Adieu, Kanzler!:Er war Deutschland

Gerhard Schröder begann als Kanzler der Beliebtheit, wurde Kanzler der Beliebigkeit, dann der Unbeliebtheit, dann der Unbeirrbarkeit. Er war das Deutschland der Nachkriegszeit, der Wirtschaftswunder- und der Wirtschaftswunderkrisenzeit. Sprüche und Widersprüche der Ära Schröder.

Heribert Prantl

Ende einer Kanzlerschaft: Es gibt dafür ein Ur-Bild, eine Karikatur, die man in allen Geschichtsbüchern findet. Sie stammt aus dem Jahr 1890: Da steigt der alte Otto von Bismarck müde und enttäuscht die Trittleiter des großen Schiffes hinunter, hält sich mit der rechten Hand am Geländer fest, stützt sich mit der linken an der Außenwand ab. Und unter der Karikatur steht das berühmte Wort: Der Lotse verlässt das Schiff.

Als ein solcher Lotse hat sich Gerhard Schröder nie gesehen. Aber müde sieht er aus, wenn er nicht gerade, wie bei der Verabschiedung auf dem SPD-Parteitag in Karlsruhe, noch einmal die Arme hochreißt zu der Pose, die die seine war. Der Noch-Kanzler ist melancholisch.

Aber er versteckt die Melancholie hinter der aufgekratzten Jovialität, die er seit jeher so gut beherrscht. Was für ein Gesicht hat dieser Mann in den sieben Jahren der Kanzlerschaft gewonnen!

Die finale Anstrengung des Wahlkampfes und der Wochen nachher hat sich tief eingegraben. Wie werden die Spuren der Macht bei Angela Merkel aussehen? Im fahlen Licht sieht Schröder aus wie Dracula nach der Vertreibung aus Transsylvanien.

Vielleicht ist ihm ein wenig schlecht geworden bei seiner Deutschlandfahrt. Es war keine Fahrt mit dem Dampfer, keine mit einem Dickschiff namens Deutschland, wie es das Bild von 1890 zeigt. Die Ära Schröder war eine Fahrt mit der Achterbahn: steiler Anstieg, steiler Abstieg, spektakuläre Schlusskurve. Manchmal stöhnten die Mitfahrer; manchmal schrien die Zuschauer - mal vor Begeisterung, mal vor Entsetzen.

Der Kanzler: So gefeiert am Anfang, so geschmäht kurz vor Schluss, so gepriesen für seine Reformen und dann dafür so verdammt - zum Teil von denselben Leuten, aber mit einem Jahr Abstand dazwischen. Vom Wahlglück erhöht, aber noch sehr viel mehr von furchtbaren Niederlagen verfolgt.

Die Institutionen verändert

Erst war er Medienkanzler; dann wurde er zum Anti-Medienkanzler. Und dann hätte er beinah, gegen alle Kampagnen, die Bundestagswahl doch noch gewonnen: Wäre sie drei Wochen später gewesen, Schröder wäre womöglich Regierungschef geblieben.

Er begann als Kanzler der Beliebtheit, wurde Kanzler der Beliebigkeit, dann der Unbeliebtheit, dann der Unbeirrbarkeit. Er hat seine Partei vergewaltigt und sie dann später umworben wie ein Liebhaber.

Am Schluss hat die SPD ihn geliebt: ihn, Kanzler Raubein; ihn den misstrauischen ersten Kumpel der Republik; ihn, der anfangs der Genosse der Bosse gewesen war, und dann wieder Boss der Genossen wurde. Schröder war Deutschland: in all seiner Widersprüchlichkeit; in seinem Wollen und Nicht-Können; in seiner Lethargie und Energie, in seiner Angeberei, Empfindlichkeit, Brutalität.

Aufgewachsen in der Armut, aufgefahren ins Kanzleramt; dort hat er Deutschland besser repräsentiert als seine besten Diplomaten. Er war das Deutschland der Nachkriegszeit, der Wirtschaftswunder- und der Wirtschaftswunderkrisenzeit. Er war das Nachkriegskind, so wie sein Vorgänger Kohl das Kriegskind gewesen war.

Er hat die Irrungen und Wirrungen seiner Generation mitgemacht: die Exaltationen der Achtundsechziger und ihre Rückkehr in die neue Mitte. Er kam auf dem Weg durch die Institutionen ganz oben an, weiter oben als all die anderen, die noch klüger und maulflinker waren, aber nicht so resolut machtbewusst.

Schröder ist ein Beispiel dafür, dass Menschen die Institutionen doch ganz schön verändern können: Vor ihm konnte man es sich kaum vorstellen, dass beim Großen Zapfenstreich die Moritat von Mackie Messer statt dem Großen Reitermarsch gespielt wird; so nun geschehen am Samstagabend in Hannover.

Gerhard Schröder hat die deutsche Bundeswehr so verändert wie das Land. Adieu, Kanzler!

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