Süddeutsche Zeitung

Ägypten:Aufgestaut

Die Regierung in Kairo unter Präsident Abdel Fattal el-Sisi gerät außenpolitisch zunehmend in Bedrängnis.

Von Paul-Anton Krüger

Am 1. Juli will Ägypten seine Flughäfen wieder öffnen. Dann sollte der Tourismus wieder anlaufen und das bevölkerungsreichste arabische Land aus der Krise kommen, das durch die Corona-Pandemie wirtschaftlich stark angeschlagen ist. Der Tourismus ist mit einem Anteil von knapp zehn Prozent an der Wirtschaftsleistung die wichtigste Einnahme- und Devisenquelle, noch vor den ebenfalls rückgängigen Gebühren aus dem Suez-Kanal und Überweisungen von Ägyptern, die in den Golfstaaten arbeiten. Doch steigen nicht nur die Infektionszahlen auf immer neue Rekordwerte, auch außenpolitisch ist das vom Militär dominierte Regime von Präsident Abdel Fattah el-Sisi unter Druck geraten, wie wohl noch nie, seit der frühere Chef des Militärgeheimdienstes im Jahr 2013 die Macht ergriffen hat.

An diesem Dienstag hält die Arabische Liga auf Antrag Ägyptens eine Dringlichkeitssitzung zu Libyen ab. Sisi hatte am Samstag mit einem Einmarsch in das Nachbarland gedroht. Zugleich rief Kairo den UN-Sicherheitsrat an, der nun verhindern soll, dass Äthiopien am Grand-Ethiopian-Renaissance-Damm (GERD) in der Regenzeit von Juli an den Nil aufstaut und Ägypten vom Wasser abschneidet. Kairo setzt darauf, mit Hilfe seiner Verbündeten doch noch zu obsiegen. Außenminister Sameh Schoukry betont, man wolle diplomatische Lösungen. Doch die beide Themen gelten in Kairo als casus belli.

Zu Libyen kamen bereits Solidaritätsadressen aus Saudi-Arabien, Jordanien und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Diese Staaten haben zusammen mit Ägypten über Jahre den abtrünnigen General Khalifa Haftar militärisch und finanziell unterstützt. Auch russische Söldner des mit dem Kreml verbundenen Militärdienstleisters Gruppe Wagner sollen mit Geld vom Golf bezahlt worden sein. Russland hatte jüngst nach US-Angaben 14 Kampfjets nach Libyen verlegt, konnte Haftars schwerste militärische Niederlage seit 2014 aber nicht verhindern. Die Türkei hat mit ihrer Intervention auf Seiten der international anerkannten Einheitsregierung von Premier Fayez el-Serraj den Kriegsverlauf vorerst zu deren Gunsten gewendet.

Ägypten wird einen Ableger der Muslimbruderschaft an seiner Westgrenze kaum akzeptieren

Loyal zu Tripolis stehende Milizen rücken derzeit auf die Küstenstadt Sirte vor und auf den Luftwaffenstützpunkt al-Jufrah. Deren Eroberung hat Sisi als rote Linie bezeichnet, die eine Intervention Ägyptens nach sich zöge. Das Militär hat in den vergangenen Woche bereits Panzer an der Grenze zusammengezogen. Libyen liegt im Einsatzradius der ägyptischen Luftwaffe, auch kann die Marine zwei von Frankreich gekaufte Hubschrauberträger dorthin entsenden. Die Türkei hat ihrerseits jüngst in einem Manöver die Verlegung von Kampfjets nach Libyen geübt.

Ägypten versucht, mit seinem Angebot für eine Waffenruhe und einer Wiederbelebung des UN-Friedensprozesses diplomatisch die Initiative zurückzugewinnen. Die Emirate signalisieren inzwischen, dass sie bereit wären, Haftar fallen zu lassen und durch Aguila Saleh zu ersetzen, den Präsidenten des in Tobruk ansässigen Repräsentantenhauses. Was Ägypten kaum akzeptieren wird, sind Ableger der von Kairo als Terrorgruppe eingestuften Muslimbruderschaft an seiner westlichen Grenze. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan gilt Kairo neben dem verfeindeten Emirat Katar als wichtigster Unterstützer der islamistischen Gruppe, der in Libyen kampfstarke Milizen aus der mächtigen Hafenstadt Misrata zugerechnet werden.

Als existenzielle Bedrohung betrachtet das ohnehin schon unter ernster Wasserknappheit leidende Ägypten den GERD-Damm in Äthiopien. Trilatere Verhandlungen, an denen auch Sudan beteiligt ist, haben bislang nicht zu einem Abkommen geführt. Ägypten gibt die Schuld dafür Äthiopien, das nicht bereit sei, in ein bindendes Abkommen einzutreten, einen Mechanismus zur Streitschlichtung und Sonderregeln zur Vermeidung von Dürren zu akzeptieren. Addis Abeba dagegen wirft Kairo vor, an seiner 1959 durch einen Vertrag mit Sudan zugewiesene Wasserquote von 55,5 Milliarden Kubikmeter pro Jahr festzuhalten und andere Anrainer von der Nutzung des Nils de facto ausschließen zu wollen.

Die USA, ein Verbündeter Ägyptens, haben auf Drängen Kairos in dem Streit vermittelt - ohne greifbares Ergebnis. Vergeblich drängte Kairo bisher Saudi-Arabien und die Emirate, Investitionen in Äthiopien auf Eis zu legen. Außenminister Schoukry forderte, der UN-Sicherheitsrat müsse nun seiner Verantwortung nachkommen und sich gegen die "Bedrohung von Sicherheit und Frieden" wenden, die Ägypten in einem Aufstauen ohne vorherige Vereinbarung sieht. Schoukry sagte, Ägypten habe seit Beginn der Verhandlungen nie mit einem Militäreinsatz gedroht. Wenn es aber dem Sicherheitsrat nicht gelinge, Äthiopien zu stoppen, "werden wir uns in einer Situation wiederfinden, in der wir damit umgehen müssen".

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SZ vom 23.06.2020
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