Süddeutsche Zeitung

Ägyptens neue Hauptstadt:Flucht aus Kairo

Binnen sieben Jahren will Präsident al-Sisi eine schicke neue Großstadt aus dem Sand vor Kairo stampfen. Den Kairoern würde es jedoch mehr helfen, wenn mit einem Bruchteil des dafür veranschlagten Geldes ihr Alltagsleben verbessert würde.

Von Paul-Anton Krüger

Ein Flughafen, der Heathrow übertrifft, so groß wie Singapur und mit Hochhäusern, eine Replika des Eiffelturms darunter, die an Dubai erinnern: So soll Ägyptens noch namenlose neue Hauptstadt aussehen. Für 45 Milliarden Dollar soll sie binnen sieben Jahren zwischen Kairo und Rotem Meer aus der Wüste wachsen und neben staatlichen Institutionen und Botschaften fünf Millionen Menschen eine Heimat bieten - aus allen sozialen Klassen, wie der Chef der Projektentwicklungsfirma aus den Emiraten betont. Eine Fata Morgana ? Das moderne Äquivalent einer Pyramide für Präsident Abdel Fattah al-Sisi? Oder der Grundstein für die in Ägypten oft ersehnte Rückkehr zu alter Größe und wirtschaftlicher Stärke?

Sisi wäre nicht der erste Ägypter, der die Hauptstadt verlegt, Ägypten nicht das erste Land, das auf eine solche Idee kommt. Schon der Pharao Echnaton baute sich und seiner Hauptfrau Nofretete vor 3300 Jahren eine neu Kapitale; in Brasilien schuf Oscar Niemeyer in Brasília eine Verwaltungsstadt, die heute zum Weltkulturerbe zählt. Doch während Echnaton aus religiösem Antrieb handelte und Brasilien einen neutralen Platz suchte, von dem aus der Bundesstaat sich regieren lasse, ist Sisis Regierungsmetropole ein Vorhaben, um die Wirtschaft zu stimulieren und dem 20-Millionen-Moloch Kairo zu entfliehen.

Der Präsident hat einen Hang zu Megaprojekten, die mit Fanfaren angekündigt werden, um dann allzu oft im Sand zu verlaufen. Eine Million Wohnungen für 40 Milliarden Dollar gab Kairo jüngst in Auftrag, für zehn Milliarden Dollar sollen neue Getreidesilos entstehen. Da nimmt sich der Ausbau des Suez-Kanals für vier Milliarden Dollar fast bescheiden aus. So sehr diese großen Visionen zu faszinieren vermögen, sie sind anfällig für Korruption und selten nachhaltig. Ägypten investiert viel in Immobilien, in Prestige. Dagegen fließt kaum Geld in das marode Gesundheitswesen, in Bildung oder den Ausbau der Infrastruktur - das würde sich wenigstens direkt auswirken auf die Lebensqualität und Wertschöpfung erst ermöglichen.

Politische Stabilität entsteht nicht durch Repression und Dekrete

Kairo steht am Rande des Kollapses. Doch das ist mindestens ebenso wie dem Bevölkerungsanstieg Jahrzehnten der Vernachlässigung und Verwahrlosung geschuldet. Wohin soll das führen, wenn die Siegreiche, wie Kairo genannt wird, auf 40 Millionen Menschen anschwillt, so die Prognose der Regierung? Wird die größte Stadt der arabischen Welt dann endgültig sich selbst überlassen, weil die Herrschenden in Glastürmen residieren, entrückt der Lebenswirklichkeit ihrer Landsleute?

Für einen Bruchteil des Geldes, das in das Glitzer-Hauptstadt fließen soll, ließe sich Kairos U-Bahn ausbauen. Damit wäre den Bürgern mehr geholfen. Wenn konsequent die Korruption bekämpft würde und die Regierung die lähmende Bürokratie auf Trab brächte, die ohne Bakschisch oft keinen Handstrich tut. Wenn Rechtssicherheit und Rechtsstaatlichkeit herrschten, nicht Willkür und Vetternwirtschaft. Ägypten muss seine Institutionen neu aufbauen. Dazu gehört ein funktionierendes Parlament, das die Regierung kontrolliert und eine Vielzahl fragwürdiger Dekrete prüft, mit denen Sisi das Land regiert.

Daran sollte Kanzlerin Angela Merkel den Präsidenten erinnern, wenn sie ihn empfängt. Bis vor Kurzem galt die Parlamentswahl noch als Voraussetzung für einen Besuch. Inzwischen überwiegt wohl die Angst, auf dem lukrativen Markt abgehängt zu werden. Es ist nötig, Ägypten zu helfen. Dazu gehört es aber auch, Sisi klarzumachen, dass Wirtschaftswachstum nicht reicht, um Stabilität zu schaffen. Das politische Klima ist genauso maßgeblich für die Zukunft des Landes. Es ist geprägt von harter, unterschiedloser Repression. Das in aller Deutlichkeit zu kritisieren, ist Deutschland den Ägyptern schuldig.

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SZ vom 16.03.2015/dgr
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