Vor einigen Tagen verschickte Äthiopiens Ministerpräsident Abiy Ahmed ein Video auf Twitter, ein kleines Filmchen, aufgenommen von einer Drohne, die über den "Grand Ethiopian Renaissance Dam" fliegt, unterlegt mit einer Musik, die so pathetisch klang wie der Name des Megaprojekts. Dazu schrieb Abiy, es sei nicht die Absicht, den anderen Anrainerstaaten des Nils "Schaden zuzufügen". Aber er wiederholte seine Ankündigung, in der bevorstehenden Regenzeit Afrikas größten Strom weiter aufzustauen und den See zu befüllen.
Für Ägypten, das am Unterlauf liegt und für seine Wasserversorgung fast vollständig auf den Nil angewiesen ist, klingt das fast wie eine Kriegserklärung. Zumindest warnte Präsident Abdel Fattah al-Sisi, niemand könne dem Land auch nur einen Tropfen Wasser wegnehmen. Anderenfalls werde die Region einen "unvorstellbaren Zustand der Instabilität" erleben. Er habe noch nie so geredet, aber "Ägyptens Wasser ist eine rote Linie, die niemand berühren sollte", niemand solle glauben, dass er "vor unserer Macht sicher ist".
Immer wieder haben sie in Kairo die Möglichkeit in den Raum gestellt, den Damm zu bombardieren. Je mehr Wasser sich dahinter staut, desto gefährlicher wäre das. Aber Sisi versicherte, seine Worte seien keine Drohung. Ägyptens Schlacht sei die Schlacht der Verhandlungen. Es müsse ein rechtlich verbindliches Abkommen aller Anrainerstaaten geben, noch vor dem Sommer. Zusammen mit dem Sudan stellte Ägypten ein Ultimatum für neue Verhandlungen.
Doch darauf ging Abiy Ahmed nicht ein. Äthiopien gibt sich freundlich, aber letztlich kompromisslos. Und dabei wird es wohl auch bleiben. Der Rest der Welt mag den Konflikt um den Damm als eine gefährliche Eskalation ansehen. Für Abiy ist er auch eine Chance. Im Juli beginnt die Kirem - die große Regenzeit, in der der Stausee des Dammes weiter gefüllt werden soll. Im Juni wählt Äthiopien, was Abiys Kompromissbereitschaft weiter senken dürfte.
Bürgerkrieg durch einen Friedensnobelpreisträger
Der Mann, der 2019 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde, hat das Land Ende 2020 in einen Bürgerkrieg gestürzt, ihn zumindest eskalieren lassen. Überall verschärfen sich die Konflikte zwischen den Volksgruppen. Das Dammprojekt ist eines der wenigen Dinge, auf die sich alle Äthiopier einigen können. Dass weiter gebaut werden soll, egal was die Nachbarn denken, ist nationaler Konsens.
Der 6000-Megawatt-Staudamm soll jenen 60 Millionen Äthiopiern Strom bringen, die bisher keinen haben im 100-Millionen-Reich. Der Stausee fasst insgesamt 74 Milliarden Kubikmeter. Im vergangenen Jahr wurden bereits knapp fünf Milliarden Kubikmeter aufgestaut, dieses Jahr sollen 13,5 Milliarden dazukommen. Eine Zahl, die flussabwärts Alarm auslöst. Fast 85 Prozent des Wassers fließen in den drei Regenmonaten durch den Blauen Nil. In guten Jahren insgesamt um die 100 Milliarden Kubikmeter, in extremen Dürrejahren sind es auch mal nur 30 Milliarden.
Ägypten besteht auf seiner Wasserquote nach einem 1959 mit dem Sudan abgeschlossenen Abkommen. Demnach führt der Nil - zumindest auf dem Papier - genau 84 Milliarden Kubikmeter Wasser pro Jahr. 18,5 Milliarden Kubikmeter gehen an den Sudan, 55,5 Milliarden Kubikmeter an Ägypten, und das reicht heute schon längst nicht mehr. Zehn Milliarden verdunsten und versickern. Äthiopien allerdings geht leer aus, wurde gar nicht erst beteiligt - und lehnt das Abkommen als koloniale Hinterlassenschaft ab.
Präsident Sisi hat nun seinen Außenminister Sameh Schukri auf eine Tour durch sieben afrikanische Länder geschickt. Mit der diplomatischen Offensive sucht Kairo Verbündete, von Südafrika bis Kenia, beim Präsidenten der Demokratischen Republik Kongo, Félix Tshisekedi, der den rotierenden Vorsitz der Afrikanischen Union innehat. Auch den UN-Sicherheitsrat anzurufen, sei eine Option, sagte Schukri.
Die USA, die sich unter Ex-Präsident Präsident Donald Trump zeitweise auf Kairos Seite geschlagen und Äthiopien Entwicklungshilfe gekürzt hatten, dringen zwar auch unter Joe Biden auf Verhandlungen, bekräftigen aber ihre Neutralität und haben auch noch nicht wieder eine Rolle als aktiver Vermittler eingenommen.
Der Sudan leidet häufig unter Überschwemmungen
Äthiopien hält alldem entgegen, dass in den kommenden Jahren viel Regen fallen werde - und sieht auch für seine Nachbarn nur Vorteile. Bisher schwankt der Pegel des Nils im Sudan um bis zu acht Meter, fast jedes Jahr kommt es zu Überschwemmungen. Durch den Damm würde das ganze Jahr über gleich viel Wasser fließen.
Das sah auch die Regierung in Khartum lange so, stand im Konflikt fest auf der Seite Äthiopiens. Abdel Fattah al-Burhan, der Chef der sudanesischen Regierung, warnte aber kürzlich vor einem Wasserkonflikt, "der schrecklicher sein würde, als man es sich vorstellen kann". Der Positionswechsel hat weniger mit neuen Erkenntnissen zu tun. In der seit Mitte 2019 amtierenden Regierung haben Vertreter des Militärs wie Burhan starkes Gewicht. Und sie pflegen eine enge Allianz mit Ägypten; derzeit halten die Streitkräfte gemeinsame Manöver ab.
Der Sudan hat den Bürgerkrieg in Äthiopien außerdem dazu genutzt, umstrittene Gebiete entlang der Grenze zu besetzen. Das Militär strebt nun offenbar eine Paketlösung an, die alle Konflikte mit Äthiopien beinhaltet, gerne unter internationaler Vermittlung. Davon hält Äthiopien wenig. Eine "Internationalisierung" werde zu keiner Lösung führen, sagte jüngst Außenminister Demeke Mekonnen.