Ägyptens Verteidigungsminister Sisi:Rätsel in Uniform

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Abdel Fattah al-Sisi auf Plakaten in der Kairoer Innenstadt.  (Foto: Amr Abdallah Dalsh/Reuters)

Ein neuer Nasser? Oder ein Mann des Militärs mit religiöser Agenda? Es ist schwer, Ägyptens Verteidigungsminister Abdel Fattah al-Sisi zu durchschauen. Ein sieben Jahre alter Text aus seiner Zeit als Gast einer US-Militär-Universität rückt jetzt ins öffentliche Interesse - darin äußerte sich der General unter anderem zu seinen Vorstellungen einer Demokratie im Nahen Osten.

Von Sonja Zekri, Kairo

Für die einen ist er der neue Nasser: Charisma, Nationalstolz, Muskeln, Muslimbruder-Antipathie - alles bei General Abdel Fattah al-Sisi so reichlich vorhanden wie bei Staatschef Gamal Abdel Nasser vor einem halben Jahrhundert. Manche Kritiker vermuten eine verborgene religiöse Agenda: Sisi könnte Ägypten als Militärherrscher islamisieren - wie Mohammed Zia ul-Haq einst Pakistan.

Für die meisten aber ist Ägyptens mächtigster Mann ein Rätsel. Vor fünf Wochen entmachtete er als Verteidigungsminister getragen von einer Protestwelle Präsident Mohammed Mursi und die Muslimbrüder.

300 Tote und zahlreiche Vermittlungsversuche später erwartet das Land eine neue Gewaltwelle, wenn die Mursi-Anhänger von der Straße gefegt werden. Abgesehen von einem seltenen Interview mit der Washington Post, das er jüngst für ausführliche Amerika-Kritik nutzte, von einigen Reden voller patriotischer, aber auch religiöser Anspielungen sind seine Ziele unklar. Beobachter haben registriert, dass Sisi den Presseapparat der Armee verjüngt hat. Die Bilder von schier endlosen Protestzügen gegen Mursi am 30. Juni wurden von Militärhubschraubern abgelöst, im Wettstreit der Videos hält die Armee mit. Doch das sind technische Fragen.

Als eine der wenigen programmatischen Äußerungen ist nun ein Papier in den Mittelpunkt gerückt, das Sisi vor sieben Jahren verfasst hat, als Gast am War College der US-Armee in Carlisle, Pennsylvania. Sisi, damals Brigadegeneral, studierte ein Jahr in Carlisle. Er ist der erste ägyptische Verteidigungsminister, der nicht in Russland, sondern in Amerika ausgebildet worden ist, auch wenn der Besuch - ähnlich wie Mursis Aufenthalt in Kalifornien - seine Sensibilität für die Unterschiede zwischen den Ländern eher vergrößerte.

Der Titel seiner Arbeit lautete "Demokratie im Nahen Osten" und umfasst elf Seiten reinen Text und einen überschaubaren Anhang. Überhaupt, so legen Tipp-, Übersetzungsfehler und logische Sackgassen nahe, scheint sich Sisi bei der Abfassung nicht eben verhoben zu haben. Sein amerikanischer Professor Stephen Gerras erinnert sich dennoch an einen zielstrebigen Kursteilnehmer: "Er war klug, er sprach gut Englisch, und er nahm seine Sache ernst", sagte er der Zeitschrift Foreign Policy. Sisi, damals Anfang 50, sei der ernsthafteste militärische Student gewesen, den er je erlebt habe.

Es waren Jahre, in denen Amerikas Verhältnis zum Nahen Osten ähnlich belastet war wie heute: Der Irak-Krieg hatte keine Demokratie gebracht, sondern Gewalt. Im Gaza-Streifen hatte die radikale Hamas freie Wahlen gewonnen, die der Westen daraufhin schlicht ignorierte. Ägyptens Dauerherrscher Mubarak hatte Präsidentschaftswahlen mit mehreren Kandidaten abgehalten - und für sich entschieden.

Weite Passagen in Sisis Studie zielen deshalb, offenbar mit Blick auf seine amerikanischen Leser, gegen alle amerikanischen Demokratisierungsversuche unter dem Vorwand des Anti-Terror-Kampfes. Der Nahe Osten sei "gesegnet" mit Öl- und Gas-Reserven, deshalb versuchten die Weltmächte ohnehin, die Region zu "beeinflussen und zu manipulieren": "Infolgedessen steht der Nahe Osten unter Druck, um den Interessen anderer Länder gerecht zu werden" - aber womöglich nicht denen der eigenen arabischen Völker, so Sisi.

Er selbst hatte es damals mit der Demokratie übrigens nicht eilig: "Angesichts der nötigen Veränderungen und der erforderlichen Zeit kann man nicht davon ausgehen, dass die Länder des Nahen Ostens rasch zu einer Form der Demokratie übergehen", schrieb er. Erst müsse Frieden in Israel, Irak, Afghanistan herrschen, dann könne die Demokratie anbrechen, was an die Aufschiebe-Rhetorik arabischer Autokraten erinnert. Aber Sisi fordert auch ein besseres Bildungssystem und Jobs.

In einem seltenen konkreten Verweis auf seine Heimat fordert er zudem mehr freie Marktwirtschaft: Präsident Sadat habe die Privatisierung vorangetrieben und den aufgeblasenen Staatssektor verringert, "aber diese Bemühungen haben unter Präsident Mubarak keine Früchte getragen." Sonst bleibt seine Kritik an Mubarak, damals sein Oberbefehlshaber, erwartungsgemäß zahm. Im Stile der Zeit tadelt er die nahöstlichen Herrscher eher großflächig: "Die Machthaber scheinen im Luxus zu leben, während der kleine Mann kaum über die Runden kommt". Oft sei Korruption die Folge.

Seltsam hellsichtig angesichts der späteren Kämpfe der Muslimbrüder mit den Sicherheitskräften klingen seine Bemerkungen zu Polizei und Armee: "Wenn eine Demokratie mit neuen Wählerschichten entsteht, gibt es keine Garantie, dass Polizei und Militär die neuen herrschenden Parteien unterstützen." Geradezu ironisch angesichts der gleichgeschalteten Sisi-Jubelberichte wirkt heute seine Forderung nach Pressfreiheit: "Die Medien werden ein Hindernis auf dem Weg zur Demokratie sein, solange sie nicht mehr als nur die Regierungssicht wiedergeben."

Am interessantesten aber sind seine Ideen zum Verhältnis von Religion und Staat. Beobachter erkannten darin die Züge eines "Muslimbruder-Traktats", wie der Nahost-Experte Robert Springborg schrieb. Andere sahen ihn als Suchenden. Religion, so viel steht fest, ist das, was die Demokratie nach westlichem Vorbild von einer künftigen Demokratie im Nahen Osten trennt: "Als säkulare Einheit wird Demokratie von den meisten Menschen des Nahen Ostens wahrscheinlich nicht positiv aufgenommen, denn sie sind fromme Muslime", so Sisi, der die religiösen Minderheiten nur kurz streift.

Demokratie und Islam seien durchaus vereinbar - nicht als Theokratie, sondern "Demokratie auf der Grundlage islamischer Überzeugungen." Wie viele gläubige Muslime - nicht nur die Radikalen - beschwört auch Sisi die Werte des "Chilafa", des idealisierten Gottesstaates aus dem frühen Islam. So wie Amerikaner "Leben, Freiheit und die Suche nach Glück" als oberste Werte betrachteten, werde jede nahöstliche Demokratie "Fairness, Gerechtigkeit, Gleichheit, Einheit und Wohltätigkeit" enthalten. Noch unschärfer klingen seine Erklärungen über die Instrumente einer solchen Demokratie: "Bajaa" und "Schura". Ersteres beschreibt Sisi als "Wahlverfahren" des Herrschers, in Wahrheit aber ist es ein Schwur der Gefolgschaft.

Die Muslimbrüder scheiterten an einem ähnlichen Missverständnis: Sie begriffen die Stimmen ihrer Wähler als Treueid, nicht als Vertrauensvorschuss. Und "Schura", der "Rat", ist ein beratendes Gremium, das oft herangezogen wird, um die Vereinbarkeit von Islam und Demokratie zu beweisen. Mit parlamentarischer Kontrolle im westlichen Sinne hat er nichts zu tun.

Nach Sisi muss es das auch nicht. Der Westen müsse damit rechnen, dass im Nahen Osten neue religiöse Gruppen durch freie Wahlen an die Macht kommen. Die Schiiten beispielsweise. Oder die Muslimbrüder. Ob die Welt dazu bereit sei, fragt er rhetorisch. Heute weiß man: Sie war es. Ägypten nicht mehr.

© SZ vom 09.08.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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