Süddeutsche Zeitung

Ärztemangel in der Bundeswehr:550 Mediziner fehlen

Der scheidende Wehrbeauftragte Reinhold Robbe kritisierte im Frühjahr den Ärztemangel in der Bundeswehr. Daran hat sich kaum etwas geändert.

Peter Blechschmidt

"Die Personalsituation im Sanitätsdienst der Bundeswehr ist insgesamt als weiterhin kritisch anzusehen." Dies schreibt der Staatssekretär im Verteidigungsministerium, Rüdiger Wolf, in der Antwort auf eine Anfrage des stellvertretenden Vorsitzenden der FDP-Fraktion im Bundestag, Jürgen Koppelin. Etwa 550 Arztstellen, fast ein Sechstel des gesamten Stellenplans, sind derzeit nicht besetzt. Wolf führt dies auf die im Vergleich zum zivilen Bereich niedrige Bezahlung, die häufigen Auslandseinsätze und die schlechte Vereinbarkeit von Dienst und Familie zurück.

Koppelin wertet die ausführliche Stellungnahme Wolfs als Beleg dafür, "dass das Sanitätswesen seit Jahren total vernachlässigt worden ist". Auch der frühere Wehrbeauftragte des Bundestages, Reinhold Robbe, hatte bei seinem Abschied aus dem Amt im März dieses Jahres kritisiert, das Sanitätswesen sei "regelrecht vor die Wand gefahren" worden. Seitdem hat sich nicht viel gebessert, wie das Wolf-Papier zeigt.

Nach den jüngsten Zahlen des Verteidigungsministeriums sind von 3496 Soll-Stellen für Sanitätsoffiziere - dazu zählen neben den Ärzten auch Zahnärzte, Apotheker und Veterinäre - 353 Posten vakant. Hinzu kommen etwa 200 Stellen, die zwar nominell besetzt sind, deren Inhaber aber wegen Schwangerschaft, Mutterschutz oder Teilzeitbeschäftigung nicht zur Verfügung stehen.

Laut Staatssekretär Wolf hat die Bundeswehr zwischen 2007 und 2009 per Saldo 60 Ärzte verloren - ein Rückgang von 3148 auf 3088 auf den ohnehin schon viel zu geringen Stand. Besonders dramatisch war der Aderlass im Jahr 2008, als der Bundeswehr 120 Ärzte von der Fahne gingen. Zugleich sind die Anforderungen aufgrund der Auslandseinsätze stark gestiegen.

Ziviler Personalausgleich

Die Folgen des Ärztemangels müssen durch zivile Mediziner ausgeglichen werden. Wurden 2007 und 2008 jeweils knapp 6 Millionen für Vertragsärzte ausgegeben, waren es 2009 schon 10,6 Millionen. In den vier Bundeswehr-Krankenhäusern Berlin, Hamburg, Ulm und Westerstede häuften im Jahr 2009 rund 300 Ärzte insgesamt 40.000 Überstunden an, die nicht genommen werden konnten. Die sogenannte Tagesantrittsstärke, also die Zahl derer, die tatsächlich zum Dienst erscheinen, lag bei den Truppenärzten im ersten Halbjahr 2010 bei 49 Prozent. Für einen ordnungsgemäßen Betrieb müssten täglich mindestens 75 Prozent der Mediziner im Einsatz sein.

Es ist nicht so, dass die Bundeswehr nicht auf diese Entwicklung reagiert hätte. Fachärzte und Rettungssanitäter bekommen jetzt 600 Euro pro Monat als Zulage. Bessere Organisation soll den Ärzten bei der Aus- und Fortbildung mehr Planungssicherheit geben. Doch das reicht nicht aus. "Insbesondere in einsatzrelevanten und anspruchsvollen klinischen Fachgebieten" könnten derzeit nicht genügend junge Ärzte gewonnen werden, schreibt Wolf.

"So kann es mit unserem Sanitätswesen nicht weitergehen", sagte Koppelin am Donnerstag der Süddeutschen Zeitung. Im Haushalt 2011 sollen vorerst 25 bis 30 Millionen Euro mehr für den Sanitätsdienst bereitgestellt werden, sagte der FDP-Politiker, der auch im Haushaltsausschuss für den Verteidigungsetat zuständig ist.

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Quelle:
SZ vom 15.10.2010/leja
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