Ägypten:Kanal der Hoffnung

Präsident Abdel Fatah al-Sisi investiert immens viel Geld und Kraft in die berühmte Wasserstraße - es dürfte sich für sein Land lohnen.

Von Tomas Avenarius

Große Staatsmänner müssen von allem etwas haben: Vollblutpolitiker sollten sie sein, Wirtschaftsvisionäre, Kulturgestalter. Epochemachende Gesetzgeber dazu, Menschenfischer sowieso. Fehlen darf auch nicht der Sinn fürs Militärische beziehungsweise für die realen Kräfteverhältnisse zwischen den Staaten, die sich bis heute auch in der Zahl von Panzern und Kanonen ausdrücken. Wenn einer, wie einst der britische Kriegspremier Winston Churchill, dazu noch brillant formulieren kann, so ist das die Kür; es rundet das Bild vom Übervater im Dienst der Nation.

In den demokratischen Gesellschaften hat dieses Herrscherideal allerdings ausgedient, mit Grund. In einem Land wie Ägypten ist es dagegen hochaktuell. Weshalb sich auch eher mittelmäßige Regenten in Szene setzen müssen, um einerseits die von ihnen selbst geweckten Erwartungen zu erfüllen und andererseits von diesen zu profitieren. Wenn der nachträglich durch Wahlen geadelte Putschgeneral Abdel Fattah al-Sisi nun den "neuen", um eine zweite Fahrrinne erweiterten Suezkanal in Anwesenheit von Präsidenten, Königen und Emiren einweiht, dann inszeniert er sich so wie einst der Khedive Ismail 1869 bei der Eröffnung des frisch gegrabenen Kanals. Deshalb befuhren Sisi und seine Staatsgäste die neue zweite Fahrspur der Wasserstraße auf der historischen Yacht Mahrousa. Auf diesem Schiff waren vor knapp 150 Jahren auch der ägyptische Herrscher Ismail zusammen mit der französischen Kaiserin Eugénie und dem Kanal-Schöpfer Ferdinand de Lesseps zur großen Kanal-Party gereist.

Präsident Sisi investiert in Stolz und Zukunft seines Landes

Sisi, der Retter und Baumeister Ägyptens. Der Präsident, der sein durch Aufstand, Gegenrevolution und Terror gebeuteltes Land mit einem strategischen Bauprojekt wieder in die Oberliga der internationalen Staatengemeinschaft katapultieren, der Arbeitsplätze und Wohlstand schaffen will. Vielleicht sollte der Ex-General im Geschichtsbuch blättern? Dem Khediven und seinem Land hatte der Kanal anfangs mehr Leid als Nutzen gebracht. Ägypten war bald pleite, da der Wasserlauf auf der Grenzlinie zwischen Afrika und Asien nicht sofort das schnelle Geld brachte, sondern erst einmal astronomische Schuldforderungen internationaler Banken. Am Ende hatten die Briten das Sagen in Ägypten und am Kanal. Sie kamen mit Soldaten und entließen das Land erst viele Jahrzehnte später wieder in die Freiheit.

So schön er ist, der Vergleich mit dem ebenso ambitionierten wie politisch tölpelhaften Khediven - er trägt nur in Teilen. Der Suezkanal mag sich Ende des 19. Jahrhunderts nicht sofort gerechnet haben für Ägypten. Aber er verleiht dem Land bis heute seine politische, wirtschaftliche und militärische Bedeutung. So ist der Kanal ein Asset, wie Ökonomen sagen würden. Eine Art unerschöpflicher Rohstoff in einem Land, das außer Tourismus keine wirklich ergiebigen Wirtschaftszweige hat.

In dieses Asset hat Sisi investiert. Ja, er macht sein Land abhängig vom wirtschaftlichen Erfolg des Kanalprojekts, das er sich als Zentrum in einem Netzwerk noch zu bauender oder zu modernisierender Häfen und Freihandelszonen denkt. So will er Millionen neue Arbeitsplätze schaffen. Experten verweisen auf sich ändernde globale Handelsströme. Sie bezweifeln, dass der Kanal die Rendite abwirft, mit welcher der Ägypter kalkuliert. Auch die Volksanleihe, mit der Sisi Teile des Projekts finanziert hat, muss den patriotisch gestimmten Bürgern verzinst und zurückgezahlt werden.

Dennoch: Sisi hat den Ägyptern mit dem Kanal etwas versprochen. Er hat Wort gehalten und so vielen Menschen mit einem für den Nahen Osten typischen Monumentalprojekt ein Gefühl nationalen Aufbruchs verschafft. Das Mammutprojekt allein bringt das Land noch nicht nach vorn. Überbevölkerung, Armut, Bildungsnotstand und Wassermangel bleiben strukturelle Probleme Ägyptens. Terror, religiöser Fanatismus, Korruption und die Foltermentalität der Polizei müssen bekämpft werden.

Aber mit irgendetwas muss auch Sisi anfangen, sein Versprechen einer besseren Zukunft für 90 Millionen Ägypter zu erfüllen. Der Suezkanal als Verbindung zwischen dem Mittelmeer als Vorhof des Atlantiks und dem Roten Meer als einem Zubringer zum Indischen Ozean bleibt auch im 21. Jahrhundert eine strategische Konstante. Und damit eine lohnende Investition für Kairo. Wer global Handel treiben oder als Seemacht eine Rolle spielen möchte, kommt an Ägypten und seinem Sisi als Türsteher von Suez vorerst nicht vorbei. Ob dieser Sisi vom Durchschnittsherrscher ägyptischer Machart je zum Staatsmann wird, wird sich später zeigen.

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