Unruhen in Ägypten:Wie der Westen sich von Mubarak abwendet

Der ägyptische Präsident wurde jahrzehntelang vom Westen gestützt. 30 Jahre lang galt er als Garant der Stabilität in der Region. Nun blicken Amerikaner, Israelis und Europäer nicht ohne Sorge auf die stärkste Opposition im Land: die Muslimbrüder.

Daniel Brössler, Reymer Klüver und Peter Münch

Die tiefe Enttäuschung war Barack Obama anzumerken. Gerade einmal eine Stunde, nachdem Hosni Mubarak die Ägypter in einer Fernsehansprache am Wochenende hatte wissen lassen, dass er freiwillig nicht weichen wird, trat der US-Präsident im Weißen Haus selbst vor die Kamera. "Es muss Reformen geben - politische, soziale, ökonomische", sagte er geradezu unwirsch. Er habe den ägyptischen Staatschef aufgefordert, "konkrete Schritte" in diese Richtung zu unternehmen.

Unruhen in Ägypten: Was viele Ägypter von US-Präsident Obama erwarten, hat ein Karikaturist deutlich gemacht: Er soll Präsident Mubarak fallenlassen. Nicht nur in Kairo demonstrierten am Sonntag wieder Zehntausende für ein Ende des Regimes, sondern auch vor ägyptischen Botschaften in EU-Hauptstädten, wie hier in London.

Was viele Ägypter von US-Präsident Obama erwarten, hat ein Karikaturist deutlich gemacht: Er soll Präsident Mubarak fallenlassen. Nicht nur in Kairo demonstrierten am Sonntag wieder Zehntausende für ein Ende des Regimes, sondern auch vor ägyptischen Botschaften in EU-Hauptstädten, wie hier in London.

(Foto: AP)

Das war das bisher deutlichste Signal, dass Washington auf Distanz zu Mubarak gegangen ist und auf eine Lösung der Krise ohne den bisher so verlässlichen Verbündeten in Kairo setzt. Doch es ist ein Drahtseilakt. Auf der einen Seite will Obama jeden Eindruck vermeiden, dass er hinter den Kulissen versuchen wollte, die Ereignisse in Ägypten zu manipulieren. Auf der anderen Seite kann es nicht im Interesse der USA liegen, ein Machtvakuum in Ägypten entstehen zu lassen, das das Land ins Chaos stürzen und in die Hände der islamistischen Muslim-bruderschaft fallenlassen könnte.

Obamas schrittweises Abrücken von Mubarak geht indes manchen in Washington nicht schnell genug. Die neue Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Repräsentantenhaus, die Republikanerin Ileana Ros-Lehtinen, forderte ungestüm "sofort legitime, demokratische, international anerkannte Wahlen" - ein Aufruf, den das Weiße Haus bisher gemieden hat. Aus gutem Grund, findet Stephen Hadley, der Sicherheitsberater von Obamas Vorgänger, George W. Bush. "Wir sollten den Ägyptern Zeit lassen, nicht-islamistische Parteien zu bilden", sagte er unter Hinweis auf die politische Landschaft Ägyptens, in der es eben keine schlagkräftige organisierte Opposition zu Mubarak gibt - außer den Muslimbrüdern.

Sorge in Israel

Deshalb dürfte bei den Gedankenspielen im Weißen Haus die Überlegung eine große Rolle einnehmen, die Martin Indyk, ein früherer US-Botschafter in Israel, am Wochenende öffentlich ins Spiel brachte. Mubarak müsse gehen, sagte der Politikberater, der heute in der renommierten Brookings Institution tätig ist und engste Verbindungen ins Weiße Haus wie ins State Department hat. "Wir müssen uns jetzt darauf konzentrieren, Ägyptens Militär in eine Position zu bringen, in der es den Freiraum schafft für eine moderate und legitime Führung des Landes."

Amerikas Reaktion auf den Aufruhr in Ägypten wird in Israel mit großer Sorge verfolgt. Mubarak gilt in Jerusalem als Garant für Frieden und Stabilität, selbst ein vorsichtiges Abrücken vom greisen Herrscher wird als strategischer Fehler gewertet. Erinnert wird in den amerikanischen Medien an US-Präsident Jimmy Carter, der 1979 den Schah von Persien zur Zurückhaltung gegenüber den Demonstranten aufgerufen hatte und sich am Ende mit einem islamistischen Regime konfrontiert sah.

So wie Carter in die Geschichte einging als der US-Präsident, der Iran verlor, wird Obama als der Präsident gesehen, der Ägypten verlieren könnte. Noch gibt es in Israel zwar Hoffnung auf ein Überleben des Regimes, und diese Hoffnung klammert sich nicht zuletzt an die Ernennung des in Jerusalem hoch geschätzten Geheimdienstchefs Omar Suleiman zum Vizepräsidenten.

Diskutiert werden in Israel anders als im Westen vor allem Szenarien für den schlimmsten Fall - eine Machtübernahme durch die Muslimbruderschaft. Nach mehr als 30 Jahren des Friedens mit Ägypten würde dies eine völlig neue strategische Situation für Israel schaffen.

In Telefongesprächen mit Obama und Außenministerin Hillary Clinton suchte Premierminister Benjamin Netanjahu eine Abstimmung mit Washington. Zur Eröffnung einer Kabinettssitzung am Sonntag betonte er dann, Israels Ziel sei es, "dass der Frieden zwischen uns und Ägypten bei jeder Entwicklung bestehen bleibt".Israel schickte eine Maschine der staatlichen Fluggesellschaft El Al - äußerst ungewöhnlich für einen Sabbat - nach Kairo, um die Familienangehörigen des Botschaftspersonals auszufliegen. Die israelische Botschaft wurde vorläufig geschlossen, wichtige Mitarbeiter blieben aber im Land.

Deutschland wandte sich am Sonntag klar von Mubarak ab. "Die deutsche Bundesregierung steht an der Seite derer, die nach Demokratie und nach selbstverständlichen Bürger- und Menschenrechten rufen", sagte Außenminister Guido Westerwelle vor dem Abflug zu Konsultationen in Israel. Den Worten Mubaraks, so Westerwelle, müssten "tatsächliche Reformtaten folgen".

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