Ägypten:Al-Beblawi will Muslimbruderschaft an Regierung beteiligen

Hazem Beblawi named Egypt's new Prime Minister

Hazem al-Beblawi führt bis zu den Neuwahlen die Übergangsregierung in Ägypten. 

(Foto: dpa)

Nach dem Sturz von Präsident Mursi hat Ägypten einen neuen Regierungschef: Al-Beblawi, Ex-Finanzminister, führt künftig die Übergangsregierung - auch den entmachteten Muslimbrüdern will er Kabinettsposten anbieten. Die Unruhen halten an, in der Nacht haben Extremisten Stützpunkte der ägyptischen Sicherheitskräfte angegriffen und zwei Menschen getötet.

Die Entwicklungen im Überblick

Gerade mal eine Woche nach dem Sturz von Ex-Präsident Mohammed Mursi findet sich in Ägypten eine neue Regierung: Für die Zeit bis zu den Neuwahlen soll der Ökonom Al-Beblawi Ministerpräsident werden. Eigentlich sollte Oppositionsführer ElBaradei diesen Posten übernehmen, scheiterte aber am Widerstand der Salafisten. Er wird nun Vize-Präsident an der Seite von Adli Mansur. Die Muslimbrüder setzen auf Blockade.

  • Angriffe von Islamisten auf dem Sinai: Extremisten haben an mehreren Orten der Sinai-Halbinsel Stützpunkte der ägyptischen Sicherheitskräfte angegriffen. Nach Angaben von Ärzten wurden in der Nacht zum Mittwoch an einem Kontrollpunkt im Zentrum der Region zwei Menschen getötet. Bei einem der Todesopfer handelte es sich demnach offenbar um einen Zivilisten, dessen Auto von einer Granate getroffen wurde. Über das zweite Todesopfer lagen keine näheren Informationen vor. Zuvor hatten Sicherheitsbeamte über einen Angriff mit Granaten und schwerem Maschinengewehrfeuer auf einen Polizeistützpunkt nahe der Stadt Rafah an der Grenze zu Israel berichtet. Auch aus El Arisch, etwa 45 Kilometer westlich von Rafah, wurde ein Angriff auf einen Polizeiposten gemeldet. Seit dem Sturz des islamistischen Staatschefs Mohammed Mursi durch das ägyptische Militär vor einer Woche haben die Attacken auf dem Sinai zugenommen. Bewaffnete islamistische Gruppen nutzen die unsichere Lage und greifen im Norden der Halbinsel verstärkt Kontrollposten der Armee und der Polizei an.
  • Al-Beblawi will Muslimbrüder an der Regierung beteiligen: Auch Vertreter der Partei für Freiheit und Gerechtigkeit will al-Beblawi an der Regierung beteiligen. Die Partei ist der politische Arm der Muslimbruderschaft. Wie die staatliche Nachrichtenagentur Mena am Dienstagabend weiter berichtete, sollen auch Mitglieder der ultra-konservativen Nur-Partei der Übergangsregierung angehören.
  • Al-Beblawi wird Übergangs-Regierungschef: Der liberale Ökonom Hazem al-Beblawi soll als Ministerpräsident die Übergangsregierung in Ägypten führen. Dies berichteten staatliche Medien am Dienstag in Kairo. Al-Beblawi war von Juli bis Dezember 2011 Finanzminister. Nach dem Sturz von Hosni Mubarak war er Mitbegründer der Ägyptischen Sozialdemokratischen Partei. Die salafistische Nur-Partei, die zuvor andere Kandidaten abgelehnt hatte, erklärte ihre Unterstützung für Al-Beblawi.
  • Muslimbrüder lehnen Al-Beblawi ab: Die Islamisten lehnen sowohl den neu eingesetzten Chef der Übergangsregierung, Al-Beblawi, als auch einen Fahrplan für Neuwahlen binnen sechs Monaten ab. Für die Muslimbrüder sind die Entmachtung von Präsident Mohammed Mursi und alle darauffolgenden Schritte illegitim. Armeechef Abdel Fattah al-Sisi warnte: "Das Schicksal der Nationen ist zu wichtig und zu heilig, als dass es - unter welchem Vorwand auch immer - Gegenstand von Manövern und Blockaden werden kann". Die Armee werde dies nicht hinnehmen, fügte er hinzu. In Kairo und anderen Städten demonstrierten am Dienstag erneut Zehntausende Anhänger der Muslimbruderschaft gegen die Absetzung Mursis.
  • Mohamed ElBaradei wird stellvertretender Übergangspräsident: Zunächst sollte der Oppositionspolitiker und Friedensnobelpreisträger ElBaradei Regierungschef werden - seine Ernennung scheiterte allerdings an der Al-Nur-Partei. Nun erhält er nach Angaben des Präsidialbüros das Amt des Vize-Präsidenten und soll in dieser Funktion für die Außenbeziehungen zuständig sein.
  • Übergangspräsident Mansur ruft Neuwahlen aus: Adli Mansur will der eskalierenden Staatskrise mit baldigen Parlamentswahlen entgegenwirken. Er legte einen detaillierten Zeitplan vor. Binnen zwei Wochen soll demnach ein Verfassungsausschuss gebildet werden, der zwei Monate Zeit für die Ausarbeitung von Verfassungsänderungen habe. Der Übergangspräsident werde diesen Entwurf dann binnen eines Monats der Bevölkerung in einem Referendum zur Abstimmung vorlegen. Anschließend würden binnen zwei Monaten die Parlamentswahlen abgehalten. Danach werde ein Termin für die Wahl eines neuen Staatschefs festgesetzt. In dem Dekret hob Mansur zudem hervor, dass der Staatschef in Ägypten die exekutive Gewalt ausübe und die Justiz unabhängig sei.
  • USA äußern sich zu neuer Regierung: "Wir sind vorsichtig optimistisch über die Ankündigung der Übergangsregierung. Wir glauben, das ist eine gute Sache", sagte der Sprecher von US-Präsident Barack Obama am Dienstag in Washington. Alle Parteien sollten sich an dem Dialog über den demokratischen Prozess beteiligen und sich nicht verweigern. Obama hat mit dem Kronprinzen der Vereinigten Arabischen Emirate und dem Emir von Katar telefonisch über die Lage in Ägypten nach dem Sturz von Präsident Mohammed Mursi gesprochen. Obama habe dabei Kronprinz Mohammed bin Sajed ermutigt, auf eine gewaltfreie Lösung des Konflikts hinzuwirken, teilte das US-Präsidialamt mit. Mit Emir Scheich Tamim bin Hamad al-Thani sei sich Obama einig gewesen, dass die Einbeziehung aller Parteien und Gruppen für die Stabilität in Ägypten entscheidend sei.
  • Tote bei Protesten: Angesichts von Mursis Absetzung ist Ägyptens Gesellschaft tief gespalten. Am Montag wurden bei Zusammenstößen zwischen Mursi-Anhängern und ägyptischen Sicherheitskräften in Kairo nach Angaben von Rettungskräften 51 Menschen getötet und mehr als 430 weitere verletzt. Beide Seiten gaben sich gegenseitig die Schuld an der Eskalation, Mansur ordnete eine Untersuchung an. Nach Angaben der amtlichen Agentur Mena ermittelt der ägyptische Generalstaatsanwalt nun gegen 650 Personen. Den Beschuldigten werde Mord, versuchter Mord sowie unerlaubter Besitz von Waffen, Munition und Sprengstoff vorgeworfen. Gegen sie werde außerdem wegen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit ermittelt. Ziel des Angriffs bewaffneter Terrorgruppen seien Soldaten und Offiziere der Streitkräfte gewesen.
  • Reaktionen: UN-Generalsekretär Ban Ki Moon reagierte besorgt und forderte eine unabhängige Untersuchung der Zusammenstöße, wie sein Sprecher Martin Nesirky in New York mitteilte. Ban rief überdies die Ägypter auf, "alles zu tun, um eine Eskalation zu verhindern". Bundesaußenminister Guido Westerwelle sagte dem Handelsblatt: "Die Gewalt, die wir in diesen Tagen auf den Straßen Kairos erleben, zeigt, wie hoch das Eskalationspotenzial in der derzeitigen Lage ist." Daher appelliere er "eindringlich an die politischen Kräfte in Ägypten, jetzt die Gewalt zu stoppen und den Dialog miteinander zu suchen". Das US-Außenministerium rief die ägyptische Armee zu "maximaler Zurückhaltung" auf. Das Weiße Haus rügte derweil Mursis Muslimbrüder wegen des "ausdrücklichen" Aufrufs zur Gewalt. Die Situation in Ägypten habe aber zunächst keine Folgen für die milliardenschwere US-Militärhilfe, sagte der Sprecher von US-Präsident Barack Obama.
  • Milliarden-Hilfe von arabischen Staaten: Saudi-Arabien will Ägypten mit fünf Milliarden Dollar unterstützen, sagte der saudische Finanzminister der Agentur Reuters. Auch die Vereinigten Arabischen Emirate sagten dem Land Hilfen in Höhe von drei Milliarden Dollar zu.
Hintergrund zur Lage in Ägypten
Die wichtigsten Texte im Überblick

Die wichtigsten Texte zum Hintergrund: Warum die Muslimbrüder ihre Zukunft verspielt haben und nicht dazu in der Lage sind, einen Staat im 21. Jahrhundert zu führen, kommentiert SZ-Korrespondentin Sonja Zekri. SZ-Außenpolitikchef Stefan Kornelius schreibt in einem Essay über die Schwierigkeit des Demokratieexports in Regionen, die mit dieser westlich geprägten Staatsform wenig Erfahrungen haben, Paul-Anton Krüger erklärt, warum Friedensnobelpreisträger Mohamed ElBaradei zwar im Ausland geachtet ist, in seinem Heimatland aber als abgehoben gilt und Lars Langenau kritisiert die Doppelmoral westlicher Regierungen bei der Reaktion auf den Putsch.

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