Ägypten: Nach dem Sturz Mubaraks:Die Zeit der Generäle

Das Militär in Ägypten löst das Parlament auf und setzt die Verfassung außer Kraft. Damit sichert es sich für das kommende halbe Jahr uneingeschränkt die Macht am Nil. Zwar versprechen die Generäle auch, die Verantwortung bald an eine frei gewählte Regierung übergeben zu wollen - doch werden die sie das Versprechen halten?

Sonja Zekri, Kairo

Manchmal klingt das ägyptische Militär wie eine Menschenrechtsorganisation. Einen "friedlichen Übergang" zu einer "gewählten zivilen Führung" wolle man ermöglichen, hat der Oberste Rat der Streitkräfte erklärt und ein "freies demokratisches System" in Aussicht gestellt. Seit Präsident Hosni Mubarak am Freitag seinen Rücktritt erklärt und die Macht an das Armee-Gremium übertragen hat, seit die Revolution in einen Militärputsch umgeschlagen ist, ist der Militärrat Ägyptens neues Machtzentrum. Und seither wartet Ägypten. Denn wann die Armee ihrem Volk die Demokratie schenken will und wie, mit welchem Personal und welcher Legitimierung, das ist nach wie vor offen.

An Egyptian soldier holds his rifle as policemen protest in Cairo

Das Militär hat in Ägypten die Macht übernommen: Mit einem Doppelschlag sichert es sich nun für das nächste halbe Jahr uneingeschränkt die Macht am Nil.

(Foto: REUTERS)

Ägyptens Verfassung bietet wenig Antworten für den Fall eines Militärputsches. Die bisherigen politischen Institutionen sind unter den Bedingungen eines autoritären Regimes mit Wahlfälschungen zustande gekommen oder vom gestürzten Mubarak installiert worden.

Ein von der Mubarak-Partei NDP beherrschtes, durch flagrante Manipulationen an die Macht gekommenes Parlament aber kann kaum die nötigen Verfassungsreformen auf den Weg bringen, um für Parteien und Präsidentschaftskandidaten den Weg zu freien und fairen Wahlen zu gewährleisten.

Insofern wirkt es wie ein Befreiungsschlag, als der Militärrat am Sonntag erklärte, dass es das Parlament auflösen und die Verfassung außer Kraft setzen werde. Maximal sechs Monate lang werde die Übergangsphase dauern und das Militär regieren, sollte nicht vorher neu gewählt werden, so die Erklärung im Staatsfernsehen. Eine Kommission soll Verfassungsänderungen ausarbeiten, obwohl nicht klar ist, wer dem Gremium angehören wird. Wäre die bisherige Konstitution in Kraft geblieben, hätten nach dem Rücktritt Mubaraks innerhalb von 60 Tagen Neuwahlen ausgerufen werden müssen, in denen der alte Apparat - besser organisiert, leichter mobilisierbar - klar im Vorteil gewesen wäre.

Mit dem Doppelschlag sichert sich das Militär nun für das nächste halbe Jahr uneingeschränkt die Macht am Nil. Gleichzeitig aber kommt die Armee den Forderungen der Demonstranten entgegen, die stets die Auflösung des von der NDP dominierten Parlamentes gefordert hatten. Eine andere zentrale Forderung - die Aufhebung des seit 30 Jahren geltenden Ausnahmezustandes - wurde hingegen nicht einmal erwähnt. Ohnehin ist die Frage, wie das Militär eine voll mobilisierte kritische Öffentlichkeit integrieren kann, die sich nach dem Sturz Mubaraks an der eigenen Stärke und der Aussicht auf echte Demokratie berauscht. Die nächste Forderung steht im Raum: Das Land braucht eine neue Regierung. Friedensnobelpreisträger Mohamed ElBaradei, der die Muslimbrüder, die Jugendbewegung und einige kleine Parteien hinter sich versammelt hat, drängt zudem seit Tagen auf die Einrichtung eines Rates für die Übergangsperiode, dem ein Angehöriger der Armee, des alten Regimes und der Opposition angehören soll.

Bislang aber haben Ägyptens Militärherrscher weder mit ElBaradei noch mit irgendeinem anderen Wortführer vom Tahrir-Platz Kontakt aufgenommen. El-Baradei gilt als möglicher Kandidat für die nächste Präsidentschaftswahl neben Amr Mussa, dem beliebten Generalsekretär der Arabischen Liga, der bereits angekündigt hat, dass er seinen jetzigen Posten aufgeben wird. Und da sind noch der Chemienobelpreisträger Ahmed Zuweil, außerdem Aiman Nur, der 2005 gegen Mubarak antrat, verlor, verurteilt und eingesperrt wurde. Er werde "natürlich" kandidieren, ließ Nur inzwischen verlauten.

Fast zärtliches Verhältnis zur Armee

Bis heute haben viele Ägypter zur Armee ein fast zärtliches Verhältnis. Aber in den Tagen seit dem Sturz Mubaraks war vor allem unter den protestierenden Jugendlichen Unmut laut geworden, dass die Streitkräfte keinen klaren Plan vorgelegt haben, wie sie den Übergang gestalten will. Das Kabinett, von Mubarak in den ersten Tagen der Revolte als Zeichen des Entgegenkommens ausgetauscht, soll nach dem Willen des Militärrates erst einmal weiterregieren, gegen den Willen der Demonstranten. Dass einige Ministerien derzeit nicht besetzt sind, wie jenes des verhassten Informationsministers Anas al-Fiqi, der nach einer Hetzkampagne in den staatlichen Medien gegen die Aufständischen zurücktrat - das sei erstmal kein Grund zur Besorgnis, sagte Premierminister Ahmad Schafik. Ziel seiner Regierung sei Stabilität und Normalität, so Schafik - "von Brot bis zur medizinischen Versorgung". Gegen al-Fiqi, Ex-Innenminister Habib El Adly und Ex-Premier Ahmed Nasif wurde nach Medienberichten ein Ausreiseverbot verhängt.

Auch das Verhältnis des Militärs zur Polizei musste viele Protestierende provozieren. Die Polizei hat Demonstranten misshandelt und in Zivilkleidung geplündert, um die Menschen in Angst und Schrecken zu versetzen. Nun aber hat Mohammed Hussein Tantawi, Verteidigungsminister und Chef des Militärrates, die Menschen zur Kooperation mit den Beamten aufgefordert und mit dem neuen Innenminister Mahmut Wagdi diskutiert, dass man die Polizei bald auf die Straße zurückkehren lassen könnte. Dabei ging bereits ein Sturm der Entrüstung über den Tahrir-Platz, als die Polizei am Sonntag mithelfen sollte, Barrikaden zu räumen. Über Tausende politische Gefangene hingegen, die trotz einer Massenflucht aus den Gefängnissen in den Tagen des Aufruhrs noch immer hinter Gittern sitzen, verlor Tantawi kein Wort.

Ohnehin ist es mehr als fraglich, ob ausgerechnet der Feldmarschall, der als Kriegskamerad des Ex-Präsidenten und als "Mubaraks Pudel" gilt, ein System über den Haufen werfen wird, das von einer undurchsichtigen Verflechtung von Wirtschaft und Militär lebt und die Armee über Jahre bestens ernährt hat. Die New York Times zitierte US-Offiziere mit den Worten, Tantawi sei "ein entschlossener Gegner politischen Wandels", in jedem Fall nicht "entschlossen pro-demokratisch". Das gleiche gelte für den zweiten starken Mann, Generalstabschef Sami Hafez Enan, der immerhin als "aufgeweckt" gilt.

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