Ägypten vor der Stichwahl um das Präsidentenamt:Mubarak, der heimliche Wahlsieger

Es war etwas naiv, die Präsidentschaftswahl in Ägypten als krönenden Abschluss der Übergangsperiode zu sehen - denn das alte Regime war nie tot. In der Stichwahl wird ein ehemaliger Mubarak-Vertrauter gegen einen Salafisten antreten. Für viele eine "Pest-oder-Cholera"-Entscheidung. Dennoch zeigt die Paarung, dass die Menschen an die Möglichkeit eines friedlichen politischen Wandels glauben.

Sonja Zekri

Einer immerhin dürfte mit dem Wahlergebnis in Ägypten hochzufrieden sein, dürfte für einen Moment die Härten des vergangenen Jahres vergessen und sich bestätigt fühlen: Hosni Mubarak.

An diesem Samstag soll ein Gericht entscheiden, ob Mubarak wegen der fast 900 getöteten Demonstranten auf dem Tahrir-Platz gehenkt wird oder nur wegen Korruption ins Gefängnis kommt. Schon heute aber sehen viele den früheren Präsidenten - einst Alleinherrscher mit dynastischem Anspruch, vor 15 Monaten gestürzt, dann angeklagt und auf einer Pritsche im Käfig vor Gericht vorgeführt - als heimlichen Sieger der Wahlen.

Denn für die Revolutionäre ist ein Albtraum wahr geworden: Ahmed Schafik, Luftwaffengeneral wie Mubarak und letzter Premierminister vor dessen Sturz, hat es in die Stichwahl geschafft.

Die triumphale Rückkehr des Regimes

Das alte Regime war nie tot - mit einem Präsidenten Schafik würde es seine triumphale Rückkehr feiern. Und dass diese halbwegs demokratisch legitimiert sein könnte, macht es für seine Gegner nur noch schwerer erträglich. Auf Wahlkampfveranstaltungen bewarfen Ägypter Schafik mit Schuhen als Ausdruck der Verachtung. In der Nacht zu Dienstag brannte sein Hauptquartier. Empört raunen viele sich die Worte seines Sprechers aus der Wahlnacht zu: Die Revolution ist vorbei.

Für viele Christen, auch Säkulare und Geschäftsleute klingt eben dies wie ein Versprechen. Für sie verkörpert Mohammed Mursi, der Kandidat der Muslimbrüder und Schafiks Rivale in der Stichwahl, Unterdrückung, Intoleranz und Gewaltherrschaft - nur im Namen der Religion. Viele setzten im letzten Moment auf das stärkste Gegengift gegen einen Angstgegner. Es war eine Wahl für Phobiker.

Es war immer etwas naiv, die Präsidentschaftswahl als krönenden Abschluss der Übergangsperiode zu sehen, als würden damit nicht viele Konflikte überhaupt erst anfangen, etwa im Verhältnis des Staatschefs zum Militär. Nun ist die Katerstimmung groß. Selbst Anhänger der beiden Sieger ahnen, wie sehr ihre Kandidaten polarisieren, und dass sie gerade deshalb dem Konkurrenten Wähler in die Arme treiben und ihm zum Sieg verhelfen könnten.

Beide vertreten Systeme, die in Hierarchien leben und Dissens bekämpfen, beide begreifen Kompromisse als Niederlagen. Im schlimmsten Fall läuft es auf die Wahl zwischen Polizeistaat oder Gottesstaat hinaus. Das haben viele nicht gewollt.

Salafistische Parolen - auch in Amerikas Wahlkampf

Nun tragen die Wähler zwar die Verantwortung für das Ergebnis ihrer Entscheidung, selbst wenn es sich um die erste freie Abstimmung seit Jahrzehnten handelt. Aber gerade aus dem Westen verbietet sich jede Schadenfreude. In Europa wählen viele Bürger links- oder rechtsextreme Kandidaten, und das in Ländern mit jahrzehnte-, selbst jahrhundertelanger Demokratietradition. Amerika leistet sich einen Wahlkampf mit fast salafistischen Parolen.

Vertrauensbeweis in die errungene Freiheit

Das Zwischenergebnis in Ägypten ist keineswegs der Beweis, dass die Menschen zu religiös, zu ungebildet, vielleicht auch nur zu hungrig sind für die Demokratie. Gemessen an den Zumutungen des vergangenen Jahres ist es eher erstaunlich, mit welchem Stoizismus viele Arbeitslosigkeit und Unsicherheit ertragen. Dass die Wahlbeteiligung bei nur 50 Prozent lag, zeigt, dass dieses Reservoir nicht unerschöpflich ist. Demokratie braucht Brot und Sicherheit.

Überhaupt lässt sich das niederschmetternde Resultat mit etwas gutem Willen geradezu als Vertrauensbeweis in die errungene Freiheit deuten. Eines der bemerkenswertesten Details beispielsweise ist der dramatische Verlust der Islamisten. Bei der Parlamentswahl vor nicht ganz vier Monaten hatten die Muslimbrüder fast 50 Prozent gewonnen, nun schafften sie nur die Hälfte.

Wahlversprechen für die Elenden und Vernachlässigten

Ihre eitlen Frömmeleien im Parlament und die unübersehbare politische Gier haben viele Wähler abgeschreckt. Alle islamistischen Kandidaten zusammen haben es nicht mehr auf jene überwältigenden 70 Prozent gebracht, mit denen sie derzeit das Parlament dominieren.

Gleichzeitig ist in dem Nasseristen Hamdin Sabbahi erstmals seit Jahrzehnten wieder eine linke, aber säkulare Alternative aufgetaucht. Sabbahi brachte es praktisch aus dem Stand auf den dritten Platz - und die Hoffnung auf eine panarabische Wiederauferstehung im Sinne Gamal Abdel Nassers spielte dabei keine Rolle. Vielmehr lockte Sabbahi mit - zugegeben fragwürdigen - Wahlversprechen viele der Elenden und Vernachlässigten an. Er wilderte im traditionellen Reservoir der Islamisten, deren Warnungen vor "unislamischem" Wahlverhalten offenbar längst nicht mehr so viel Eindruck machten.

So ist die Paarung bei der Stichwahl Ausdruck begreiflicher Verwirrung in einer erst entstehenden politischen Landschaft. Sie zeigt aber auch, dass die Menschen an die Möglichkeit eines friedlichen politischen Wandels glauben. Schon versprechen die Kandidaten Allianzen, politische Zugeständnisse.

Aber es gehört zum Erbe der Diktatur, dass die politische Niederlage fast immer die physische Vernichtung nach sich zieht, Gefängnis, Exil, sogar den Tod. Aufregender als der Name des Siegers ist deshalb die Frage, ob Ägypten ihn bei Nichtgefallen auch wieder loswird. Idealerweise diesmal ohne Revolution.

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