Süddeutsche Zeitung

Äthiopien:Alle sind für Frieden - und kämpfen weiter

Im äthiopischen Bürgerkrieg mangelt es nicht an Vermittlern. Aber am Willen der Konfliktparteien, tatsächlich die Kämpfe zu beenden.

Von Bernd Dörries, Kapstadt

Am Sonntag klang es schon fast ein wenig so, als sei Olusegun Obasanjo bereits mit seiner Geduld am Ende. Der ehemalige Präsident Nigerias ist erst seit August Sondergesandter der Afrikanischen Union für das Horn von Afrika; als solcher soll er eine Lösung finden für den Krieg in Äthiopien, der bisher wohl Zehntausende Menschen das Leben gekostet hat. Hunderttausende sind auf der Flucht, Millionen leiden an Unterernährung. Obasanjo hatte in den vergangenen Tagen immer von einem kleinen Zeitfenster gesprochen, das sich nun geöffnet habe: eine Chance, zumindest einen Waffenstillstand zwischen den Konfliktparteien zu erreichen, der dann dazu führen könnte, Friedensverhandlungen aufzunehmen.

Fast eine Woche lang pendelte Obasanjo zwischen den gegnerischen Parteien hin und her, traf Äthiopiens Ministerpräsident Abiy Ahmed und die Führer der abtrünnigen Provinz Tigray im Norden, dazu noch die Vertreter anderer Volksgruppen. Zwar seien alle für Frieden, sagte Obasanjo nach seiner Reise, wie dieser zu erreichen sei, darüber bestehe aber keine Einigkeit. "Ich appelliere an alle Konfliktparteien, ihre militärischen Offensiven einzustellen", sagte Obasanjo am Sonntag. Es klang nicht so, als habe er bemerkenswerte Fortschritte erzielt.

Vor einem Jahr begann der Krieg in Äthiopien, der sich vor allem darum dreht, welche Volksgruppe wie viel Macht hat in dem Riesenreich mit 111 Millionen Einwohnern und mehr als 80 Volksgruppen. Fast 30 Jahre lang hatten die Vertreter der Tigray mit ihrer Volksbefreiungsfront TPLF Politik und Wirtschaft dominiert, obwohl sie nur sechs Prozent der Bevölkerung stellen. Im Frühjahr 2018 kam nach langen Protesten gegen die TPLF-Dominanz in Abiy Ahmed erstmals ein Vertreter der größten Gruppe der Oromo an die Macht. Er schloss Frieden mit dem Erzfeind Eritrea, mit der Elite der entmachteten TPLF dagegen kam er nicht zu einem Ausgleich. Seitdem eskaliert der Konflikt. Mittlerweile versuchen die USA zu vermitteln, haben sich Kenia und Uganda eingeschaltet.

Die TPLF-Truppen stehen etwa 300 Kilometer vor der Hauptstadt, sie haben mittlerweile Bündnisse mit acht anderen Rebellengruppen geschlossen, deren Stärke bis auf die Befreiungsarmee von Oromia (OLA) aber eher zu vernachlässigen ist. Wie viele Kämpfer die TPLF und ihre Verbündeten haben, ist schwer zu sagen, Experten gehen von mehreren Hunderttausend aus. Viele von ihnen sind aus der äthiopischen Bundesarmee (ENDF) desertiert, deren Stützpunkte im Norden sie plünderten. In den vergangenen Tagen hat die TPLF immer wieder versucht, die strategisch wichtige Straße zum Hafen von Dschibuti zu erobern, über die Äthiopien, das keinen Meerzugang besitzt, die meisten Güter bezieht.

Die Einwohner der Hauptstadt sollen sich mit allem bewaffnen, was sie finden können

Viele Kommandostrukturen der ENDF sind mittlerweile nach Ansicht von Beobachtern teilweise zusammengebrochen, allerdings soll die Bundesarmee Drohnen aus der Türkei, Iran und China bekommen haben. Ministerpräsident Abiy Ahmed setzt neben Bombardements aus der Luft vor allem auf die Jugend, die dazu aufgerufen wird, sich Milizen anzuschließen zur Verteidigung der Hauptstadt und des föderalen Äthiopien. Die Einwohner der Hauptstadt sollen sich mit allem bewaffnen, was sie finden können.

Vor einer Woche kamen in Addis Abeba Zehntausende Menschen auf den zentralen Meskel Square, um für Abiy Ahmed zu demonstrieren und den Krieg zu unterstützen. Sie demonstrierten gegen westliche Medien wie CNN und deren Berichterstattung; der US-Sender hatte kürzlich fälschlicherweise behauptet, die Rebellen der TPLF stünden bereits in "den Vororten" von Addis Abeba. Die Bürgermeisterin von Addis Abeba, Adanech Abebe, sagte der jubelnden Menge, die derzeitige Krise Äthiopiens sei eine Verschwörung der westlichen Mächte, der nur mit der Mobilisierung der Massen zu begegnen sei. Nur ein Redner der Veranstaltung wollte nicht mitmachen beim Kriegsgeheul.

"Die Jugend soll nicht an die Front gehen, um zu kämpfen, sondern die Älteren sollen das frische Gras halten und um Versöhnung bitten", sagte der populäre Sänger Tariku Gankisi. Das Gras ist in Äthiopien ein Symbol des Friedens - das derzeit aber nicht besonders gefragt ist. Tariku wurde das Mikrofon abgedreht, in den Tagen nach seinem Auftritt bekam er so viele Todesdrohungen, dass er sich in Talkshows tränenreich für seinen Auftritt entschuldigte.

Moderate Stimmen sind derzeit auf keiner Seite sonderlich gefragt. Keine Partei könne den Konflikt militärisch gewinnen, sagt der AU-Vermittler Obasanjo, der bisher aber auch noch keine andere Lösung gefunden hat, die alle akzeptieren.

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