt durch Angriffe der äthiopischen Bundesarmee. Die Region sei womöglich um Jahrzehnte zurückgeworfen worden, sagt Dejen. "Alle dreißig Jahre kommt so ein Konflikt, deshalb reicht es jetzt, ist es an der Zeit, unseren eigenen Weg zu gehen", sagt Dejen. Er sieht Äthiopien als Vielvölkerstaat gescheitert, weil es verschiedenen Volksgruppen zu wenig gelungen sei, eine gemeinsame Identität zu entwickeln, eine Vision für die Zukunft.

Es ist eine Sicht, die viele teilen in Tigray. Nicht aber die TPLF, die weiter Teil Äthiopiens sein will. "Die kämpft nur um die eigene Macht", sagt Dejen. Er und seine Partei dagegen wollen Unabhängigkeit, Demokratie, eine freie Presse und ein Ende des Spitzelsystems. Bis ins kleinste Dorf hat die TPLF ihre Leute, auf sechs Bewohner kommt einer, der Abweichler anschwärzt und womöglich auch darüber entscheidet, wer einen Teil der internationalen Hilfen bekommt, die nun langsam ins Land fließen.

"Die TPLF ist nicht reformierbar"

"Die TPLF ist nicht reformierbar", sagt Dejen. Er will sie bei den nächsten Wahlen schlagen, für die es aber noch keinen Termin gibt. Verschiedene lokale Medien berichten, dass die TPLF erst einmal eine Übergangsregierung führen soll, unter deren 23 Mitgliedern lediglich zwei Vertreter der Oppositionsparteien vertreten sein sollen. Die anderen kommen aus dem Militär und der Diaspora. Er klingt nicht nach Aufbruch.

Und selbst wenn einmal an der Urne entschieden werden sollte, wie es in Tigray weiter geht: Tedros Gebreabzgi glaubt nicht, dass die Zukunft besser wird. "Ich werde Tigray verlassen, hier gibt es keine Zukunft", sagt er. Er ist 25 Jahre alt und hatte vor dem Krieg gerade eine Stelle an der Universität bekommen, als Dozent der Fakultät für Architektur. Die Uni ist noch geschlossen, seine Zukunft sieht er verbaut.

Seine Mutter hatte einst selbst mit der TPLF gekämpft, damals gegen ein kommunistisches Regime, das in Äthiopien nach dem Sturz des Kaisers Haile Selassie 1974 viele Hunderttausend Tote forderte. Er sagt, er habe Respekt vor der historischen Leistung der TPLF, aber glaubt nicht, dass sie den Weg in eine gute Zukunft weisen kann. Zu autoritär, zu korrupt, zu gestrig. Dennoch könnten sich viele nicht vorstellen, etwas anderes zu wählen als die Befreier von damals.

"Wir stecken in vielen Bereichen noch in der Vergangenheit fest", sagt Tedros. So viele Bauern seien so strenge Anhänger der orthodoxen Kirche, dass sie fast den halben Monat damit verbrächten, verschiedenste Feiertage einzuhalten, anstatt auf den Feldern zu sein. Tedros wünscht sich Demokratie und Chancen. Und glaubt nicht, sie in Tigray zu finden. Er will in die Hauptstadt Addis Abeba und von dort ins Ausland, um Umwelttechnologie zu studieren. Aber erst einmal sitzt er in Tigray fest, weil die Regierung von Abiy Männern von 18 bis 65 Jahren nicht erlaubt, die Region zu verlassen, eine Begründung gab es nicht. Mekele ist immer noch eine Art Gefängnis.

Die TPLF hat sich bisher noch nicht öffentlich geäußert zur Verhinderung der Ausreise, die allen Friedensabkommen widerspricht. Vielleicht ist sie sogar in ihrem Interesse, weil die Partei Angst hat, dass vor allem die Gebildeten und Motivierten woanders nach Chancen suchen. Die Flüge aus Mekele in die Hauptstadt Addis Abeba sind auf Wochen ausgebucht, in umgekehrter Richtung nicht.

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