Ängste der Verbraucher:Wer industriekritisch sein will, muss nicht allen Fortschritt verhindern

Unterschriftensammlung gegen die Glyphosat-Wiederzulassung

Umstrittenes Pestizid: Unterschriftensammlung gegen die Glyphosat-Wiederzulassung in Berlin.

(Foto: dpa)

Nahezu alle Experten sagen, der Einsatz des Pestizids Glyphosat sei zu verantworten. Politiker wie Sigmar Gabriel bedienen die Ängste der Bürger trotzdem.

Kommentar von Kathrin Zinkant

Man könnte sagen, dass das Resultat der Glyphosatdebatte wenigstens dem Bürgerwillen nahe gekommen ist: Keine Neuzulassung, Entscheidung vertagt. Die Menschen haben Angst vor dem Gift in ihrem Essen. Dennoch sollte der Fall nicht zu rasch in Vergessenheit geraten, denn er zeugt von einer bemerkenswerten Oberflächlichkeit, mit der wissenschaftliche Fragen in der Politik behandelt werden - und von der Neigung, Ängste lieber zu nähren, statt zu beseitigen.

Führende Politiker haben geschwiegen, polemisiert oder sich, wie die SPD, in Parolen geflüchtet. "Safety First" lautete eine davon. Vizekanzler Sigmar Gabriel verwies auf das Vorsorgeprinzip, das für schlecht untersuchte Stoffe gilt; nur eben nicht für Glyphosat, das so gut untersucht ist, wie kaum ein anderes Pestizid. Und Umweltministerin Barbara Hendricks beklagte noch diese Woche die angeblichen Widersprüche in der wissenschaftlichen Bewertung, die "restlos" aufgeklärt werden müssten. Dabei aber waren sich Experten selten so einig: der Einsatz von Glyphosat in Europa ist zu verantworten.

Der falsche Umgang mit der Angst der Bürger

Aber so geht es in Berlin. Wenn wissenschaftliche Erkenntnisse das politische Handeln stützen könnten, beginnt dort die bereitwillige Blamage. Glyphosat ist da nur ein Beispiel. Die Debatte ums Fracking verhinderte auch Probebohrungen - nicht zuletzt wegen eines Films, in dem Methan aus Wasserhähnen entwich und entflammte. Mit Fracking hatte das zwar nichts zu tun. Bis heute glauben das aber viele Bürger, weil das Phänomen nicht aufgeklärt wurde, sondern zum prägenden Motiv des politischen Diskurses erhoben. Wie die realen Risiken der Technik aussehen, wird nun niemand mehr erfahren. Genau so wenig wie beim "Carbon Capture and Storage" (CCS), einer Hilfstechnologie gegen den Klimawandel, bei der das Treibhausgas CO₂ verflüssigt unter die Erde gepresst wird.

In einem lichten politischen Moment hatte man sich in Berlin darauf geeinigt, das Verfahren zu prüfen. Die Angst der Bürger aber wuchs. Anstatt sachliche Überzeugungsarbeit zu leisten, ruderte das Parlament zurück. Ein Argument gegen die Erforschung des Verfahrens lautete dann, das Verfahren sei nicht gut genug erforscht. Ähnlich die Debatte um embryonale Stammzellen: Die Wissenschaft habe ihre Therapieversprechen nicht gehalten, hieß es im Bundestag - auf einem Feld, das erst wenige Jahre alt war. Keine Behandlung lässt sich in so kurzer Zeit entwickeln. Der öffentlichen Stimmung aber wird man so sehr schnell gerecht.

Nun diktiert die Wissenschaft der Politik gewiss nicht, was sie zu tun hat. Und manchmal sprechen Forscher in Wahrscheinlichkeiten, die für viele Menschen, auch Politiker, irreführend sind - "wahrscheinlich krebserregend" ist ein Beispiel dafür. Meistens aber schafft die Wissenschaft ein solides Fundament von Fakten, das nicht ignoriert werden darf: Denn es werden neue Debatten zu führen sein, größere als die um Glyphosat. Zum Beispiel jene um die grüne Gentechnik. Es gibt neue, präzise, schnelle Verfahren. Sie bringen Sorten hervor, die im Ergebnis nicht von zeitraubenden Züchtungen zu unterscheiden sind. Selbst kleine Betriebe könnten die Methode nutzen. Experten der Ökoszene haben ihr gar ein Potenzial für den Biolandbau bescheinigt. Womöglich realisiert diese neue grüne Gentechnik die Wende in der Agrarwirtschaft - wenn sie eine Chance bekommt.

Alte Gespenster gegen die neue Gentechnik

Wovon aber hängt das ab? Die Geschichte hat die Menschen zu Recht gelehrt, dem technologischen Fortschritt gegenüber kritisch zu bleiben. Risiken müssen sorgfältig untersucht, Interessen beobachtet werden - auch die Interessen der Forschung, die heute zu zwei Dritteln von der Industrie finanziert werden. Kritisch zu bleiben, bedeutet aber nicht, alles zu verhindern. Das ist die politische Herausforderung, vor allem für die Grünen. Umweltverbände laufen mit den alten Gespenstern jetzt schon Sturm gegen die neue Gentechnik. Werden diese Ängste nun wieder nur bedient?

Wer sich mit Fachleuten aus den wissenschaftlichen Akademien unterhält, die das Parlament mit Stellungnahmen oder in Anhörungen über riskante Technologien wie die Gentechnik informieren, stößt auf Hilflosigkeit. Die Politik habe wohl mit größeren Problemen zu kämpfen, als dass sie sich mit wissenschaftlicher Erkenntnis befassen könne. Man denke nur an die vielen Flüchtlinge. Da ist etwas dran. Womöglich sind diese Flüchtlinge aber nur ein Grund mehr, die Zukunft eines Landes zu sichern, dessen wichtigster Innovationsbereich wahrhaftig noch das Auto ist. Lange geht das nicht mehr gut. Aber für die Menschen muss gesorgt werden. Ohne die Ressource Wissenschaft wird das kaum möglich sein.

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