Ägyptische Muslime bei Facebook:Kreuz, Sichel und das Netz

Grafiken, in denen sich die Glaubenssymbole vereinigen. Profilbilder, auf denen sich Christen und Muslime die Hände reichen. Bei Facebook zeigen junge Ägypter Solidarität mit der koptischen Kirche. Manchen bereitet das Probleme.

Jan Hendrik Hinzel

Abdelrahman hat sein Profilbild bei Facebook gewechselt. Statt eines Porträtfotos präsentiert sich der Student jetzt mit einem weißen Kreuz vor schwarzem Hintergrund. Wer sich durch seine Freundesliste klickt, sieht noch viel mehr Kreuze, manchmal in Kombination mit der islamischen Mondsichel. Eine Karikatur zeigt ein Minarett und einen Kirchturm - und während eine schwarze Gestalt die Gebäude an ihren Grundmauern voneinander wegschiebt, reichen sich hoch oben ein Muslim und ein Christ die Hand.

Facebook Ägypten Solidarität

Kreuz plus Mondsichel: Viele junge Ägypter fordern via Facebook zu mehr Solidarität zwischen den Religionen auf.

Nach dem Terroranschlag auf eine koptische Kirche in Alexandria entstand in den vergangenen Tagen bei Facebook eine große Solidaritätswelle. Während mancher deutsche Politiker von hierzulande lebenden Muslimen verlangt, sich von islamischem Extremismus in anderen Ländern zu distanzieren, ist die ägyptische Jugend selbst längst weiter.

Die Facebook-Seite "Am 6. Januar (dem koptischen Weihnachtsfest; Anmerkung der Redaktion) gehen wir in die Kirchen und feiern mit unseren christlichen Freunden - oder sterben mit ihnen" hat schon ein paar tausend Fans. Im Laufe der Woche kamen weitere Seiten und Gruppen hinzu. Eine häufige Statusmeldung lautet: "Terrorismus hat keine Religion."

Von den etwa 80 Millionen Einwohnern Ägyptens haben etwa vier Millionen einen Facebook-Account. Zum Vergleich: In Deutschland liegt die Zahl bei 14 Millionen Nutzern. Es ist nicht das erste Mal, dass ägyptische Facebook-Nutzer über die Online-Plattform eine virtuelle Massenbewegung starten.

Als im Juni 2010 mutmaßlich zwei Polizisten den ägyptischen Blogger Khaled Said in Alexandria vor einem Internet-Café auf offener Straße tot prügelten, hatten die Tage darauf zahlreiche Ägypter ein Porträt des jungen Mannes in ihren Facebook-Accounts als Profilbild. Videos und Bilder, welche die Tat dokumentierten, verbreiteten sich durch die Seite, aber auch via Youtube und Twitter schnell. Der Protest gegen Polizeigewalt blieb zwar weitgehend auf das Netz beschränkt, doch daneben gab es auch Menschenketten und Demonstrationen. Die Behörden rollten den Fall aufgrund öffentlichen Drucks neu auf.

Die Angst ist groß

Auch diese Woche zogen Hunderte Ägypter durch die Straßen. Wie die Zeitung Al-Masry-al-Youm berichtet, kam es vergangenen Montag im Kairoer Stadtteil Shubra, in dem viele Christen wohnen, zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen etwa 3000 demonstrierenden Kopten und Sicherheitskräften. Aber nicht mehr nur Christen machen öffentlich ihrem Unmut Luft. Auch Studenten der religiösen Al-Azhar-Universität protestierten mit dem Universitätspräsidenten und dem Imam der zugehörigen Al-Azhar-Moschee gegen den Terror.

Doch viele Ägypter haben nach wie vor zu große Angst, um auf der Straße ihre Meinung kund zu tun - nicht zuletzt wegen der dort häufig aggressiv auftretenden Polizei. So bleibt auch bei der Facebook-Aktion dieses Mal abzuwarten, wie viele tatsächlich den Weg in die Kirchen finden werden.

"Wir sind alle Ägypter"

Für manche Ägypter war der Terroranschlag ein Weckruf: "Es läuft viel falsch in diesem Land. Wir müssen zu unseren christlichen Brüdern und Schwestern stehen. Wir sind alle Ägypter!", schreibt ein Mädchen namens Yasmin bei Facebook. Der Ruf nach Einheit und Zusammenhalt steht unter vielen der Kommentare.

Viele betonen die Verwandtschaft ihrer Religion mit dem Christentum und sehen den Anschlag als Angriff auf die gesamte Gesellschaft - und nicht nur auf die koptischen Christen. "Sie wollen uns spalten", sagt die 18-jährige Nouran über die Terroristen. "Die ertragen einfach keine gemischte Gesellschaft und wollen, dass alle ihre Ideen übernehmen", erzählt sie weiter. Ihrer Meinung nach sollten nicht nur Muslime sich gegen Terrorismus aussprechen müssen, sondern jeder.

Dennoch ist es für sie wichtig, dass die Muslime jetzt Stellung beziehen: "Wir müssen andere Kulturen über den Islam aufklären. Sie müssen ihn ja nicht übernehmen und auch nicht toll finden. Aber sie sollten ihn akzeptieren und verstehen, dass er in keinerlei Weise Terrorismus unterstützt." Sie selbst ging als Muslima auf eine christliche Schule, ihre beste Freundin ist Koptin. Auf ihrem Profil schwört Nouran, sich bis zum Ende vor ihre christlichen Freunde zu stellen und sie mit all ihrer Kraft zu beschützen.

Tatsächlich haben einige jetzt Angst, ihr Land würde künftig öfter von Terroranschlägen heimgesucht. "Ich befürchte Schlimmes", schreibt ein koptisches Mädchen, das seinen Namen nicht nennen will, "das wird hier noch zu einem zweiten Irak"". Sie findet es gut, dass viele ihrer muslimischen Freunde durch die Aktionen im Internet ein Zeichen gegen die Gewalt setzen - "egal, welche Gründe sie dafür haben mögen".

Die koptische Kirche begrüßt die Solidaritätsbekundungen ebenfalls. Nachdem ein ägyptischer Sender zunächst behauptet hatte, Muslime dürften die koptischen Weihnachtsfeiern nicht besuchen, wies der Sekretär des koptisch-orthodoxen Papstes Schenuda III. diese Behauptungen zurück. Kopten müssten ihre muslimischen Freunde nicht nach Hause schicken, wenn diese durch einen Messe-Besuch ihr Mitgefühl zeigen möchten.

"Das waren Terroristen"

Im Internet fragen unterdessen manche Muslime, ob es nicht "haram", also religiös verboten sei, christliche mit islamischen Symbolen zu vermischen, wie auf dem Bild mit Kreuz und Mondsichel. "Würden Christen ein Bild des Korans in ihr Profil laden, würden wir das doch nicht verstehen. Es ist ja nicht ihre Religion", sagt Student Ahmed Magdy. Manche Kreuzbilder wurden seitdem durch ein komplett schwarzes Bild ausgetauscht.

Die Diskussionen bei Facebook sind zahlreich, doch eines scheint bei den dort debattierenden Muslimen völlig außer Frage zu stehen: "Die Attentäter waren keine Muslime. Das waren Terroristen", schreibt ein aufgebrachter Nutzer. Wer solch eine Tat mit dem Islam rechtfertige, gehöre in die Hölle. "Gefällt mir" heißt ein Button unter dem Kommentarfeld einer Facebook-Pinnwand. Er wurde unter diesem Kommentar sehr oft angeklickt.

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