Ägypten in der Krise:Islamisten wollen Verfassungsentscheid vorziehen

Lesezeit: 2 min

Die Richter streiken, die Proteste halten an. Jetzt haben sich die ägyptischen Islamisten etwas Neues ausgedacht: Das Volk soll im Schnellverfahren den umstrittenen Verfassungsentwurf beschließen, um die Krise zu beenden.

Massenproteste gegen den ägyptischen Präsidenten Mohammed Mursi zwingen die Regierung, schnell zu handeln: Nun wollen die Islamisten über ihren umstrittenen Verfassungsentwurf im Eilverfahren abstimmen lassen. Amr Darrag, der Generalsekretär des Verfassungskomitees, sagte nach Angaben lokaler Medien, eine Beschleunigung des Verfassungsprozesses sei der beste Weg aus der aktuellen Krise.

Das von islamistischen Gruppen dominierte Verfassungskomitee kündigte an, es werde seine ursprünglich für Dezember geplante abschließende Debatte über den Entwurf für eine neue Verfassung auf diesen Donnerstag vorziehen. Anschließend sollen die Mitglieder des Komitees über den Entwurf abstimmen. Danach wird er dem Präsidenten vorgelegt. Das Volk soll dann möglichst schnell über die Verfassung entscheiden.

Beobachter vermuten, dass die Islamisten hoffen, bei einem vorgezogenen Referendum eine Mehrheit zu bekommen, indem sie den Bürgern die neue Verfassung als Alternative zur umstrittenen Verfassungserklärung von Präsident Mursi präsentieren.

Liberale und Christen verlassen Verfassungskomitee

Etwa 25 Liberale und Christen hatten das Verfassungskomitee in den vergangenen Wochen unter Protest verlassen. Sie warfen den Islamisten vor, diese gingen nicht auf ihre Vorschläge ein und seien nur daran interessiert, die Vormachtstellung ihrer Parteien durch eine maßgeschneiderte Verfassung abzusichern. Der Vize-Parteichef der Partei der Muslimbrüder (FJP), Essam al-Arian, sagte in einem TV-Interview beschwichtigend, die Verfassungserklärung sei nur vorübergehend. Sie werde mit dem Inkrafttreten einer neuen Verfassung null und nichtig.

Der Sprecher des Verfassungsgerichts, Maher Sami, sagte in Kairo außerdem, die Islamisten hätten das Gerücht gestreut, das Verfassungsgericht plane ein Amtsenthebungsverfahren gegen Mursi. Dies sei falsch. Mursi hatte dem Verfassungsgericht am vergangenen Donnerstag das Recht abgesprochen, über die Rechtmäßigkeit seiner Dekrete zu befinden. Daraufhin waren zahlreiche Richter in den Streik getreten.

Die Muslimbruderschaft, die ihn im Frühjahr als Kandidaten für die Präsidentschaftswahl aufgestellt hatte, wirft den Richtern vor, sie seien korrupte Überbleibsel des alten Regimes unter dem damaligen Präsidenten Hosni Mubarak. Die Richter wollen erzwingen, dass Mursi die Entscheidungen zurücknimmt, mit denen er sich und den von Islamisten dominierten Verfassungsrat dem Zugriff der Justiz entzogen hatte. Der Bürochef des Präsidentenamtes, Mohammed al-Tahtawi, schloss einen Rückzieher Mursis jedoch kategorisch aus.

Proteste und Straßenkämpfe im ganzen Land

Währenddessen halten die Proteste gegen die Islamisten, vor allem die Muslimbruderschaft, weiter an. Dem seit Sonntag andauernden Streik der Richter schlossen sich am Mittwoch auch die Richter des Revisionsgerichts an. Die Verfassungsrichter warfen Mursi und der Muslimbruderschaft vor, sie führten eine Rufmordkampagne gegen das Verfassungsgericht.

Auf dem Tahrir-Platz in Kairo richteten sich nach der großen Protestaktion vom Dienstagabend Hunderte von Oppositionellen auf eine Dauer-Protestaktion ein. Die Polizei attackierte sie nach Angaben von Augenzeugen mit Tränengas. Die Muslimbrüder riefen ihrerseits für kommenden Samstag zu landesweiten Solidaritätskundgebungen für Mursi auf.

In der Nacht war es in zahlreichen Provinzstädten zu Straßenkämpfen gekommen. In der Industriestadt Al-Mahalla zählte man am Morgen 300 Verletzte. In Damanhur und Alexandria kam es zu Angriffen auf Büros der Muslimbruderschaft. In Al-Mansura setzten Gegner der Islamisten das Büro der Partei der Muslimbrüder in Brand.

© Süddeutsche.de/dpa/mike - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: