Ausschreitungen in Ägypten:Armee will Proteste von Mursi-Anhängern verbieten

Supporters and opponents of ousted President Morsi protest

Protestlager der Mursi-Anhänger auf dem Rabaa-al-Adauija-Platz in Kairo: Die Armee will die Dauerproteste verbieten. 

(Foto: dpa)

Hunderttausende gehen in Ägypten auf die Straße, Dutzende Menschen sterben bei Zusammenstößen zwischen Mursi-Anhängern und Unterstützern der neuen Regierung. Der Innenminister kündigt an, dass Protestlager der Muslimbrüder geräumt werden sollen - dies dürfte für neue Auseinandersetzungen sorgen.

Nach den jüngsten Ausschreitungen mit mehreren Todesopfern will die Übergangsregierung in Ägypten die Dauerdemonstrationen der Anhänger des gestürzten Präsidenten Mohammed Mursi verbieten. Die Sitzblockaden von zehntausenden Mursi-Anhängern in Kairo würden "im Rahmen des Gesetzes" gestoppt, sagte Innenminister Mohammed Ibrahim dem Sender al-Hajat.

Der Innenminister kündigte an, dass in Kürze die Pro-Mursi-Protestlager in Giza vor der Kairoer Universität und in Nasr City aufgelöst werden sollten. Anwohner hätten sich über die Demonstrationen beschwert. "Es wird bald Entscheidungen der Staatsanwaltschaft geben, diese Situation wird beendet", sagte er in dem Telefoninterview. Seit der Entmachtung Mursis am 3. Juli halten Mursis Anhänger unter anderem den Vorplatz der Rabaa-al-Adawija-Moschee in der Hauptstadt besetzt. Sie wollen erreichen, dass der islamistische Präsident wieder eingesetzt wird.

Ägypten erlebt momentan die blutigsten Proteste seit dem Sturz von Präsident Mursi: Wie das Gesundheitsministerium am Samstag mitteilte, starben mindestens 65 Menschen, Hunderte wurden verletzt. Zusammen mit den Toten vom Freitag in Alexandria seien an beiden Tagen insgesamt 74 Menschen gestorben, teilte das Gesundheitsministerium weiter mit. Zudem habe es seit Freitag 748 Verletzte gegeben, darunter 269 an der Kairoer Moschee Rabaa al-Adawija.

Die Muslimbrüder werfen der Regierung vor, Sicherheitskräfte hätten gezielt auf Anhänger des entmachteten Präsidenten geschossen. "Sie schießen nicht, um zu verletzen, sie schießen, um zu töten", sagte ein Sprecher der Muslimbrüder. Demonstranten seien an Kopf und Brust getroffen worden. Zunächst habe die Polizei mehrfach Tränengas gegen Demonstranten eingesetzt. Dann hätten die Sicherheitskräfte aus nächster Nähe geschossen. Von ihrer Seite lag keine Stellungnahme vor.

Hauptschauplatz der Kundgebungen zur Unterstützung des Militärs war erneut der Tahrir-Platz im Herzen von Kairo. Hubschrauber kreisten im Tiefflug über den Demonstranten, die ihnen begeistert zujubelten. Feuerwerksraketen stiegen auf. Armeechef Abdel Fattah al-Sisi hatte am Mittwoch dazu aufgerufen, in "Millionenzahl" auf die Straße zu gehen, um ihm ein "Mandat zur Bekämpfung des Terrors" zu geben. Panzer sicherten die Zugänge. Plakate mit dem Bild Al-Sisis wurden verteilt, mit der Aufschrift: "Ich ermächtige das Militär und die Polizei dazu, gegen den Terrorismus zu kämpfen."

Zehntausende Mursi-Anhänger versammelten sich dagegen wieder vor der Kairoer Rabaa-al-Adawija-Moschee, dem Zentrum der Pro-Mursi-Proteste. Sie riefen Parolen wie: "Weg mit Al-Sisi! Mursi ist mein Präsident!" Die Muslimbruderschaft sieht sich trotz ihrer Dauerproteste zunehmend in die Defensive gedrängt. Die dem Militär nahe stehenden Massenmedien stellen sie unmissverständlich als die angebliche Quelle des Terrors in Ägypten dar.

Muslimbrüder verweigern Dialog mit Übergangsregierung

Die Muslimbruderschaft, aus der Mursi kommt, bekräftigte unterdessen, sie wolle weiter friedlich für die Wiedereinsetzung des Präsidenten demonstrieren. Die Islamisten verweigern sich weiterhin einem Dialog mit der Übergangsregierung.

Am Wochenende könnte der Konflikt noch weiter eskalieren. Samstagabend läuft ein 48-Stunden-Ultimatum des Militärs ab: Die Islamisten sollen sich bis dahin am sogenannten Versöhnungsprozess beteiligen - sonst drohe eine härtere Gangart. Die über die Medien verbreitete Aufforderung hatte den Titel "Letzte Chance".

Mursi, der bisher vom Militär an einem unbekannten Ort festgehalten wurde, sitzt seit Freitag auf richterliche Anweisung formell in Untersuchungshaft. Wie al-Ahram berichtete, will der Untersuchungsrichter Mursi zu Verschwörungsvorwürfen befragen. Der Ex-Präsident werde beschuldigt, sich mit der palästinensischen Hamas-Bewegung zur "Ausführung feindlicher Akte" in Ägypten abgesprochen zu haben.

USA wollen an Militärhilfe festhalten

Die radikal-islamische Hamas herrscht seit 2007 im benachbarten Gazastreifen. Mursi wird unter anderem ein Gefängnisausbruch während der Revolution von 2011 vorgeworfen, den er mit Hilfe der Hamas organisiert haben soll. Essam al-Arian, ein Mitglied der Führung der Muslimbruderschaft, sagte dazu am Freitag: "Das ist eine falsche Anschuldigung. Damit will man Zwietracht in der Gesellschaft säen und Gewalt gegen Demonstranten provozieren."

Das Militär hatte mit Mursi den ersten frei gewählten Präsidenten Ägyptens Anfang Juli nach tagelangen Massenprotesten gegen ihn abgesetzt. Seither haben die Behörden rund 600 Muslimbrüder verhaftet, unter ihnen den einflussreichen Vize-Vorsitzenden Chairat al-Schater. Die Islamisten sprechen von einem "Militärputsch" und wollen so lange protestieren, bis Mursi wieder im Amt ist.

Washington will trotz der widersprüchlichen Lage in Ägypten an seiner milliardenschweren Militärhilfe festhalten. Das Weiße Haus hat entschieden, auf eine Einschätzung zu verzichten, ob am Nil ein Militärputsch stattgefunden habe oder nicht. Wäre das der Fall, müsste die US-Regierung ihre Hilfen einfrieren. "Es ist nicht in unserem nationalen Interesse, eine solche Entscheidung zu treffen", sagte Jennifer Psaki, Sprecherin im US-Außenministerium. Auch das Gesetz schreibe nicht vor, eindeutig Stellung zu beziehen. Präsident Barack Obama sieht in einem Stopp der Hilfsgelder eine Gefahr für die Stabilität Ägyptens und damit auch für den Nachbarn und engen US-Verbündeten Israel.

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