Äthiopien:"Bringt unsere Studenten zurück"

EthiopiaÕs Prime Minister Abiy Ahmed arrives at the Parliament buildings to address the legislators on the current situation of the country in Addis Ababa

Friedensnobelpreisträger Abiy Ahmed gerät unter Druck: In Äthiopien eskaliert die Gewalt. Der Premierminister muss dringend handeln.

(Foto: Tiksa Negeri/REUTERS)

Nach der Entführung von 18 jungen Menschen wächst die Wut auf die Regierung sowie Premier Abiy Ahmed.

Von Anna Reuß

Mehrere Tausend Demonstranten gingen in den vergangenen Wochen in äthiopischen Städten auf die Straße und forderten Premier Abiy Ahmed auf, mehr gegen die schwelende ethnische Gewalt zu tun. Auslöser war die Entführung einer Gruppe von Universitätsstudenten. Abiy, der erst 2019 den Friedensnobelpreis für seine Rolle im Annäherungsprozess mit dem Nachbarland Eritrea bekam, gerät deshalb zunehmend unter Druck. Schon seit einiger Zeit wird ihm vorgeworfen, zu wenig gegen die eskalierende ethnische Gewalt in Äthiopien zu tun.

Anfang Dezember entführten bewaffnete Männer mehrere Studenten der Dembi-Dollo-Universität in der Region Oromia, wo hauptsächlich Angehörige der Oromo-Volksgruppe leben. Sie wurden entführt, als sie auf dem Weg von ihren Vorlesungen nach Hause waren. Über die genaue Zahl gibt es unterschiedliche Angaben. Der äthiopischen Menschenrechtsvereinigung zufolge waren es 18, davon 14 Frauen. Die meisten gehören zu den Amharen. Immer wieder kam es in der Vergangenheit zwischen Oromo und Amharen, die zusammen zwei Drittel der Bevölkerung des Landes ausmachen, zu Zusammenstößen. Laut Medienberichten auch an der Universität, an der die Entführten eingeschrieben waren. Bei den Unruhen waren mehrere Studenten getötet worden.

Das Verschwinden der Studenten brachte in mehreren Städten Massen auf die Straßen: Tausende Menschen nahmen aus Wut und Frustration an friedlichen Kundgebungen teil, um gegen das vermeintliche Versagen ihrer Regierung zu protestieren. Diese hatte Ende Januar erklärt, mehrere Opfer befreit zu haben, allerdings sagten Verwandte äthiopischen Medien zufolge, sie hätten noch immer nichts von ihnen gehört. Verwandte haben eine Kampagne unter dem Hashtag #BringBackOurStudents gestartet. Sie erinnert an die #BringBackOurGirls-Kampagne - Bringt unsere Mädchen zurück - für in Nigeria von Terroristen der Boko Haram entführte Mädchen. 2014 hatte radikal-islamistische Miliz mehr als 200 Schulmädchen in ihre Gewalt gebracht.

Abiy Ahmed lockerte die Zensur und entließ politische Gefangene. Doch das hatte seinen Preis

Unter #BringBackOurStudents schreiben Äthiopier in sozialen Netzwerken von ihrer Wut auf die Staatsführung an: Die Regierung von Abiy Ahmed mache solch "schreckliche Verbrechen" mit ihrer Untätigkeit erst möglich, ist etwa bei Twitter zu lesen. Abiy Ahmed sei der "Champion der guten Nachrichten", aber feige, sich der Realität zu stellen, schreibt ein anderer Nutzer. "Scheiß auf die Reformen", meint ein weiterer.

Solche Aussagen passen nicht so recht zum Image des Premierministers. Vergangenes Jahr war ihm der Friedensnobelpreis verliehen worden für die Unterzeichnung eines Friedensabkommens mit dem Nachbarland Eritrea, gegen das Äthiopien einen blutigen Krieg führte. In dieser Zeit waren Tausende Familien getrennt worden. Das Komitee begründete die Entscheidung damit, dass Abiy einen bedeutenden Beitrag zum Frieden geleistet habe.

Abiy hatte es sich als Premier zum Ziel gemacht, das Land zu reformieren und versprach nichts weniger als "Freiheit und Demokratie". Ihm war es seit seinem Amtsantritt 2018 gelungen, das Land auf einen neuen Kurs zu bringen: Er lockerte die Zensur, entließ politische Gefangene, besetzte das Kabinett paritätisch und ermutigte Dissidenten im Ausland dazu, zurückzukommen. Die Euphorie im Land schien groß zu sein - auf den Straßen herrschte eine regelrechte "Abiymania".

Allerdings hat die schrittweise Liberalisierung ihren Preis: Abiys Vorgänger wussten in dem Vielvölkerstaat ethnische Spannungen zu unterdrücken. Im vergangenen Juni meldeten staatliche Medien einen Putschversuch: Auftragsmörder hätten den Präsidenten des Bundesstaates Amhara und den Generalstabschef der nationalen Armee umgebracht, sagte der Premierminister damals. Ein abtrünniger General war schnell als Verantwortlicher ausgemacht. Im Herbst stand Abiy allerdings vor der bisher schwersten Krise seiner Amtszeit, nachdem bei von ethnischer und religiöser Zugehörigkeit angeheizten Unruhen mehrere Menschen getötet wurden. Von "Abiymania" ist immer seltener die Rede.

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