Migration:Zwölf Tote bei Bootsunglück im Ärmelkanal

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Rettungskräfte in Boulogne-sur-Mer, Frankreich nach der Bergung der Toten. (Foto: DENIS CHARLET/AFP)

Unter den Opfern sind auch Minderjährige. An Bord des Flüchtlingsboots waren offenbar noch weitere Personen, die allerdings gerettet werden konnten.

Beim Kentern eines Boots im Ärmelkanal sind zwölf Menschen ums Leben gekommen. Die meisten von ihnen seien Frauen, sagte Frankreichs amtierender Innenminister Gérald Darmanin. Auch Minderjährige seien unter den Opfern. Weitere Menschen wurden bei dem Unglück verletzt. Am Abend befanden sich nach Angaben des Innenministers noch zwei Verletzte in Notversorgung. Laut der Meerespräfektur gab es am späten Abend keine Vermissten mehr.

Die maritime Präfektur teilte mit, bei der Rettungsaktion vor dem Küstenort Le Portel bei Boulogne-sur-Mer seien 65 Menschen aus dem Wasser gezogen worden. Zwölf von ihnen hätten nur noch tot geborgen werden können. Alle Personen, die mit dem Boot Richtung Großbritannien unterwegs war, seien ins Meer gestürzt. Bei der Rettungsaktion waren zahlreiche Schiffe und Hubschrauber im Einsatz.

Innenminister Darmanin sprach von einem „schrecklichen Schiffbruch“. „Das ist ein Drama, das uns alle berührt.“ Die Menschen seien auf einem kleinen Boot unterwegs gewesen, das nicht einmal sieben Meter lang sei. Die Justiz ermittle nun. Der Minister forderte, ein Migrationsabkommen zwischen der Europäischen Union und Großbritannien müsse ausgehandelt werden. Auch die britische Innenministerin Yvette Cooper zeigte sich bestürzt und verurteilte die Machenschaften von Schleuserbanden. Solche Banden pferchten mehr und mehr Menschen in Boote, die nicht seetauglich seien, und schickten sie selbst bei sehr schlechtem Wetter aufs Meer hinaus, kritisierte Cooper auf der Plattform X.

Flüchtlingsorganisationen sind erschüttert

Der Sender France 3 berichtete von einem mit Migranten überladenen Boot. Diese hätten keine Schwimmwesten gehabt. „Mir fehlen die Worte, es lässt mir das Blut gefrieren“, sagte der Vorsitzende der Migranten-Hilfsorganisation Osmose 62, Dany Patoux, dem Sender angesichts der Leichensäcke am Kai. „Wir sind erschüttert über die tragischen Todesfälle bei dem jüngsten Vorfall im Ärmelkanal“, sagte auch der Chef der britischen Flüchtlingshilfsorganisation Refugee Council, Enver Solomon. „Die Zahl der Todesopfer im Ärmelkanal war in diesem Jahr schockierend hoch. Dies ist ein verheerender Trend, der zeigt, dass dringend ein umfassender und mehrgleisiger Ansatz erforderlich ist, um die gefährlichen Überfahrten im Ärmelkanal zu verringern.“

Immer wieder überqueren Migranten den Ärmelkanal, um Großbritannien zu erreichen. Oft unternehmen sie die Reise in kleinen Schlauchbooten. Die Überfahrt ist gefährlich, auch weil der Meeresarm von vielen großen Schiffen befahren wird. Seit Januar überquerten mehr als 20 000 Menschen den Kanal in Booten. Das sind nach Angaben des britischen Innenministeriums drei Prozent mehr als im gleichen Zeitraum im Jahr 2023, aber 18 Prozent weniger als noch 2022. Bei den Überfahrten kommen immer wieder Menschen ums Leben.

Großbritannien versucht, die Migration über den Ärmelkanal seit Längerem auch mit französischer Hilfe einzudämmen und zahlt dafür Millionensummen an Frankreich. Die frühere konservative Regierung wollte Migranten mit einem harten Vorgehen abschrecken – zum Beispiel mit dem Plan, sie ohne Rücksicht auf ihre eigentliche Herkunft nach Ruanda abzuschieben. Der neue britische Premierminister Keir Starmer allerdings hat das Vorhaben wieder gekippt, nachdem auch Gerichte und Menschenrechtsorganisationen es scharf kritisiert hatten. Starmer hat dafür angekündigt, stärker gegen Schlepperbanden vorgehen zu wollen. Vor einigen Tagen erst beriet sich Starmer mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron über den Umgang mit der Migration über den Ärmelkanal.

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