Ägypten im Umbruch:Ministerpräsident al-Beblawi beginnt schwierige Regierungsbildung

Pro-Morsi protest outside Rabaa al-Adawiya mosque in Cairo

Kein Kompromiss in Sicht: Anhänger des abgesetzten Präsidenten Mohammed Mursi protestieren in Kairo

(Foto: dpa)

Die Aufgabe ist schwierig, wenn nicht unlösbar: Ägyptens neuer Ministerpräsident al-Beblawi muss eine tragfähige Regierung zusammenstellen, die das Land aus seiner politischen Krise führt. Doch die Muslimbrüder zeigen sich unversöhnlich und weisen jegliche Zusammenarbeit zurück. Andere politische Gruppierungen fühlen sich übergangen.

Der neue ägyptische Ministerpräsident Hasem al-Beblawi stellt sich auf eine schwierige Regierungsbildung ein. Eine Woche nach dem Sturz von Präsident Mohammed Mursi soll die neue Übergangsregierung Gestalt annehmen. Al-Beblawi kündigte an, er werde im Laufe des Tages mit der Bildung des Kabinetts beginnen. Dabei wolle er zunächst die liberalen Vertreter Mohamed ElBaradei und Siad Bahaa-Eldin treffen. Das neue Kabinett werde voraussichtlich keine uneingeschränkte Zustimmung aller politischen Lager erhalten, räumte er ein. Aber er werde die öffentliche Meinung berücksichtigen und versuchen, den Erwartungen der Menschen gerecht zu werden. "Es gibt immer mehr als eine Alternative, man kann es nicht allen recht machen."

Am Vortag hatte al-Beblawi angekündigt, Vertreter der Partei für Freiheit und Gerechtigkeit an der Regierung zu beteiligen. Die Partei ist der politische Arm der Muslimbruderschaft, aus der der vor einer Woche gestürzte islamistische Präsident Mohammed Mursi stammt. Wie die staatliche Nachrichtenagentur Mena weiter schrieb, sollen auch Mitglieder der ultrakonservativen Nur-Partei der Übergangsregierung angehören.

Das Amt des ägyptischen Übergangspräsidenten Adli Mansur hat eine Versöhnungsinitiative in der kommenden Woche angekündigt. In einer Erklärung vom Dienstagabend hieß es, Ziel des Vorstoßes sei es, die Spaltung in der ägyptischen Gesellschaft zu überbrücken und Blutvergießen zu vermeiden, schreibt die Zeitung Al-Ahram online. Alle seien eingeladen, an dieser allumfassenden Initiative mit dem Namen "Eine Nation" teilzunehmen. Es solle die humanitäre Basis für eine Koexistenz gelegt werden.

Muslimbruderschaft fordert, Mursi wiedereinzusetzen

Zuvor hatte Mansur bereits einen Fahrplan für Verfassungsänderungen und Neuwahlen binnen sechs Monaten präsentiert. Die bis zum Putsch regierende Muslimbruderschaft zeigt sich jedoch nicht kompromissbereit und hat das Angebot zur Beteiligung an einer neuen ägyptischen Regierung ausgeschlagen. "Wir machen keine gemeinsame Sache mit Putschisten", sagte ein Sprecher der Muslimbrüder. Die Islamisten lehnen sowohl al-Beblawi als auch die geplanten Neuwahlen ab. Für die Muslimbrüder sind die Entmachtung von Mohammed Mursi und alle darauffolgenden Schritte illegitim - sie verlangen, Mursi wiedereinzusetzen.

In Kairo und anderen Städten demonstrierten am Dienstag erneut Zehntausende Anhänger der Muslimbruderschaft gegen die Absetzung Mursis. Im Gegenzug warnte das Oberkommando der Streitkräfte die Islamisten vor einer Fortsetzung ihrer Verweigerungspolitik. "Das Schicksal der Nation ist zu wichtig und zu heilig, als dass es - unter welchem Vorwand auch immer - Gegenstand von Manövern und Blockaden werden kann", hieß es in der Erklärung, die am Dienstag im staatlichen Fernsehen verlesen wurde. Die Armee werde dies nicht hinnehmen, fügte ein General hinzu.

Nationale Heilsfront und Tamarod-Bewegung fühlen sich übergangen

Auch andere polititsche Gruppierungen kritisieren das Vorgehen von Übergangspräsident Mansur. Die wichtigste laizistische und liberale Oppositionsgruppierung Ägyptens, die Nationale Heilsfront, lehnte den per Dekret präsentierten Zeitplan für einen demokratischen Übergang ab. In einer in der Nacht zum Mittwoch veröffentlichten Erklärung kritisierte die Heilsfront, an der Ausarbeitung des Plans nicht beteiligt worden zu sein, und kündigte einen Forderungskatalog mit Änderungswünschen an. Auch die maßgeblich an den Protesten gegen Mursi beteiligte Tamarod-Bewegung meldete Änderungswünsche an und beklagte ebenfalls, übergangen worden zu sein.

Am Mittwoch vergangener Woche hat das Militär den ersten demokratisch gewählten Präsidenten des Landes, Mohammed Mursi, entmachtet. Dem Islamisten folgte Übergangspräsident Mansur. Dieser erließ am Montagabend ein Dekret mit einem Fahrplan für Parlaments- und Präsidentenwahlen sowie ein Verfassungsreferendum.

Zum neuen Chef der Übergangsregierung wurde der Ökonom und Sozialdemokrat Hazem al-Beblawi ernannt. Von Juli bis Dezember 2011 arbeitete er bereits als Finanzminister. Nach dem Sturz von Langzeitherrscher Hosni Mubarak war er Mitbegründer der Ägyptischen Sozialdemokratischen Partei. Der Friedensnobelpreisträger und liberale Politiker Mohammed ElBaradei wurde zum Vizepräsidenten an der Seite von Übergangspräsident Mansur ernannt.

In seiner sogenannten Verfassungserklärung gab sich Mansur die Vollmacht, den Notstand für einen Zeitraum von höchstens drei Monaten zu verhängen und bis zur Wahl des neuen Parlaments Gesetze zu erlassen. Auch die umstrittene, islamistisch geprägte Verfassung wird überarbeitet. Damit wird ein 15-köpfiger, hauptsächlich aus Richtern bestehender Ausschuss beauftragt. Der Ausschuss soll seine Vorschläge einer 50-köpfigen Versammlung vorlegen, die alle gesellschaftlichen Schichten repräsentieren soll. Über den neuen Text soll schließlich in einem Referendum abgestimmt werden. Danach soll ein neues Parlament gewählt werden, das dann rasch die Präsidentenwahl ansetzt.

Der Vorstoß Mansurs kam, nachdem die Lage in Ägypten am frühen Montagmorgen dramatisch eskaliert war. Bei Zusammenstößen zwischen Islamisten und dem Militär in Kairo wurden nach offiziellen Angaben mindestens 51 Menschen getötet und 435 weitere verletzt.

Milliardenhilfen aus den Golfstaaten

Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate kündigten am Dienstagabend Hilfen in Höhe von acht Milliarden Dollar (6,3 Milliarden Euro) an. Saudi-Arabiens Wirtschaftshilfe in Höhe von fünf Milliarden Dollar setze sich aus einer zinslosen Einlage in Ägyptens Zentralbank, einer Spende sowie dem Gegenwert für Gas- und Öllieferungen zusammen, meldete die staatliche Nachrichtenagentur SPA. Die Vereinigten Arabischen Emirate kündigten Hilfszahlungen in Form einer Spende und einer zinslosen Einlage in Höhe von zusammen drei Milliarden Dollar an.

Saudi-Arabiens König Abdullah hatte die Entmachtung des islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi durch das Militär vor einer Woche begrüßt und als erstes Staatsoberhaupt dem neuen Übergangspräsidenten Adli Mansur gratuliert. Ob die Finanzhilfe aus dem Ausland die erhitzte Stimmung im Land beruhigen können, bleibt jedoch fraglich.

USA sind "vorsichtig optimistisch"

Hintergrund zur Lage in Ägypten
Die wichtigsten Texte im Überblick

Die wichtigsten Texte zum Hintergrund: Warum die Muslimbrüder ihre Zukunft verspielt haben und nicht dazu in der Lage sind, einen Staat im 21. Jahrhundert zu führen, kommentiert SZ-Korrespondentin Sonja Zekri. SZ-Außenpolitikchef Stefan Kornelius schreibt in einem Essay über die Schwierigkeit des Demokratieexports in Regionen, die mit dieser westlich geprägten Staatsform wenig Erfahrungen haben, Paul-Anton Krüger erklärt, warum Friedensnobelpreisträger Mohamed ElBaradei zwar im Ausland geachtet ist, in seinem Heimatland aber als abgehoben gilt und Lars Langenau kritisiert die Doppelmoral westlicher Regierungen bei der Reaktion auf den Putsch.

Die USA äußerten sich positiv über den ägyptischen Plan für Verfassungsänderungen und Neuwahlen. "Wir sind vorsichtig optimistisch über die Ankündigung der Übergangsregierung. Wir glauben, das ist eine gute Sache", sagte der Sprecher von US-Präsident Barack Obama, Jay Carney, in Washington. Alle Parteien sollten sich an dem Dialog über den demokratischen Prozess beteiligen und sich nicht verweigern.

Carney bekräftigte, dass die US-Regierung weiterhin überlege, wie sie die Absetzung des Präsidenten Mursi durch das Militär nennen solle. Bislang vermeiden die Amerikaner, das Geschehen als Putsch zu bezeichnen. Die Konsequenzen einer Festlegung gingen weit darüber hinaus, ob die Hilfszahlungen an Kairo in Höhe von 1,5 Milliarden Dollar (1,17 Milliarden Euro) weiter fließen dürften, sagte Carney. "Es betrifft den Kern unserer jahrzehntelangen Partnerschaft mit Ägypten." Zuvor hatte Carney klar gemacht, dass die USA weiterhin Militär- und Finanzhilfen an Ägypten zahlen wollten. Die Programme würden zumindest vorerst fortgesetzt.

An diesem Mittwoch beginnt in Ägypten - wie auch in vielen anderen islamischen Ländern - der Fastenmonat Ramadan. In dieser Zeit nehmen gläubige Muslime zwischen Sonnenaufgang und Sonnenuntergang keine Nahrung und Getränke zu sich. Muslime gehen vermehrt in die Moschee. Für die rivalisierenden Lager bieten sich damit auch mehr Möglichkeiten, die Gläubigen für ihren Kurs zu mobilisieren.

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