Ägypten in Aufruhr:Human Rights Watch: Armee foltert Mubarak-Gegner

Lesezeit: 2 min

Seit Beginn der Proteste in Ägypten gilt das Militär im Gegensatz zur Polizei als neutraler Faktor - offenbar zu Unrecht. Heimlich soll die Armee Regimegegner verschleppen und brutal malträtieren.

Trotz all der Sorge über den Aufruhr am Nil wollte Barack Obama auch loben: Ausdrücklich hob der US-Präsident die positive Rolle des ägyptischen Militärs hervor, es habe sich während der Massenproteste professionell und patriotisch verhalten, sagte Obama. Er hoffe, die Streitkräfte sorgten auch weiterhin für einen friedlichen Verlauf der Demonstrationen.

Interaktiver Zeitstrahl: Wie alles begann
:Arabien in Aufruhr

Alles begann mit der Selbstverbrennung eines jungen Mannes: In Tunesien jagt das Volk den Präsidenten ins Exil, in Ägypten zwingen Proteste den Machthaber zum Rücktritt - und in Libyen entbrennt ein Bürgerkrieg. Eine Chronologie.

Tagelang flimmerten bei al-Dschasira und CNN Bilder von Soldaten über den Bildschirm, die mit den Demonstranten diskutierten, Fahnen schwenkten, die mit ihren schweren Kampfpanzern die Regimekritiker vor den Schlägertrupps Mubaraks abschirmten. Die Männer in ihren khakifarbenen Uniformen, das waren die Good Guys, ihnen galt das Lob Obamas.

Die warmen Worte aus Washington sind gerade mal etwas mehr als eine Woche alt - und offenbar unzutreffend. Das bislang als neutraler Faktor geltende Militär soll sehr wohl auf Seiten des wankenden Regimes von Präsident Hosni Mubarak mitgemischt haben. Der Guardian erhebt schwerste Vorwürfe gegen die ägyptischen Streitkräfte: Heimlich sollen Soldaten unbewaffnete Demonstranten verschleppt und gefoltert haben. Hunderte, wenn nicht sogar Tausende mutmaßliche Oppositionsanhänger in Kairo seien betroffen, schreibt das britische Blatt. Die Rede ist von Schlägen mit Gewehrkolben, von Tritten und der Folter mit Elektroschockgeräten.

Der Bericht basiert auf Zeugenaussagen und beruft sich auf Human Rights Watch. Der Menschenrechtsorganisation zufolge gibt es bislang 119 Fälle von Zivilisten, die das Militär festgesetzt hat. Diejenigen Armee-Gefangenen, die entlassen worden sind, berichten demnach, man habe sie beschuldigt, für fremde Mächte - einschließlich Israel und der radikalislamischen Hamas - zu arbeiten.

Offenbar greift sich das Militär wahllos Regimegegner heraus: Menschen, die trotz der Ausgangssperre auf der Straße sind, Ägypter, die das Militär für Ausländer hält, Bürger, die mit der Armee sprechen wollen, einfache Leute, die unterwegs sind zum Tahrir-Platz, dem Zentrum der Proteste.

Angedrohte Vergewaltigung mit dem Bajonett

Zur Gruppe der letztgenannten gehört wohl der 23 Jahre alte Regimegegner, mit dem der Guardian gesprochen hat. Der junge Mann erzählt, er sei von Soldaten auf der Straße angehalten und beschuldigt worden, für ausländische Feinde zu arbeiten. Bei seiner Gefangennahme sei er brutal geschlagen worden, sagt er.

Sie hätten ihn ins nahegelegene Ägyptische Museum verschleppt und dort verhört. Man wollte von ihm wissen, wer ihn bezahle. Als der gefesselte Zivilist meinte, er protestiere, weil er eine bessere Regierung wolle, prügelten ihn mehrere Soldaten. Einer habe gedroht, ihn mit einem Bajonett zu vergewaltigen. Außerdem habe man ihm angedroht, ihn in einem Gefängnis verschwinden zu lassen, ohne dass es jemand erfahren würde.

Später habe man ihn in einem Raum geschafft mit einem Dutzend weiterer Regimegegner, die ebenfalls misshandelt worden seien. Nach 18 Stunden sei er wieder freigelassen worden, erzählt er. Man habe ihn gewarnt, nicht mehr zum Tahrir-Platz zurückzugehen.

Human Rights Watch dokumentierte dem Bericht zufolge auch den Fall eines anderen Mannes, in dessen Rucksack die Soldaten "Pro-Demokratie-Flugblätter" gefunden haben sollen. Er sei Polizisten übergeben worden und über mehrere Tage auf einer Polizeistation gefoltert worden. Beim Verhör habe ein Beamter den Entkleideten mit einem Elektroschockgerät brutal misshandelt, sagt der Mann, "er hat keine Stelle meines Körpers ausgelassen." Es sei kein richtiges Verhör gewesen, denn der Beamte, der ihn folterte, habe kaum Fragen gestellt.

Regierung warnt vor Armee-Einsatz

Dem Bericht zufolge gelten noch unzählige Oppositionelle als vermisst. "Viele Familien rufen bei uns an und klagen: 'Wir können unseren Sohn nicht mehr finden, er ist verschwunden'", erzählt Heba Morayef von Human Rights Watch. Die Armee sei keine neutrale Macht in Ägypten.

Inzwischen zeigt das angeschlagene Mubarak-Regime auch unverhohlen, dass es das Militär auf seiner Seite wähnt. Ägyptens Außenminister Ahmed Abdul Gheit sprach in die Richtung der Protestbewegung eine eindeutige Warnung aus: Sollten die Demonstrationen gegen Präsident Hosni Mubarak eskalieren, sagte Gheit, werde die Armee einschreiten.

© sueddeutsche.de/dpa/odg - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Proteste in Kairo
:Gekommen, um zu bleiben

Die Massenproteste in Ägypten gehen in die dritte Woche. Noch immer harren die Demonstranten auf dem Tahrir-Platz in Kairo aus.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: