Ägypten:Verehrtes Phantom

A car travels past posters of presidential candidate and Egypt's former army chief and Abdel Fattah al-Sisi on a bridge in Cairo

Verehrtes Phatom: Plakate von al-Sisi auf einer Brücke in Kairo

(Foto: REUTERS)

Ex-Armeechef Sisi muss im Rennen um die Präsidentschaft in Ägypten nicht einmal öffentlich auftreten - er steht schon als Sieger fest. Seinen Gegnern bleibt nur der Boykott.

Von Tomas Avenarius, Kairo

Mit der Leichtigkeit von Schwalben ziehen die eisernen Jets ihre Schleifen und es sieht fast so aus, als ob die drei Maschinen der ägyptischen Luftwaffe mit den wölkchenweißen Abgasen ihrer Triebwerke zwischen den Kunstflugfiguren auch noch ein sattes, sehr bauchiges Herz in den blauen Himmel über Zagazig malen wollten.

Die naheliegende Frage an die Piloten da oben wäre - ein Herz für wen?

Ganz sicher nicht für den, dessen schwarze Limousine sich gerade durch die Menschenmenge schiebt, bevor er sich zu Fuß und bedrängt von begeisterten Anhängern in die Halle vorkämpft: Hamdin Sabahi, einer der zwei Bewerber um die ägyptische Präsidentschaft. Der Kandidat umarmt, küsst, tätschelt sich durch den Auftrieb. Allerdings sind es bestenfalls 1000 Unterstützer, die meisten sehr jung und politisch sehr begeisterungsfähig: "Macht Platz", brüllt einer, "da kommt unser Präsident!"

Wunsch nach Sicherheit und Arbeit

Sabahi, Mann des Volks, Revolutionär, Politiker zum Anfassen. Die Wahl Anfang kommender Woche hat "unser Präsident" schon verloren, bevor der erste Stimmzettel in die Urne fällt. Auch wenn der 59-Jährige sich kämpferisch gibt in der "Oasen"- Festhalle, in der sonst die Hochzeiten kleiner Leute gefeiert werden, in der aus den Lautsprechern der Song "Meine Stimme für Hamdin" scheppert und die Unterstützer "Brot, Freiheit, soziale Gerechtigkeit" skandieren: Politisch ist der Kandidat Sabahi Fallobst bei einer Wahl, deren Sieger feststeht und in der sich drei Jahre nach der Tahrir-Revolution das Schicksal Ägyptens auf Jahre entscheiden könnte.

Sabahis Gegner, Ex-Armeechef Feldmarschall Abdel Fatah al-Sisi, dürfte als eine Art nationaler Wunschkandidat wirklich die Hoffnungen einer Mehrheit der Ägypter verkörpern. Der Offizier scheint in diesen Tagen überall zu sein, ohne leibhaftig je in Erscheinung zu treten. So ist der ägyptische Präsidentschaftswahlkampf 2014 in Wahrheit eigentlich ein Nicht-Wahlkampf. Drei Jahre nach der Tahrir-Revolte von 2011 und ein Jahr nach dem vom Militär im Juli 2013 mit uhrwerkartiger Präzision durchexerzierten Sturz des gewählten Präsidenten-Versagers Mohammed Mursi dient die gekonnt inszenierte Abstimmung einem einzigen Ziel: Sisi als dem von vornherein feststehenden Sieger das Gütesiegel demokratischer Legitimation zu verschaffen. Die Präsidentschaftswahl am Nil ist ein Referendum in Absurdistan, denn da wird einer im Amt bestätigt, der noch gar nicht im Amt ist.

Eigentlich müssten die Ägypter also gar nicht wählen. Umfragen, die nur begrenzt zuverlässig sind, gehen von 70 bis 80 Prozent der Stimmen für Sisi aus. Bei der Wahl der Auslandsägypter lag sein Ergebnis sogar bei 94 Prozent. Diejenigen, die dem 59-jährigen Offizier als Neuauflage des 2011 gestürzten Staatschefs Hosni Mubarak misstrauen, wagen es kaum noch, dies offen zu sagen. Die Muslimbrüder sind ohnehin zur Terrororganisation erklärt, als Partei verboten worden. Presse und Sender haben sich gleichgeschaltet, freiwillig.

In den Charts trällern nach oben strebende Popsternchen Rührschnulzen auf den General. Und aus dem Hausarrest spricht sich Mubarak väterlich für den Offizier aus: "Sisi ist der Einzige, der das Land heute regieren kann." Es gehört zu den Rätseln Ägyptens, warum das 90-Millionen-Volk 2011 einen dem Militär entstammenden Autokraten stürzt, um sich drei Jahre später erneut einem Offizier in die Arme zu werfen. Der politische Messias erklärt, wie wenig Verständnis er dafür hat, dass wilde Proteste und Streiks die Nation schwächen, dass in schweren Zeiten auch bei der freien Meinungsäußerung Abstriche gemacht werden müssten. Bei ausländischen Beobachtern lässt so etwas Skepsis gegenüber dem kommenden Mann aufkommen, nicht aber in der öffentlichen Meinung Ägyptens. Nach drei Jahren des revolutionären Durcheinanders will die Mehrheit nur noch Stabilität, Sicherheit, Arbeit.

Dennoch könnte Gegenkandidat Sabahi gute Teile der gar nicht so kleinen Opposition hinter sich vereinen. Sisis Gegnern bleibt sonst nur der Wahlboykott, den aus dem Untergrund die Muslimbrüder empfehlen. Und nicht alle, die gegen Sisi sind, sind Islamisten. Sabahi spricht zu einem Publikum, das ihn wild betrommelt, weniger an Argumenten als an der eigenen Euphorie interessiert ist. Seine Anhänger machen so viel Lärm in der Oasen-Halle, dass der Redner sich nicht hört, trotz der zwei Mikrofone in der geballten Faust.

Sisis bescheidene Ziele

In solchen Augenblicken erschlafft Sabahis Gesicht. Er scheint dann selbst nicht überzeugt zu sein von dem, was er verspricht. Dann aber pumpt sich der in langen Oppositionsjahren abgehärtete Politiker wieder auf. Der Wahlkämpfer erinnert an einen Wehrpflichtigen aus Zagazig, der in den achtziger Jahren sieben israelische Touristen erschossen hatte. Damals herrschte Frieden zwischen Ägypten und Israel, so wie heute. Zwei Frauen und vier Kinder waren unter den Toten, es war bestenfalls die Tat eines Geisteskranken. Sabahi sagt ungerührt: "Der Mann war ein Held. Er hat unseren Feind bekämpft."

Solche Thesen gehen in Ägypten für einen führenden Oppositionsmann als Populismus durch, einem möglichen Staatschef aber stehen sie auch hier nicht mehr gut an. Aber was soll der Möchtegern-Präsident Zündendes sagen? Harte Kritik an der Rolle der ägyptischen Armee? Die Streitkräfte sind den Ägyptern heilig. Sisi als Person? Der General als Armeechef hat den Islamisten Mursi abgesetzt, das Volk dankt es ihm, für die Mehrheit der Ägypter war es kein Putsch, sondern die zweite ägyptische Revolution im 21. Jahrhundert. Sabahi boxt ins Leere. Er sagt Dinge wie: "Sisi ist kompetent. Wenn ich Präsident bin, biete ich ihm einen Job an".

Dem Links-Nationalisten, hinter dem mehrere demokratisch gesinnte Parteien stehen, fehlt es am Geld und Apparat für einen effektiven Wahlkampf. Hinter Sisi stehen - unausgesprochen - staatliche Institutionen und Oligarchen mit ihren Medien. Gegen diese Einheitsfront erhebt Sabahi sein Silberhaupt, beschwört den Geist der Tahrir-Revolution, wettert gegen Korruption, fordert Würde und soziale Gerechtigkeit für die Armen, die Handwerker und die Bauern, denen er bei der Gelegenheit gleich alle Schulden erlassen will.

Inhaltlich mag Sabahis Programm ausführlicher sein als das, was Sisi preisgibt von seinen Plänen. In Wirtschaftsfragen unterscheiden sich beide aber wenig, aus ihren Vorschlägen steigt der Staub der Planwirtschaft der 60er Jahre auf. Nicht umsonst stellen sich beide als Erben des bis heute populären Republikgründers Gamal Abdel Nasser dar. Nur, dass Sabahi die soziale Komponente stärker betont, während Sisi zwar Schulen, Kliniken und Flughäfen bauen will, gleichzeitig aber auf harte Zeiten einstimmt. Erste Anzeichen der Besserung verspricht der General frühestens "in zwei Jahren".

Der zum Politiker gewordene Generalfeldmarschall tritt öffentlich nicht auf, aus Angst vor Attentaten. Sisi, ehemals auch Geheimdienstchef, lässt das Wahlvolk über Fernsehen und Twitter wissen, was er zu bieten hat. Vor laufender Kamera trifft er sich mit politischen Multiplikatoren; Unternehmern, Gewerkschaftlern, Chefredakteuren, Schriftstellern. Und natürlich gibt es die Plakate. Ob in Kairo oder der Provinz: Die Sisi-Ikonen sind riesig, teuer, zahlreich. Sie hängen an Hauswänden, wehen quer über Straßen und Kreuzungen. Und scheinen manchmal sogar am Himmel über Zagazig zu hängen.

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