Süddeutsche Zeitung

Ägypten:Täter und Zeuge

Im Fall des in Kairo ermordeten italienischen Studenten Giulio Regeni belastet ein Agent offenbar den ägyptischen Geheimdienst schwer.

Von Oliver Meiler, Rom

Mehr als drei Jahre nach dem rätselhaften Foltertod von Giulio Regeni, einem jungen italienischen Doktoranden von der Universität Cambridge, der in Kairo forschte und womöglich vom ägyptischen Geheimdienst getötet wurde, kommt Bewegung in die Ermittlungen. Jedenfalls hegt man diese Hoffnung in Italien. Die großen Zeitungen Corriere della Sera und La Repubblica berichten, dass sich ein Zeuge bei den Anwälten der Familie gemeldet habe, und dessen brisante Aussagen seien nun Umstand eines Rechtshilfegesuchs der römischen Staatsanwaltschaft an die Adresse der ägyptischen Justizbehörden. Ob die darauf eingehen, ist fraglich. Bisher sträubten sich die Ägypter stets, den Italienern zu helfen. Sie verschleppten die Fahndung oder legten falsche Fährten.

Der "Superzeuge", wie ihn die italienischen Medien nennen, erzählte den Ermittlern, er habe im Sommer 2017, anderthalb Jahre nach dem Mord, am Rand einer internationalen Polizeikonferenz einem Tischgespräch gelauscht, bei dem über den "italienischen Jungen" geredet worden sei. Regeni war 28, als er starb. Ein ägyptischer Geheimdienstagent, dessen Namen der Zeuge auf der ausgetauschten Visitenkarte gelesen hat, erklärte einem Kollegen aus einem anderen arabischen Land, wie sie in seinem Land die politische Opposition bekämpften und dabei auf Regeni stießen. "Wir dachten, er sei ein britischer Spion", soll der Agent gesagt haben.

Zentral sind die Ereignisse vom 25. Januar 2016, einem symbolträchtigen Datum. Damals jährte sich zum fünften Mal der Aufstand auf dem Tahrir-Platz, der zum Sturz des Langzeitherrschers Hosni Mubarak führte und seitdem immer Anlass gab für Kundgebungen der Opposition, die sich um ihre Revolution betrogen fühlte. Regeni verließ seine Wohnung um 19.41 Uhr, seiner Freundin textete er: "Ich gehe jetzt raus." Er wollte zu einer Geburtstagsparty, das letzte Signal seines Handys ortete man später in einer U-Bahn-Station. Regeni verschwand, scheinbar spurlos.

Erst zehn Tage später fand man ihn tot in einem Graben an der Ausfallstraße nach Alexandria: nackt, mit gebrochenem Hals und zerborstenen Zähnen, mit Blutergüssen im ganzen Gesicht. Zunächst hieß es, Regeni sei wohl bei einem Autounfall umgekommen. Dann behaupteten die Ägypter, Regeni sei Opfer einer Bande geworden, die Ausländer entführte und ausraubte, vier Männer insgesamt, die Polizei habe sie alle bei einem Gefecht getötet. Befragen konnte man sie also nicht mehr.

In Italien setzte sich der Verdacht fest, wonach Regeni vom Geheimdienst, der National Security Agency, getötet wurde, weil er sich für die unabhängige, politisch aktive Gewerkschaft der Straßenhändler interessiert habe. Dank der Anrufliste auf dem Handy eines Gewerkschaftsführers, der mit dem jungen Forscher in Kontakt gestanden hatte, stellte die römische Staatsanwaltschaft eine Liste von fünf Offizieren der National Security zusammen, von denen sie glaubt, sie seien in den Mord an Regeni verwickelt. Einer von ihnen ist der Agent aus dem Tischgespräch. "Wir haben beschlossen, ihn zu fassen", sagte er offenbar. "Ich war dabei, wir luden ihn in den Wagen und mussten ihn schlagen, ich selbst schlug ihn mehrmals ins Gesicht." Passt alles zur These.

Italiens Premier Giuseppe Conte hat nun Ägyptens Präsidenten Abdel Fattah al-Sisi gebeten, das neue Rechtshilfegesuch ernst zu nehmen. Wie nachdrücklich er das tat, ist nicht überliefert. Conte steckt in einem Dilemma: Die italienische Bevölkerung fordert ein hartes Dringen auf Wahrheit, außerdem wurde im Abgeordnetenhaus soeben eine parlamentarische Ermittlungskommission zum Mordfall Regeni eingerichtet. Aus geostrategischen und wirtschaftlichen Gründen will sich Rom aber nicht frontal mit Sisi anlegen.

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SZ vom 06.05.2019
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