Ägypten:Sisis Wirklichkeit

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Allen Beteuerungen der Regierung zum Trotz landen missliebige Journalisten im Gefängnis. Sie werden mit Hilfe eines Gummiparagrafen zum Beispiel beschuldigt, Terroristen zu sein.

Von Paul-Anton Krüger

Glaubt man dem Regime in Kairo, hat es in Ägypten noch nie mehr Presse- und Meinungsfreiheit gegeben als unter Präsident Abdel Fattah al-Sisi. Die Bürger seien "frei von Angst, ihre Meinung zu sagen", behauptetet Außenminister Sameh Schukri. Sisi verkündet, kein Journalist in Ägypten werde wegen seiner Arbeit inhaftiert. Wie sich das in Einklang bringen lässt mit dem regelmäßig gegen unliebsame Berichterstatter angewendeten Tatbestand der Verbreitung falscher Nachrichten, bleibt ein Geheimnis der Regierung. Sie versucht, sich mithilfe der von ihr kontrollierten und nahestehenden Medien eine eigene Wirklichkeit zu erschaffen - und die lässt sie sich nicht gerne von Fakten trüben.

Die Organisation Reporter ohne Grenzen stuft die Pressefreiheit in Ägypten auf Platz 159 unter 178 bewerteten Ländern ein, gegen Ende des Mubarak-Regimes lag das Land auf Platz 127. Mit mehr als 20 wegen "erfundener Vorwürfe" Inhaftierten sei Ägypten "eines der größten Gefängnisse für Journalisten weltweit". Das Committee to Protect Journalists berichtet von 23 Journalisten in Haft, mehr Gefangene gibt es nur in China. Ägyptens Regierung freilich verweist regelmäßig darauf, dass viele von ihnen Terroristen seien, denen die Unterstützung einer verbotenen Vereinigung vorgeworfen werde; gemeint ist die Muslimbruderschaft. Ein Gummiparagraf, der Willkür Tür und Tor öffnet. Einmal in den Mühlen der Justiz, gibt es für die Inhaftierten oft kaum eine Möglichkeit, sich zu wehren. Auf ein Verfahren, das rechtsstaatlichen Standards entsprechen würde, kann niemand hoffen. Oft werden sie über lange Zeit in Untersuchungshaft gehalten. Selbst die gesetzliche Begrenzung von zwei Jahren wird ignoriert, so beim Foto-Journalisten Mahmud Abu Zeid, besser bekannt als Shawkan. Sein Verbrechen: Er hatte im August 2013 dokumentiert, wie Sicherheitskräfte mit brutaler Gewalt die Protestcamps der Muslimbrüder räumten. Das Massaker ist der dunkelste, blutigste Fleck des Regimes. Shawkan droht gar die Todesstrafe.

Eine Hatz auf Journalisten veranstalteten die Sicherheitskräfte bei den jüngsten Protesten in Kairo: 43 wurden nach Angaben des Journalistensyndikats festgenommen, als sie versuchten, ihre Arbeit zu machen, mehrere sind noch in Haft. Auch ausländische Korrespondenten wurden vorübergehend festgehalten. Spitzel der Staatssicherheit verfolgten Reporter durch mehrere Stadtteile. Im Fall des zu Tode gefolterten Italieners Giulio Regeni läuft eine Anzeige gegen den Bürochef der Nachrichtenagentur Reuters. Sie hatte, gestützt auf Quellen im Sicherheitsapparat, berichtet, Regeni sei festgenommen und dann an die Staatssicherheit übergeben worden - was das Innenministerium vehement bestreitet.

© SZ vom 30.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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