Was die ärztliche Versorgung auf dem Land angeht, ist die Welt noch einigermaßen in Ordnung, bisher jedenfalls. Seit Jahren wachen Forschungsinstitute darüber, wie lange es außerhalb der Großstädte und Ballungszentren dauert, um den nächsten Arzt, die nächste Apotheke, das nächste Krankenhaus zu erreichen. Die Ergebnisse dieser Studien ähneln sich: Die Versorgung auf dem Land ist schlechter als in der Stadt. Aber immer noch gut. Doch es mehren sich die Fragezeichen, wie lang das so bleibt.
Fachkräftemangel und demografische Entwicklung setzen den Gesundheitssektor wie so viele andere Branchen zunehmend unter Druck. Laut Prognosen wird sich in den kommenden fünf Jahren bis zu ein Drittel der Hausärzte in den Ruhestand verabschieden. Gerade auf dem Land tun sich Praxisinhaber schon jetzt schwer, ihre Nachfolge zu regeln. Es fehlen junge Leute, die bereit sind, das Wagnis der Selbständigkeit auf sich zu nehmen, noch dazu in der Provinz.
Immer mehr Ärzte arbeiten in Teilzeit
Wohl auch deshalb ist die Zahl der Hausärzte in den dünn besiedelten Regionen etwas stärker gesunken als in den Städten, wie es dem Gleichwertigkeitsbericht der Bundesregierung zu entnehmen ist.
Und die reinen „Kopfzahlen“ geben die Wirklichkeit nur unzureichend wieder. Seit Jahren lässt sich nämlich bei Ärztinnen und Ärzten der Trend zur Teilzeit beobachten. Das heißt: Ihre Zahl verändert sich vielleicht nicht groß, aber in ihrer Gesamtheit arbeiten sie weniger als früher. Der Trend zu mehr Work-Life-Balance verträgt sich insbesondere nicht mit dem Berufsbild des selbstlosen Landarztes, der zu jeder Tages- und Nachtzeit seinen in allen Himmelsrichtungen verstreuten Patienten beisteht und sie notfalls auch aufsucht.
Noch schwieriger ist es, auf dem Land Fachärzte zu finden. Das Thünen-Institut in Braunschweig kam 2017 zu dem Ergebnis, dass zwar 98 Prozent der ländlichen Bevölkerung innerhalb von 15 Minuten mit dem Auto einen Hausarzt erreichen können. Aber bei den Urologen oder Psychologen gilt das nur für die Hälfte. Und nur 25 Prozent der Landbewohnerinnen und Landbewohner haben einen Kieferchirurgen in der Nähe. Kompliziert wird ein Termin beim Facharzt erst recht für alte Menschen, die auf den öffentlichen Nahverkehr angewiesen sind.
Bis die Klinikreform greift, könnten viele Krankenhäuser verschwunden sein
Völlig offen ist schließlich die Zukunft ländlicher Krankenhäuser. Viele Betreiber klagen über Defizite, die ihre Existenz gefährden. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat zwar versprochen, sie mit sogenannten Vorhaltepauschalen besser zu finanzieren als bisher. Die Krankenhäuser sollen 60 Prozent ihres Budgets dafür bekommen, dass sie Personal und Ausrüstung zur Behandlung von Patienten vorhalten. Aber noch streiten sich Bund und Länder über die Reform. Sollten sie sich einigen, wird es Jahre dauern, bis die Maßnahmen tatsächlich greifen. Bis dahin, fürchten nicht wenige Fachleute, könnten viele Häuser von der Landkarte verschwunden sein – auch solche, die für die Versorgung dringend gebraucht würden.
Betroffene Regionen zahlen einen hohen Preis. Neben der ärztlichen Versorgung durch Praxen sind auch Krankenhäuser ein wesentlicher Faktor dafür, ob sich Menschen auf dem Land ansiedeln und dort auch bleiben. Gerade in dünn besiedelten Regionen sind Kliniken wichtige Arbeitgeber und Wirtschaftsfaktor zugleich, an ihnen hängt auch die Existenz dort ansässiger Baubetriebe, Gebäudereiniger oder Taxiunternehmen. Stirbt ein Krankenhaus, hat das auch Folgen für den medizinischen und pflegerischen Nachwuchs in der Region. Es fehlen Ausbildungs- und Praktikumsplätze. Für junge Ärztinnen und Ärzte, die überlegen, nach dem Studium zurück in die Heimat zu kehren, fällt eine Option weg.
Der Berliner Arzt Hans-Peter Schlaudt, der Unternehmen der Gesundheitsbranche berät, warnt deshalb vor einer Negativspirale: Krankenhäuser schließen, die Bevölkerung wandert ab, Landstriche verarmen. Er vermisst eine „regionale ganzheitliche Planung und Steuerung der Gesundheitsversorgung“, um solche Verwerfungen zu verhindern. Das Problem beginnt aus seiner Sicht schon bei der Ermittlung des Bedarfs von Gesundheitsleistungen. Er bemesse sich in Deutschland seit Jahrzehnten an deren Inanspruchnahme. Im Ergebnis bedeute das: Wo es viele Kliniken und Praxen gibt, die von Patienten besucht werden, wird auch ein Bedarf für die Zukunft festgestellt. Damit bleibe „das Versorgungsangebot dort hoch, wo es tradiert viele vorgehaltene Kapazitäten gibt“. Die Unterversorgung auf dem Land dagegen werde nicht erkannt: Die Menschen dort können ja schlecht Kliniken und Praxen besuchen, die es nicht gibt. Daraus zu schließen, dass sie keine bessere Versorgung wünschen, wäre falsch.