Äthiopien:Einsame Revolutionäre

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Durch den Frieden zwischen Eritrea und Äthiopien eröffnet sich die einmalige Gelegenheit zur Veränderung. Auch für Europa und seine Flüchtlingskrise. Deutschland muss jetzt aktiv werden.

Von Bernd Dörries

Als in Äthiopien im Herbst 2016 der Ausnahmezustand herrschte, als Oppositionelle erschossen oder eingesperrt wurden, reiste Angela Merkel trotzdem dorthin. Die Bundeskanzlerin mahnte Reformen an, die damals kaum jemand für möglich hielt. Jetzt werden die Reformen plötzlich angegangen, befindet sich Äthiopien in einer atemberaubenden Revolution. Es schließt mit Eritrea einen historischen Frieden und entlässt die politischen Gefangenen. Es geschieht all das, was in Deutschland schon lange gefordert wird. Und was machen Angela Merkel und die Bundesregierung? Nichts. Sie ignorieren den epochalen Wandel, tun so, als wäre nichts passiert, nicht einmal ein Telefonat von Merkel mit dem neuen äthiopischen Regierungschef Abiy Ahmed war bisher möglich: Terminschwierigkeiten, heißt es im Auswärtigen Amt.

Seit zwei Jahren sprechen die Staatengruppe G 20 und Deutschland von einem neuen Ansatz in Afrika, produzieren sie Initiativen und Programme, einen "Marshallplan für Afrika" und eine "Compact with Africa"-Initiative, bei der auch Äthiopien ein Partner ist. Das klang nach Aufbruch, von Investitionen war die Rede, von Arbeitsplätzen, die Fluchtursachen beseitigen sollen. Man sieht nun im Fall von Äthiopien und Eritrea, was von solchen Initiativen zu halten ist. Wenn es drauf ankommt, leider nur sehr wenig. Man lässt die Partner im Stich.

Aus Eritrea kommen im Verhältnis zur Bevölkerungszahl so viele Flüchtlinge nach Deutschland wie aus keinem anderen afrikanischen Land. Durch den Frieden mit Äthiopien eröffnet sich die einmalige Gelegenheit zur Veränderung. Im Auswärtigen Amt scheint man das nicht so zu sehen, man will ausgerechnet jetzt einen neuen Botschafter nach Asmara schicken, weil die Zeit des amtierenden abgelaufen ist. Andere Länder wären froh, dort in diesen Zeiten einen Mann mit guten Kontakten sitzen zu haben, Deutschland nicht.

Es gibt in Berlin offenbar keinerlei Plan dafür, wie man reagiert, wenn Veränderungen, die man jahrzehntelang gefordert hat, plötzlich eintreten. So verspielt Deutschland womöglich eine Chance, für die das Adjektiv historisch angemessen ist. Denn die Reformen in Äthiopien und vielleicht auch in Eritrea werden nur gelingen, wenn sie die versprochenen Veränderungen bringen, wenn sie im Leben der Menschen spürbar sind. Es geht um Arbeitsplätze und Perspektiven für die Zukunft - die in Äthiopien deutlich besser wirken als in vielen anderen afrikanischen Ländern.

Die neue Regierung hat die staatlichen Konzerne für Investoren geöffnet. Warum beteiligt sich Deutschland nicht? Die deutsche Privatwirtschaft traute sich bisher kaum, in Afrika zu investieren. Warum also gibt die Bundesregierung nicht jenen Konzernen, an denen sie beteiligt ist, einen Schubs? Warum verzettelt sich die Deutsche Bahn mit der Paketzustellung in Lappland statt eine Strecke in Äthiopien zu betreiben? Warum investiert die Telekom nicht in ein Land mit 100 Millionen Einwohnern, einen Zukunftsmarkt? Einer muss den Anfang machen, zeigen, dass sich in Afrika auch Geld verdienen lässt.

Der jüngste Gedanke der Bundesregierung zu Afrika war es, einen EU-Kommissar für den Kontinent zu schaffen, obwohl es nicht an Ministerien und Sonderbeauftragten mangelt, die Pläne und Initiativen für Afrika entwickeln. Aber warum fährt in diesen historischen Tagen niemand hin? Oder greift zumindest zum Telefon?

© SZ vom 27.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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