Süddeutsche Zeitung

Ärzte gegen FDP:Meuterei der Weißkittel

Mediziner gelten als Unterstützer der FDP. Doch seit der Bundestagswahl wächst die Wut der Ärzte, die sich in Internet-Foren äußern. Dort zeigt sich: Ärzte würden vieles wählen - nur nicht mehr die FDP.

Thorsten Denkler

Was einst die Gewerkschaften für die SPD waren, waren die Ärzte für die FDP. Stimmungsmacher für die eigene, gute Sache. Noch im Bundestagswahlkampf hingen in vielen Arztpraxen Plakate, mit denen gegen die Gesundheitspolitik von SPD-Ministerin Ulla Schmidt agitiert wurde. Viele Ärzte scheuten nicht davor zurück, Pro-FDP-Plakate ins Wartezimmer zu hängen, damit die Patienten nicht übersehen, wo sie bei der Bundestagswahl ihr Kreuz zu machen haben.

Die Mehrheit der Ärzteschaft war gewillt, die Liberalen zu wählen und tat dies auch. In verschiedenen Umfragen unter Ärzten hatte die FDP vor der Wahl grandiose Zustimmungswerte von bis zu 80 Prozent. Ihre große Hoffnung: Die FDP werde sicher alles dafür tun, dass es den darbenden Ärzten wieder bessergeht.

Grenzenloser Optimismus

Als dann auch noch klar war, dass mit FDP-Mann Philipp Rösler ein Arzt Bundesminister für Gesundheit werden würde, haben sich manche schon die Hände gerieben. Ein Arzt in diesem Amt, da mussten die Kassen doch klingeln.

Vorbei, vorbei. Sechs Monate nach der Wahl sind die Weißkittel von der FDP vor allem eines: enttäuscht.

Auf der Internetseite hippokranet.de, einem Forum für Ärzte aller Fachrichtungen, ist dieser Tage die Hölle los. In Tausenden Kommentaren machen die Mediziner ihrem Ärger Luft. "Als Liberaler habe ich mich noch nie so unwohl gefühlt wie heute", schreibt einer. Ein anderer: "Aufwachen, wir wurden im September 2009 getäuscht, verraten und verkauft!" Weitere Wortmeldungen fallen nicht besser aus und richten sich oft direkt an den Gesundheitsminister und FDP-Jungstar: "Röslers Pläne erinnern an die vergangene DDR", moniert einer. Ein anderer: "Ulla Rösler" sei auf dem Weg "in die totale Planwirtschaft!"

Vermehrt kritische Stimmen

Der Chefredakteur von hippokranet.de, Jan Scholz, umschreibt im Gespräch mit sueddeutsche.de den Stimmungswandel noch vorsichtig so: "Anders als kurz nach der Regierungsübernahme registrieren wir in den vergangenen Wochen vermehrt kritische Stimmen gegenüber der FDP in den Diskussionen der Ärzte." Doch wie groß der Brass der Ärzte auf die FDP tatsächlich ist, haben Scholz und seine Mannschaft genau gemessen.

Die Macher des Internetportals, auf dem nach eigenen Angaben mehr als 40.000 Ärzte registriert sind und von den Nutzern finanziert wird, haben ihre Mitglieder zur FDP befragt. 2000 haben geantwortet. Die Erhebung erfüllt sicher nicht alle Vorgaben der modernen Demoskopie, aber als Stimmungsbild hat das Ergebnis eine beachtliche Aussagekraft. Es zeigt, dass die Partei es in Teilen derzeit nicht mal mehr schafft, ihre Stammwähler zu mobilisieren. Die einstigen Kreuzritter der FDP belieben zu meutern.

83 Prozent der Befragten gaben an, am 27. September 2009 FDP gewählt zu haben. Wenn aber jetzt Bundestagswahl wäre, würden nur noch 38 Prozent ihr Kreuz bei den Liberalen machen. Ein niederschmetterndes Ergebnis für eine Partei, für die die Ärzteschaft zu den wichtigsten Wählergruppen gehört.

Wichtige Multiplikatoren

Es kommt noch schlimmer: Weit mehr als 60 Prozent der Befragten bejahen, die FDP im Bundestagswahlkampf unterstützt und sogar aktiv Werbung für die Partei gemacht zu haben. Das war einmal. Die Lage hat sich um 180 Grad gewandelt. Heute zeigen sich gerade noch 13,5 Prozent zufrieden mit der Gesundheitspolitik der FDP. Der Anteil derjenigen, die die FDP ihren Patienten empfehlen würden, hat sich auf 31,6 mehr als halbiert.

Das ist ein besonders schmerzlicher Wert für die FDP. Die Gruppe der Ärzte ist zwar nicht zwingend wahlentscheidend. Aber Ärzte sind als Vertrauenspersonen ihrer Patienten wichtige Multiplikatoren. Wenn der Arzt ein Medikament verschreibt, wird das genommen. Wenn der Arzt eine Partei empfiehlt, dann wird die oft auch gewählt.

Die Gründe für den Liebesentzug der Ärzte liegen auf der Hand, oder besser in den Händen von Gesundheitsminister Rösler. Der weigert sich zunehmend, Ärzteinteressen wahrzunehmen.

Jüngster Vorschlag: Um die Überversorgung mit Ärzten in Ballungsräumen zu stoppen, sollen Mediziner ihre Praxen bei Aufgabe nicht mehr verkaufen dürfen. Stattdessen sollen sie eine Entschädigung bekommen, wenn sie etwa aus Altergründen dichtmachen. So will Rösler mehr Ärzte dazu motivieren, ihr Glück auf dem Land zu versuchen, wo es ganze Gegenden gibt, in denen es keinen Hausarzt mehr gibt.

Ein empörter Mediziner schreibt auf hippokranet.de im Forum: "Herr Rösler, Sie sind dabei, Niedergelassene um ihre Lebensleistung zu betrügen." Ein anderer sekundiert: "Der Versuch, Arztpraxen zu enteignen, sollte in der FDP zum Parteiausschlussverfahren führen."

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