Migration:Tod auf der Südroute

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Fünftausend Kilometer oder mehr müssen Ostafrikaner überwinden, wenn sie nach Südafrika wollen. Eine Reise voller Gefahren. (Foto: Nariman El-Mofty/AP)

27 Äthiopier haben auf dem Weg nach Südafrika ihr Leben verloren. Sie wollten Armut und Krieg entfliehen - wie Zehntausende Ostafrikaner jedes Jahr. Doch am Ziel ihrer Träume wächst der Ausländerhass.

Von Bernd Dörries, Kapstadt

Sie lagen einfach da, als ob jemand sie abgeladen hätte wie Müll. So berichten es Zeugen, die die Menschen gefunden haben. 28 Menschen am Straßenrand in einem Vorort von Sambias Hauptstadt Lusaka - 27 waren tot, einer rang noch nach Luft. Die Toten brachte die Polizei am Sonntag in die Gerichtsmedizin der Universität von Lusaka, den Überlebenden in ein Krankenhaus. Wahrscheinlich aus Äthiopien sollen die Verstorbenen stammen, teilte die Polizei mit, es seien alles Männer, zwischen 20 und 38 Jahren. Die äthiopische Regierung kündigte an, Vertreter nach Sambia zu schicken, um den Tod ihrer Staatsbürger zu untersuchen.

Man kann davon ausgehen, dass sie wie so viele Migranten auf dem Weg nach Südafrika waren, die sogenannte südliche Route benutzen wollten: von Äthiopien durch Kenia, Tansania, Sambia, Mosambik und Simbabwe. Sie ist weit weniger bekannt als die anderen Wege, auf denen Migranten und Flüchtlinge ihre Heimat verlassen: die Balkan- und die Mittelmeerroute.

Die Migration auf dem afrikanischen Kontinent übertrifft die nach Europa bei Weitem

Nicht wenige Europäer gehen davon aus, dass afrikanische Migranten alle nach Berlin oder Paris wollen. Tatsächlich aber ist die Migration innerhalb von Afrika weit größer als die nach Europa. In manchen Regionen hat sie eine lange Tradition: Aus Niger ziehen die jungen Männer für einige Monate oder Jahre nach Libyen oder an die Elfenbeinküste - und gehen danach zurück in die Heimat. Andere sehen zu Hause gar keine Perspektive. Somalier etwa flüchten jedes Jahr zu Zehntausenden vor Bürgerkrieg und Armut, viele davon nach Südafrika, wo es bereits eine große somalische Gemeinschaft gibt.

Zuletzt hat auch die Zahl der Migranten aus Äthiopien zugenommen, die sich in ihrer Heimat keine Zukunft vorstellen können. Seit zwei Jahren tobt in dem 120 Millionen-Einwohner-Land der Bürgerkrieg, erst im Norden, in der Region Tigray, mittlerweile aber auch in Oromia im Zentrum des Landes. Selbst wer nicht direkt von den Kämpfen betroffen ist, kann den Konsequenzen nicht entkommen: Die Inflation steigt, die Wirtschaft schrumpft. Südafrika wirkt aus äthiopischer Perspektive wie ein großes Versprechen.

Die Toten aus Sambia, sie sind noch namenlos, ihre Träume endeten in einem Albtraum und schließlich im Tod. Die äthiopische Regierung will ihr Schicksal aufklären, zu viel muss man nicht geben auf solche Versprechen. Vor zwei Monaten wurden 30 äthiopische Migranten in einem Massengrab in Malawi entdeckt, zwei Jahre zuvor 64 Männer tot in einem Container in Mosambik. Wie sie gestorben sind, weiß man bis heute nicht. Die Regierungen entlang der Route schauen dem Sterben meist gleichgültig zu. In Äthiopien und Somalia sind Flüchtlinge potenzielle Devisenbringer, die aus der neuen Heimat Geld nach Hause schicken. Länder von Kenia bis Simbabwe sind einfach nur froh, wenn die Migranten schnell weiter ziehen.

Viele Flüchtlinge sterben unentdeckt

Für die Internationale Organisation für Migration (IOM) hingegen unterstreichen die neuen Todesfälle die Notwendigkeit, dass die Regierungen entlang der Route ihre Kooperation verbessern. "Migranten sind auf dieser Route oft der Inhaftierung, Gewalt und sogar dem Tod ausgesetzt", sagte eine IOM-Sprecherin. Mindestens 1000 Flüchtlinge sind der UN-Organisation zufolge seit 2014 auf dem Weg ins südliche Afrika ums Leben gekommen. Allerdings stützt sich diese Zahl lediglich auf Medienberichte, es ist anzunehmen, dass viele Flüchtlinge unentdeckt sterben.

Vor allem junge Männer werden mit dem Versprechen auf eine feste Arbeit in Südafrika angelockt. Sind sie erst einmal unterwegs, erpressen die Schlepper oft weiteres Geld, Essen gibt es nur alle drei Tage, so schildern es Überlebende. Die Migranten müssen Wälder und Flüsse durchqueren, in denen es Nilpferde und Krokodile gibt; auf Teilen der Route werden sie in LKWs transportiert, die oftmals kaum belüftet sind. Eine medizinische Versorgung gibt es nicht.

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Diejenigen, die es bis nach Südafrika schaffen, erwartet eine andere Realität als von den Schleppern beschrieben. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, die Ausländerfeindlichkeit hat zugenommen. Seit Mitte 2021 organisiert die von schwarzen Südafrikanern unterstützte "Operation Dudula" ausländerfeindliche Märsche und Aktionen. In Johannesburg und anderen großen Städten zieht ein Mob durch die Einkaufszentren, bedroht Ladenbesitzer und fordert sie auf, nur Südafrikaner einzustellen.

Die Forderungen von Dudula sind teilweise auch bei Politikern des regierenden ANC auf Sympathie gestoßen. "Illegale ausländische Staatsangehörige müssen in ihre Heimat zurückgebracht werden, denn wir können uns keine Verbrechen leisten, die von Ausländern ohne Papiere begangen werden", sagte ein ANC-Sprecher im August. Dabei belegen Studien, dass Ausländer in Südafrika nicht für mehr kriminelle Taten verantwortlich sind als Südafrikaner. Dem ANC kommt die Debatte aber gelegen, um von seinem jahrzehntelangen Versagen abzulenken.

Doch von dem Hass auf Ausländer ist in Äthiopien und Somalia bisher wenig angekommen. Die Migranten werden sich weiter auf den Weg machen, trotz aller Gefahren. Sie sehen keine Alternative.

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