Süddeutsche Zeitung

Ägypten im Umbruch:Feindliche Brüder

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Das Militär, die Islamisten, die verzweifelte Jugend - wer auch immer in Zukunft die Macht in Ägypten hat, der muss die wirtschaftliche Krise überwinden, den Jungen Perspektiven öffnen und die Gesellschaft weiterentwickeln. Die Chancen dafür stehen leider sehr schlecht - und damit auch für die arabische Demokratie.

Ein Gastbeitrag von Joschka Fischer

Ägypten steht im Zentrum der arabischen Revolution, auch wenn deren ursprünglicher Anstoß von Tunesien ausging. Aber Ägypten mit seiner geopolitischen Lage, seiner großen Bevölkerung und seiner uralten Geschichte bildet nun einmal die Zentralmacht des arabischen Raums. Das Land definiert daher mehr als andere den Fortgang der Geschichte in der arabisch-nahöstlichen Welt.

Daher ist es keineswegs eine akademische Frage, was wir dort jüngst mit dem Sturz des gewählten islamistischen Präsidenten Mursi erlebt haben: eine klassische Konterrevolution in Gestalt eines Militärputsches - oder die Verhinderung der völligen Machtübernahme der Muslimbrüder mit dem endgültigen wirtschaftlichen Zusammenbruch des Landes als Folge und sein Abgleiten ins Chaos einer religiösen Diktatur?

Vielleicht legitim, aber nicht legal

Am Nil hat das Militär geputscht, die alten Kräfte des Mubarak-Regimes haben wieder die Macht übernommen. Dies geschah allerdings mit der Unterstützung der wenigen prowestlichen Liberalen und der Jugend der großstädtischen Mittelschicht - das macht den Putsch nicht legal, verleiht ihm aber eine gewisse Legitimität. Dennoch: Der Sturz einer demokratisch gewählten Regierung durch das Militär lässt sich nicht schönreden.

Was blüht Ägypten? Die Wiederholung der algerischen Tragödie, wo 1991 das Militär gegen die siegreichen Islamisten putschte und ein brutaler und opferreichen Bürgerkrieg begann, der zehn Jahre dauern sollte? Kehrt die alte Militärdiktatur zurück, nur ohne den Präsidenten Mubarak? Oder entsteht eine Art kemalistischer "Demokratie", in der das Militär letztendlich das Sagen behält? Alle drei Optionen sind möglich.

Die grundlegende Machtverteilung in der ägyptischen Gesellschaft hat sich aber nicht verändert: Militär und Muslimbrüder bleiben die entscheidenden Machtfaktoren. Die westlich orientierten Liberalen stehen, wie man jetzt sehen kann, auf den Schultern des Militärs. Man sollte nicht vergessen, wer die Alternative zu Mursi bei den Präsidentschaftswahlen gewesen war: Es war Ahmad Schafik, ein ehemaliger General, der letzte Premierminister der Mubarak Ära - alles andere als ein Liberaler.

Nicht Macht, sondern Forstschritt

Weder ein Sieg der Muslimbrüder noch der des Militärs würde einen Sieg der Demokratie bedeuten. Was die Muslimbrüder anstreben, so sie die ganze Macht haben, kann man am Beispiel der Hamas in Gaza studieren. Und was das ägyptische Militär will, sieht man an den 60 Jahren Militärdiktatur im Land.

Es gibt aber noch einen dritten, neuen Faktor, der zwar kaum über politisch-militärische Macht, wohl aber über sehr viel Gestaltungsmacht und Legitimationskraft verfügt: die Jugend der großstädtischen Mittelklasse. Sie ist sprachfähig, über das Internet international angebunden, sie bestimmt das Bild in den Medien, gerade außerhalb Ägyptens. Diese Generation will nicht die Macht, sondern Fortschritt. Sie will ein Leben führen, wie sie es im Westen findet - sie will vor allem eine Zukunft. Würde diese Bewegung Einfluss auf die institutionelle Politik gewinnen, so könnte sie tatsächlich zur entscheidenden Macht werden.

Das Militär, die Muslimbrüder, die Jugend, diese drei Gruppen werden auch in den kommenden Jahren die Hauptakteure des ägyptischen Dramas sein. Die Kraft des vermeintlich schwächsten Partners darf nicht unterschätzt werden: Die Zukunftslosigkeit der Jugend unter den nationalistisch-arabischen Militärdiktaturen und ihre Massenarmut waren die Ursachen für den arabischen Frühling.

Überhaupt steckt hinter dem Antagonismus von säkularem Militär und islamistischen Muslimbrüdern nicht in erster Linie die Religion, sondern vielmehr die soziale Frage, der Konflikt zwischen Arm und Reich. Faktisch haben die Muslimbrüder die Funktion der alten Linksparteien im Europa des 19. Jahrhundert übernommen, und darin liegt ihre Stärke. Wer sie also schwächen will, der muss die drängende soziale Frage angehen.

Was Ägypten braucht, ist eine stabile Wirtschaft

Denn jede Regierung in Ägypten wird daran gemessen werden, ob sie die ökonomische Krise und die Massenarmut überwindet, ob sie den Jungen Perspektiven öffnet, ob Wirtschaft und Gesellschaft sich weiterentwickeln. Die Chancen dafür stehen leider sehr schlecht - und damit auch für die arabische Demokratie. Sie braucht eine stabile Volkswirtschaft, die mehr und mehr Menschen den sozialen und wirtschaftlichen Aufstieg ermöglicht.

Doch der gesamte arabische Krisenraum ist in einem engen Nationalismus verfangen, der kaum wirtschaftliche Kooperation, Abbau von Zöllen, gar eine Wirtschaftsgemeinschaft zulässt. Die Volkswirtschaften der beteiligten Krisenländer sind jedoch zu klein, um jede für sich mit wirtschaftlichem Wachstum den sehr großen und jungen Bevölkerungen eine positive Zukunft zu ermöglichen. Es bräuchte also eine verstärkte wirtschaftliche Zusammenarbeit, und eigentlich könnten die Bedingungen dazu in der arabischen Welt aufgrund der gemeinsamen Sprache besser sein als in Europa. Faktisch bleibt diese Zusammenarbeit leider eine schöne Utopie.

Auf welche Option sollte also der Westen setzen? Aufs Militär? Auf die wenigen Demokraten? Auf die Jugend, in der Hoffnung, dass sie es schon irgendwie richtet? Die Frage ist schwer zu beantworten. Falsch wäre es allerdings, den politischen Islam, die Muslimbrüder, erneut auszugrenzen oder gar zu verfolgen; sie sind eine relevante Macht, mit der man verhandeln muss und auch verhandeln kann.

Keine friedliche Zukunft

Ein Putsch also in Ägypten. War es das also mit der arabischen Revolution? Bis auf Weiteres vermutlich ja. Und was wird als Nächstes kommen? Tunesien? In der gesamten Region sind die Signale offensichtlich nach rückwärts ausgerichtet. Freilich sollte man sich davon nicht täuschen lassen. Auch wenn der Machtkampf fürs Erste entschieden zu sein scheint, so wird dies mitnichten eine Rückkehr zum Status quo ante bedeuten. Als 1849 die ein Jahr zuvor begonnene Revolution in Europa scheiterte, war fortan dennoch alles anders geworden, wie wir heute wissen. Zwar blieben die Monarchien noch eine ganze Zeit an der Macht, aber in den Tiefen von Wirtschaft und Gesellschaft, ja selbst in der Politik und den Verfassungen der Staaten, ließ sich die demokratische wie auch die industrielle Revolution nicht mehr aufhalten.

Freilich wissen wir auch, wohin dieses 19. Jahrhundert Europa geführt hat - es war alles andere als eine friedliche Zukunft, europäische Besserwisserei ist von daher jetzt fehl am Platz. So schlimm wie in Europa wird es in der arabischen Welt nicht kommen. Aber friedlich und stabil wird die nähere Zukunft dort kaum sein.

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Quelle:
SZ vom 25.07.2013
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