Süddeutsche Zeitung

Ägypten:Wo aus Fischern Menschenschmuggler werden

Das Mittelmeer vor Ägypten ist leergefischt - doch ein dunkles Gewerbe blüht: 10 000 Dollar nehmen Schlepper für eine Familie mit zwei Kindern. Besuch an den Stränden der Menschenhändler.

Reportage von Paul-Anton Krüger

Abdallah thront auf einem roten Plastikstuhl. Er ist der Herr über einen Strand in Abu Qir, einer Stadt am Mittelmeer, 20 Kilometer östlich von Alexandria. Hinter ihm stehen Häuser, zehn, zwölf Stockwerke hoch, so eng zusammen, dass gerade ein Auto durch die Straße passt. Der salzig-feuchte Wind frisst an Farbe und Beton. Abdallahs Füße stecken in Plastiklatschen, dazu trägt er schwarze Jogginghose. Das blaue T-Shirt spannt über dem Bauch. Der 27-Jährige vermietet zerfledderte Sonnenschirme, gelbe und rote, dazu grüne Plastikstühle und Tische. Jetzt, am Vormittag, ist noch nicht viel los hier. Nur ein paar Straßenköter wälzen sich im groben Sand.

Im Sommer strömen die wohlhabenden Ägypter an die Nordküste, in Alexandria sind die Hotels gut gebucht. Doch zu Abdallah kommen nur einfache Leute aus der Gegend. Die Frauen legen weder Kleider noch Kopftuch ab, wenn sie in die grün-blauen Wellen waten. Ihnen kann er allenfalls für ein paar Pfund Tee verkaufen.

Doch es gibt eine andere Einnahmequelle hier an diesen Stränden, eine wesentlich lukrativere als ägyptische Urlauber: die Menschen, die nachts hierher kommen. Für sie beginnt in Abu Qir die gefährliche, teure Reise ans andere Ufer des Mittelmeers. Von hier fahren kleine Boote mit Flüchtlingen ab, Zubringer zu größeren Schiffen auf hoher See.

"Alles im Voraus zu bezahlen. Das ist dein Risiko!"

Abdallah streicht durch seinen langen schwarzen Bart, massiert sich ein wenig Wasser in die Haare. "Ich kenne die Geschichten auch nur vom Hören", sagt er. Mit dem Menschenschmuggel will er nicht in Verbindung gebracht werden, weder seinen echten Namen noch ein Foto in der Zeitung sehen. Die Leute im Viertel sagen, er sei ein Vermittler. Einer, der Reisewillige einsammelt für seinen Boss. Ein Rädchen in einem System, das kaum etwas dem Zufall überlässt und Geld in solchen Massen abwirft, die mit legaler Arbeit in Ägypten kaum zu verdienen sind.

Und obwohl Abdallah vorgibt, mit dem Geschäft nichts zu tun zu haben, erzählt er dann doch ein paar Details. Wo genau die Boote abfahren, will er zwar nicht sagen, doch Abu Qir ist bekannt dafür. Der Ort liegt an einer Bucht, das Meer ist hier ruhiger. 20 000 Pfund, etwa 2000 Euro, koste die Fahrt für Ägypter, sagt Abdallah. "Alles im Voraus zu bezahlen. Das ist dein Risiko!" Wenn die Küstenwache oder das Militär die Boote erwischen, die Polizei die Busse anhält, ist das Geld weg. "Man muss schauen, dass man nicht an Betrüger gerät." Die würden ein paar Stunden über das Meer fahren, die Flüchtlinge irgendwo aussetzen und ihnen erzählen, die Lichter am Horizont seien in Italien.

"Es dauert lange, bis eine Überfahrt organisiert ist", sagt Abdallah. "Es ist nicht so leicht, wie sich die Leute das vorstellen." Bis zu 500 Leute müssen Vermittler wie er finden, bevor Bosse und Bootseigner handelseinig werden. Ein, zwei Mal pro Jahr würden die einen Trip organisieren. "Lieber einmal mit dem Vorschlaghammer zuschlagen als viele Male mit einem Hämmerchen", zitiert er ein ägyptisches Sprichwort.

Das Geschäft läuft in diesem Sommer

Es sei ein schmutziges Geschäft, raunt Abdallah, während der Lautsprecher der Moschee krächzt - nichts für einen gläubigen Muslim wie ihn, für einen, der dem Aussehen nach ein Salafist zu sein scheint. "Lasst euch nicht von dem Bart täuschen", meinte jedoch vorher der Mann, der das Gespräch vermittelt hat. "Er ist kein frommer Mann, sondern ein Krimineller."

Das Geschäft läuft in diesem Sommer - laut der EU-Grenzschutzagentur Frontex kamen bis Ende Juli 95 000 Menschen in Italien an. Einer der Gründe für den starken Anstieg sei eine "steigende Zahl von Abfahrten aus Ägypten auf der zentralen Mittelmeerroute". Die EU-Kommission sucht das Gespräch mit der Regierung in Kairo, um "die Ursachen des Anstiegs besser zu verstehen". Nach Libyen ist laut der Internationalen Organisation für Migration (IOM) inzwischen Ägypten das wichtigste Ausgangsland für die Flucht nach Europa. Der Regierung in Kairo ist nicht entgangen, wie die Türkei aus der Flüchtlingskrise politisches Kapital zu schlagen versucht.

Anders als von Libyen aus legen in Ägypten kaum Schlauchboote ab - es sind zumeist große Fischkutter, die zur Überfahrt genutzt werden. Dutzende dieser Schiffe, grün und blau, rot und gelb gestrichen, dümpeln im Fischereihafen von Borg Meghezel, dort wo sich der westliche Nil-Arm an Rosette vorbei träge dem Meer entgegenwälzt. Der Ort mit seinen 25 000 Einwohnern ist als Schmugglernest verrufen. "Wenn die Polizei dich anhält und Borg Meghezel in deinem Ausweis steht, sind sie extrem misstrauisch", klagen die Männer, die an der Hauptstraße unter einem Schilfdach im Schatten sitzen und Tee trinken. "Wir leben vom Wasser", sagen sie - das kann man so oder so verstehen.

Sie sind Fischer, aber das Mittelmeer vor Ägypten ist leergefischt. Sie fahren nach Libyen und Tunesien, um noch etwas zu fangen. Dutzende von ihnen wurden schon verhaftet, ihre Boote beschlagnahmt, weil sie in die Gewässer anderer Länder eingedrungen waren. Es ist harte Arbeit, gefährlich, und doch reicht es kaum zum Leben. Es ist es schwer, der Verlockung des schnellen Reichtums zu widerstehen. "Schmuggel, das gibt es hier nicht", herrscht einer der Männer die anderen an. Er trägt ein teures Polo-Hemd und einen kurz gestutzten Schnauzer auf der Oberlippe.

Der Mann besitzt selber drei Boote, klärt später einer der anderen auf. "Natürlich gibt es hier Schmuggel", sagt er, "mit einer Überfahrt kannst du als Eigner drei bis vier Millionen Pfund machen", umgerechnet 300 000 bis 400 000 Euro. Afrikaner und Syrer zahlen mit Devisen, der Tarif für eine Familie mit zwei Kindern ist derzeit 10 000 Dollar. Neu gebaute mehrstöckige Häuser in dem heruntergekommenen Ort zeugen davon, dass hier Menschen zu Geld gekommen sind.

Etwa jeder fünfte der Bootseigner betätige sich als Schlepper

In der kleinen Werft am Ortsrand werden gerade ein halbes Dutzend neue Kutter auf Kiel gelegt, Männer schweißen und hämmern am Abend an den Rümpfen herum. 700 000 bis 800 000 Pfund koste so ein Boot ohne Motor und Ausstattung, sagen sie. Und ja, es gebe gut zu tun, einige neue Aufträge.

Etwa jeder fünfte der Bootseigner betätige sich als Schlepper, sagt Ghaly Schehata, Mitarbeiter einer lokalen Nichtregierungsorganisation, die sich um die Familien von Fischern kümmert, die auf dem Meer geblieben sind. Nach ägyptischen Gesetzen ist der Menschenschmuggel nicht einmal illegal. Mehr als 400 große Kutter gibt es alleine in Borg Meghezel, sagt er, sie messen zwischen 20 und 27 Metern - 400 bis 500 Menschen werden auf ein solches Schiff gepfercht. Dazu kommen noch einmal mehr als tausend kleinere Boote.

Am Abend legen die Trawler ab, holen sich beim Grenzposten die Genehmigung für eine Fischereifahrt. In internationalen Gewässern dann sammeln sie die Flüchtlinge aus Abu Qir auf. Früher hatten die Fischer von Borg Meghezel auch das Zubringergeschäft selber in der Hand, aber auf der Landzunge an der Küste lässt die Regierung eine elf Quadratkilometer große Fischfarm bauen, die größte im Nahen Osten. Dutzende Bagger heben metertiefe Becken aus. Die Fischer sollen hier einmal Arbeit finden, aber zugleich ist hier jetzt der Weg zum Meer versperrt.

Arbeit, gut bezahlte zumal, darauf hoffen hier viele schon längst nicht mehr. Vor allem die Jungen suchen ihr Glück nun ebenfalls in Europa. Zwei von drei der 2600 Ägypter, die im ersten Halbjahr per Boot in Europa ankamen, waren jünger als 18 Jahre - die ägyptischen Flüchtlinge wiesen somit den höchsten Anteil unbegleiteter Minderjähriger auf. Sie werden nicht abgeschoben, sondern können zur Schule gehen und haben später gute Chancen, Aufenthaltspapiere zu bekommen. Jeder in Borg Meghezel kennt die Geschichten, Fotos und Facebook-Einträge vom Erfolg in der Fremde. Oft geschönt, aber doch unwiderstehlich.

"Der Wunsch, Geld zu machen, ist stärker als alles andere", sagt Ghaly Schehata. Vergessen sind dann die Leichen, die immer wieder angespült werden an den Stränden von Abu Qir oder sich in den Netzen der Fischer von Borg Meghezel verfangen.

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SZ vom 05.08.2016
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