Ägyptens Präsident Sisi in Berlin:Partner für Stabilität und Wohlstand

Ägyptischer Präsident Abdel Fattah al-Sisi in Berlin

Freundliches Werben: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und der ägyptische Präsident Abdel Fattah al-Sisi bei der Pressekonferenz in Berlin.

(Foto: dpa)
  • Ägyptens Staatspräsident Abdel Fattah al-Sisi trifft beim Staatsbesuch in Berlin Kanzlerin Merkel.
  • Die spricht kritische Themen wie Menschenrechte und Todesstrafe nur mit wenigen Sätzen an und wirbt stattdessen um Kooperation.
  • Der Staatspräsident versucht, der Kritik zuvorkommen, bevor er mit ihr konfrontiert wird.
  • Die Grünen kritisieren die Äußerungen von Unionsfraktionschef Kauder über Sisi.

Von Stefan Braun, Berlin

Der Eklat kommt am Ende des gemeinsamen Auftritts. Und er trägt einen rosa Schleier. Als Bundeskanzlerin Angela Merkel und Ägyptens Staatspräsident Abdel Fattah al-Sisi nach gut dreißig Minuten gemeinsamer Pressekonferenz zum obligatorischen Handschlag ansetzen, brüllt eine junge Frau mit Kopftuch plötzlich: "Mörder! Nazi! Faschist!" Wieder und wieder, lauter und lauter. Später wird sie sich als "Assistentin" eines arabischen Fernsehsenders ausgeben. Jetzt aber hat die junge Anhängerin der ägyptischen Muslimbrüder nur eines im Sinn: Sie will Sisi vor laufenden Kameras und den Augen Angela Merkels desavouieren.

Also brüllt sie und filmt mit ihrem Smartphone gleich mit. Andere Ägypter im Pressesaal allerdings wollen das verhindern. Also setzen sie jetzt zum Chor an und brüllen die Frau mit einem "Hoch lebe Ägypten!" nieder. Immer aggressiver werden beide Seiten. Wären nicht zahlreiche Sicherheitsleute zugegen, dann würde zum ruppigen Handgemenge nicht mehr viel fehlen. Ägyptens schwieriges Ringen um seine Zukunft - an diesem 3. Juni 2015 ist es für einen Augenblick ins Berliner Kanzleramt eingezogen. Und auch vor dem Kanzleramt brüllen sich mehrere hundert Sisi-Anhänger und ebenso viele Sisi-Gegner Demonstranten gegenseitig an - die Polizei trennt die wütenden Gruppen.

Deutlich friedlicher ist der Umgang zwischen der Kanzlerin und dem Präsidenten. Merkel begrüßt den Gast aus Kairo "ganz herzlich" und betont demonstrativ, wie sehr sie sich über seinen Besuch freue. Sehr offen und partnerschaftlich habe man "über die ganze Bandbreite der Themen" gesprochen. Dabei sei die "hohe strategische Bedeutung" Ägyptens in der Unruhe-Region deutlich geworden. Ja, man habe auch über strittige Themen gesprochen, zum Beispiel über die Lage der deutschen Stiftungen in Ägypten. Doch auch wenn es da noch keine Besserung gebe, sei nun verabredet, weiter an einer Lösung zu arbeiten.

Kanzlerin Merkel spricht Todesstrafe an

Merkel kritisiert die hohe Zahl an Todesstrafen, Deutschland lehne die Todesstrafe ab. "Unter keinen Umständen" dürften Menschen zum Tode verurteilt werden. Allerdings will Merkel daraus kein Blockade-Thema machen. Kooperation, das wird deutlich, soll aus ihrer Sicht unbedingt möglich bleiben. "Auch Meinungsverschiedenheiten bedeuten nicht, dass man nicht bei anderen Themen sehr eng zusammenarbeitet." Dass Merkel genau das möchte, lässt sie nicht im Vagen. "Wir wollen ein Partner sein, wenn sich Ägypten um Stabilität und wirtschaftlichen Wohlstand bemüht." Die Erfahrung lehre, dass Kooperation immer hilfreich sein könne, auch um auf anderen Feldern Verbesserungen zu erreichen.

Merkel denkt beim Thema Stabilität offenkundig nicht nur an den Sinai, auf dem Ägypten gegen islamistische Terroristen kämpft. Sie denkt nicht nur an den Friedensprozess im Nahen Osten, also die Region selbst. Sie denkt auch an die Sicherheit und Stabilität in Europa. Ägyptens unmittelbare Nachbarschaft und lange Grenze zu Libyen zeige besonders, wie wichtig es sei, auch beim Kampf gegen Menschenhandel, Waffenschmuggel und Terrororganisationen wie IS an der Seite Ägyptens zu stehen.

Über Siemens-Großgeschäft sei noch nicht entschieden

Auf die Frage, ob Deutschland dabei auch an Waffen für Ägypten denke, antwortet die deutsche Regierungschefin indes vorsichtig. Eine zentrale Voraussetzung für einen Erfolg in diesem Kampf sei es, dass die beteiligten Staaten selbst stabil und wirtschaftlich erfolgreich seien. Entsprechend könne man Ägypten auch durch Entwicklungszusammenarbeit und wirtschaftliche Kooperationen entscheidend helfen.

Wer so argumentiert, kann kaum mehr etwas dagegen haben, wenn große deutsche Unternehmen wie Siemens mit dem ägyptischen Regime große Aufträge beispielsweise bei der Energieversorgung abschließen - selbst wenn diese am Ende durch Hermes-Kreditbürgschaften abgesichert werden müssten. Bislang allerdings, so heißt es in der Antwort der Regierung auf eine Anfrage der Grünen, sei über eine Bürgschaft für das Siemens-Großgeschäft noch nicht entschieden worden.

"Wir haben eine Perspektive, die Sie respektieren sollten"

Sisi betont, er versuche, die ägyptische Perspektive auf die Dinge darzustellen. Dazu gehöre zuallererst, dass es "der große Wille der Menschen" gewesen sei, der den Wechsel in Ägypten herbeigeführt habe. Der Staatspräsident weiß, welche Kritik hier auf ihn wartet. Er will ihr zuvorkommen, bevor er mit ihr konfrontiert wird. Deutschland habe sich nach dem Krieg selbst wieder aufgebaut, sei ein hochangesehenes Land geworden. "Wir wollen auch eine hochgeschätzte Gesellschaft sein. Auch wir lieben Demokratie und Freiheit. Aber wir leben in einer schwierigen Zeit", erklärt Sisi.

Auch auf die Todesurteile geht er ein, noch bevor er danach gefragt wird. Er wolle darauf hinweisen, dass diese in erster Instanz verhängt worden seien, also nächste Instanzen die Urteile durchaus wieder abschwächen könnten. Außerdem seien die meisten Urteile dieser Art in Abwesenheit des Verurteilten verhängt worden. Es sei oft so, dass der Fall neu aufgerollt werde, wenn der Beschuldigte vor Gericht auftrete. Was er von den Muslim-Brüdern des ehemaligen Präsidenten Mohamed Mursi denkt, verschweigt er nicht. Ja, bei den Wahlen hätten 51 Prozent der Ägypter ihn zunächst gewählt, aber diese 51 Prozent hätten später keine andere Möglichkeit gesehen als wieder auf die Straße zu gehen. "Millionen sind raus gegangen, um den religiösen Faschismus zu bekämpfen."

Nordafrika-Expertin der Grünen kritisiert "Schlag ins Gesicht für Oppositionelle"

Wer Ägypten verstehen wolle, müsse im Übrigen eines auch noch wissen: Dass in Ägypten die Armee die Bevölkerung beschütze. Sein Land nämlich werde es niemals zulassen, dass in Ägypten das Gleiche passiere wie heute in Syrien, im Irak, auch im Jemen. Sisis Resumee am Ende aller Fragen zu Todesstrafen und Bürgerrechten: "Sie haben eine Perspektive, die wir respektieren. Und wir haben eine Perspektive, die Sie respektieren sollten."

Am Ende hat es den Handschlag trotz der Tumulte gegeben - und dazu neue Kritik von den Grünen. Die Nordafrika-Expertin der Fraktion, Franziska Brantner, lobte zwar, dass Merkel die Todesstrafe kritisiert habe. Aber zur Justizwillkür, zu den Tausenden Gefangenen habe sie geschwiegen. Deutschland wolle dem Land helfen, in Frieden und Sicherheit zu leben. Sicherheit aber müsse zuallererst auch im eigenen Land gewährleistet werden. "Stabilität wird es in Ägypten nicht geben, wenn ein Teil der Bevölkerung unterdrückt wird", sagte Brantner der SZ.

Kritisch sieht sie auch das geplante Milliardengeschäft. Sie warte mit Interesse auf die Begründung, mit der die Regierung ein solches Großgeschäft mit einem Land absichern wolle, in dem "die Menschenrechte mit Füßen getreten werden". Scharfe Kritik übte sie an Äußerungen von Unionsfraktionschef Volker Kauder. Der CDU-Politiker hatte einem ägyptischen Fernsehsender gesagt, er habe Sisi als sehr glaubwürdigen Politiker erlebt, das bedeute in der Politik viel. Brantner bezeichnete seine Ausführungen als "Schlag ins Gesicht für Tausende Oppositionelle in Ägypten, die ohne Gerichtsverhandlung seit Monaten im Gefängnis sitzen, gefoltert werden oder umkamen". Er habe sich "zum Büttel von Sisis Propagandamaschine" gemacht.

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