Ägyptens Weg zur Demokratie:Ein Wunder in zehn Tagen

Lesezeit: 3 min

Ägypten ist noch eine Autokratie, die Notstandsgesetze gelten noch immer. Jetzt hat die Armee einen Rat aus juristischen Experten einberufen, der die Mubarak-Verfassung in kürzester Zeit auf ein demokratisches Format zurechtstutzen soll.

Tomas Avenarius

Ägyptens Armeegenerale als Verfassungsexperten, das ist schon eine Herausforderung. Die ägyptischen Putschisten wollen die Mubarak-Verfassung im Schnelldurchgang ändern und so die demokratische Transformation des Landes ermöglichen.

Noch immer gelten in Ägypten die Notstandsgesetze, mit denen Hosni Mubarak seit seiner Amtsübernahme 1981 geherrscht hatte. (Foto: dpa)

Die Generale, vertreten durch den "Obersten Rat der Streitkräfte", hatten direkt nach der Machtübernahme und dem Sturz von Präsident Hosni Mubarak die Verfassung von 1971 außer Kraft gesetzt und beide Parlamentskammern aufgelöst. Jetzt hat der Militärrat ein zehnköpfiges Juristengremium beauftragt, die Autokraten-Verfassung auf ein demokratisches Format zurechtzustutzen.

Das Militärgremium unter Führung von Verteidigungsminister Mohammed Hussein Tantawi selbst ist in der Verfassung weder vorgesehen, noch sonst irgendwie legitimiert. Auch der Zeitplan, den Tantawi und seine Kameraden für die Verfassungsänderung vorgeben, ist atemberaubend: In zehn Tagen soll die Juristenkommission unter Führung eines landesweit anerkannten Verfassungsrechtlers alle jene Artikel aus dem Mubarak-Grundgesetz streichen, die demokratische Parlaments- und Präsidentschaftswahlen unmöglich machen. Innerhalb von zwei Monaten soll dann das Volk per Referendum über die Verfassung entscheiden.

Das Vorgehen ähnelt mehr einer Reparatur als einer Reform des Grundgesetzes: Mubarak hatte die meisten der betroffenen Artikel in den vergangenen fünf Jahren geändert, um seine Macht abzusichern. Abgeändert werden sollen die Artikel 76, 77, 88, 93 und 179. 76 und 77 regeln die Voraussetzungen einer Kandidatur für die Präsidentschaftswahl und die Zahl der Amtszeiten des Staatschefs, die nun auf zwei begrenzt werden soll: Der gestürzte Präsident hatte sich fünfmal hintereinander im höchsten Staatsamt bestätigen lassen und eine sechste Runde erwogen.

Artikel 88 muss geändert werden, um eine unabhängige Überwachung der Wahlen durch die Richterschaft des Landes zu gewährleisten. In Artikel 93 geht es um das Recht, fragwürdige Wahlergebnisse unabhängig vom Parlament zu überprüfen. Dies war nach der gefälschten Parlamentswahl von 2010 unmöglich.

Artikel 179 schließlich soll gestrichen werden: Er hatte es Mubarak gestattet, alle des Terrorismus verdächtigten Oppositionellen der Militärgerichtsbarkeit zu übergeben. Die aber kennt keine Berufung und sprach oft Todesurteile oder sehr lange Haftstrafen aus.

Bei der Verfassungsänderung geht es aber nicht nur um die Artikel selbst. Automatisch entwickeln sich Folgewirkungen auf den gesamten Gesetzeskodex. Dafür scheinen zehn Tage sehr kurz zu sein. Die Militärs drücken aber bewusst aufs Tempo: Sie wollen das von der Revolution erschütterte Land durch Wahlen stabilisieren und die Macht spätestens nach sechs Monaten abgeben. Anscheinend haben die Offiziere keine eigenen Machtambitionen. Sie wollen innerhalb kürzester Zeit in die Kasernen zurückkehren. Nicht interessiert sein können sie daher an einer vollständigen Verfassungsreform oder einer verfassungsgebenden Versammlung: Der Prozess würde Monate dauern und zentrale Streitfragen der Gesellschaft berühren.

Besonders umstritten bei der Verfassung, die unter Präsident Anwar el-Sadat erlassen wurde, ist Artikel zwei. Er lautet: "Der Islam ist Staatsreligion. Arabisch ist die offizielle Landessprache; die Hauptquelle der Rechtssetzung ist das Islamische Recht, die Scharia." Da rund 90 Prozent der Ägypter sunnitische Muslime sind, ist dies naheliegend: Auch andere arabische Staaten anerkennen den islamischen Gesetzeskodex der Scharia zumindest als eine von mehreren Rechtsquellen. Das Familienrecht für Muslime folgt in diesen Staaten zumindest in Teilen islamischen Rechtsvorstellungen.

Das aber stört die Kopten: Mindestens zehn Prozent der Ägypter sind orthodoxe Christen. Kopten-Vertreter fordern nun die Abschaffung des umstrittenen Scharia-Artikels: "Aus Artikel zwei folgen die Gesetze, die uns Kopten im Alltag benachteiligen. Wir wollen eine wirklich säkulare Verfassung", sagte der Anwalt und Koptenaktivist Naguib Gobraiel der SZ. Die Christen haben jetzt an den Obersten Militärrat appelliert: Wenn die Verfassung geändert wird, müsse ein Kopte in seiner Eigenschaft als Kopte in das Expertengremium aufgenommen werden. Einer der Juristen des zehnköpfigen Gremiums ist zwar Christ. Er sitzt dort aber in seiner Funktion als Richter und nicht als Christenvertreter.

Das Argument der Kopten leuchtet ein: Die Muslimbruderschaft ist im Verfassungsrat ausdrücklich als einflussreiche Islamistengruppe mit einem eigenen Rechtsexperten vertreten. Dieser Anspruch auf Vertretung als politisch-religiöse Gruppe müsse auch für die Kopten gelten. Essam El Erian, einer der Führer der Muslimbrüder, schloss im SZ-Gespräch aber jede Änderung des Scharia-Artikels aus: "Artikel zwei darf nicht angetastet werden." Ägypten sei ein mehrheitlich islamisches Land. Die bürgerlichen Rechte der christlichen Minderheit und die Religionsfreiheit würden garantiert, aber eine Minderheit bleibe eine Minderheit.

Unabhängig von der Verfassungsdebatte wollen und müssen sich Vertreter beider Religionsgruppen rasch als Parteien platzieren, um an den anstehenden Parlamentswahlen teilnehmen zu können. Die landesweit bestens organisierte Muslimbruderschaft hat bereits angekündigt, eine Partei zu gründen. Dazu muss das Parteiengesetz geändert werden, mit dem Mubarak oppositionelle Parteigründungen in der Praxis unmöglich gemacht hatte. Den außerhalb ihrer Kirche schlecht organisierten Kopten wird dies schwerer fallen. Und noch eines ist wichtig: Die Notstandsgesetze, mit denen Mubarak seit seiner Amtsübernahme 1981 geherrscht hatte, müssen aufgehoben werden. Bisher hält sich das Militär zurück und macht es vorerst noch von der Sicherheitslage abhängig - so wie Mubarak.

© SZ vom 17.02.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Diktatoren im Exil
:Verbannt in den goldenen Käfig

Das wütende Volk stürzt den Herrscher und dieser flieht. Auf Tunesiens Ben Ali folgt wohl Ägyptens Hosni Mubarak. Doch ganz so leicht wie in der Vergangenheit ist es für Alleinherrscher nicht mehr, ungestört im sicheren Exil leben zu können.

Inga Rahmsdorf

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: