Süddeutsche Zeitung

Ägypten: Internet-Aktivist Wael Ghonim:Freiheitskämpfer aus dem Netz

Wird er die neue Führungsfigur der ägyptischen Opposition? Zwölf Tage war der Internet-Aktivist Wael Ghonim inhaftiert. Jetzt ist er wieder frei - und scheint der Protestbewegung neuen Schwung zu verleihen.

Kathrin Haimerl

Am Ende des Interviews zeigt der ägyptische Fernsehsender Dream Bilder junger Menschen, die bei den Protesten in den vergangenen Wochen ums Leben kamen. Wael Ghonim sitzt gebeugt am Studio-Tisch, er blickt zu Boden, sein Rücken bebt. Er bricht in Tränen aus und sagt mit brüchiger Stimme: "Ich will allen Müttern, allen Vätern, die einen Sohn verloren haben, sagen, ich entschuldige mich, es ist nicht unsere Schuld." Dann steht er auf und verlässt das Studio.

Es ist ein sehr emotionaler Moment, der sich im Studio des Senders abspielt. Zuvor hat Wael Ghonim erzählt, wie er die vergangenen zwölf Tage inhaftiert in völliger Dunkelheit verbracht hat: "Ich hatte die Augen verbunden, ich hörte nichts, ich wusste nichts", sagt er. "Ich bin kein Held, ich habe zwölf Tage lang geschlafen." Und weiter: "Die Helden, das sind jene, die auf die Straße gegangen sind, die an den Demonstrationen teilgenommen haben, die ihr Leben geopfert haben, die geschlagen und verhaftet wurden, die sich derartigen Gefahren ausgesetzt haben."

Als er zum ersten Mal die Bilder der Todesopfer sieht, ist er sichtlich schockiert. Dass die Proteste ein derartiges Ausmaß annehmen würden, damit hatte er nicht gerechnet. Der junge Ägypter hatte die Facebook-Gruppe "Wir sind alle Khaled Said" gegründet: In einem Interview bestätigte der Google-Mitarbeiter dem Nachrichtenmagazin Newsweek am Montag, dass er hinter dem Pseudonym El Shaheed stecke. Die Facebook-Gruppe hat vom 25. Januar an eine wichtige Rolle bei der Organisation der Proteste gespielt.

Der Blogger Khaled Said, der von zwei Polizisten im Juni 2010 zu Tode geprügelt wurde, gilt als Ikone der jungen Protestbewegung. Mit Wael Ghonims Freilassung könnte nun das eintreten, wovor sich das Regime bislang gefürchtet hat: Dass der Anteil der Jungen in der Protestbewegung mit dem 30-Jährigen eine Führungsfigur bekommt.

Hunderttausende feierten am Dienstag auf dem Tahrir-Platz in Kairo die Freilassung des Internet-Aktivisten. Der präsentierte sich der Menge, winkte den Demonstranten zu und sagte: "Wir werden unsere Forderung nach einer Absetzung des Regimes nicht aufgeben." Auf dem Platz der Proteste in Kairo traf Ghonim auch zum ersten Mal die Mutter des ermordeten Bloggers Said. Bilder zeigen, wie sie den jungen Mann umarmt, der lächelt.

Die Macht der sozialen Netze

Ägypten ist wieder online. Und die Freilassung Ghonims scheint der jungen Protestbewegung neuen Auftrieb zu geben, als es bereits den Anschein hatte, dass die Revolte abflauen würde. Das Mobilisierungspotential von Facebook ist groß in Ägypten: Nach Angaben der Agentur "Spot on Public Relation" in Dubai hat das soziale Netzwerk dort 3,5 Millionen Mitglieder, so viele wie in keinem anderen arabischen Land. Im gesamten arabischen Raum übersteige die Zahl der Facebook-Nutzer mittlerweile die Zahl der Leser der meist staatlich kontrollierten Zeitungen, heißt es in einer Studie der Agentur.

Dass sich Mubaraks Regierung der Macht der Netzbewegung bewusst ist, zeigt das rigorose Vorgehen in den vergangenen Wochen. Das Regime versuchte, die Oppositionsbewegung zu schwächen, indem sie zeitweise Ägypten komplett vom Internet abschnitt. Auch SMS-Dienste waren blockiert. Als die Netzsperren gelockert wurden, galt dies zunächst nicht für soziale Netzwerke wie Facebook.

"Wir wollen Facebook, Twitter und SMS zurück", schrieb Wael Ghonim auf dem Kurznachrichtendienst Twitter am 27. Januar. Die Meinungsfreiheit zu beschränken, sei ein Verbrechen. "Betet für Ägypten", twitterte er wenig später. Die Regierung plane ein Verbrechen an der Bevölkerung. "Wir sind bereit, zu sterben."

Es sollte seine letzte Nachricht für die nächsten zwölf Tage sein. Die Suchmaschine Google, die sich offiziell nicht äußert, soll geholfen haben, ihren Mitarbeiter ausfindig zu machen, berichtet die Süddeutsche Zeitung. Allerdings betont der Konzern, dass sich der Mitarbeiter privat in Kairo aufhalte. Auch Ghonim selbst will offenbar nicht, dass der Name seines Arbeitgebers in Verbindung mit seinem Engagement in Ägypten gebracht wird: Auf Twitter bittet er Freunde und Bekannte, keine Fotos zu verwenden, auf denen das Logo des Internetkonzerns zu sehen ist. Ghonim, in Kairo geboren und in den Vereinigten Arabischen Emiraten aufgewachsen, lebt heute in Dubai und ist beim Internetkonzern Google Marketingchef für die Regionen Nahost und Nordafrika.

Frei kam der junge Ägypter aber erst, als sich der neue Generalsekretär der angeschlagenen Regierungspartei NDP, Hossam Badrawi, für ihn einsetzte. Das Regime empfing Ghonim nach seiner Freilassung zum Gespräch. Auf Twitter schreibt der 30-Jährige: Zwar sei Badrawi der Grund für seine Freilassung. Allerdings habe er den neuen Generalsekretär darum geben, zurückzutreten: "Denn nur so kann ich ihn respektieren."

Auch nach Gesprächen mit der Regierung beharrt die Opposition auf den sofortigen Rücktritt Mubaraks. Vizepräsident Suleiman scheint unterdessen die Geduld mit den Demonstranten zu verlieren: Es werde "kein Ende des Regimes" und keinen sofortigen Abgang Mubaraks geben, ließ er am Mittwoch über die amtliche Nachrichtenagentur Mena verlauten. Die Alternative zu einem Dialog sei ein Putsch, und das würde hektische Entscheidungen und viele Unvernünftigkeiten bedeuten, so Suleiman weiter.

Unterdessen scheint sich die Opposition im Internet neu zu organisieren. Auf Facebook wurde kurz nach der Freilassung Ghonims eine neue Gruppe gegründet. Ihr Name: "Ich beauftrage Wael Ghonim damit, für die ägyptischen Rebellen zu sprechen." Inzwischen hat diese Gruppe mehr als 220.000 Fans. "Die Stimme von Millionen von Stimmen", steht an der Pinnwand.

Wael Ghonim selbst meldet sich über seinen Twitter-Account zu Wort. Seine erste Nachricht nach der zwölftägigen Haft lautet: "Freiheit ist ein Segen, für den es sich zu kämpfen lohnt." Der Satz verbreitet sich rasant in der Online-Gemeinde.

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