Mit Wissen von Kanzler Adenauer:Wehrmachts- und SS-Veteranen planten Geheimarmee

Verteidigungsminister Franz Josef Strauß und Kanzler Konrad Adenauer  'Spiegel'-Debatte im Bundestag

Verteidigungsminister Franz Josef Strauß und Kanzler Konrad Adenauer (re.) auf der Regierungsbank in Bonn.

(Foto: dpa)

Verdeckt bereiteten sich in den frühen Jahren der Bundesrepublik ehemalige Weltkriegssoldaten auf den nächsten Krieg gegen die Sowjetunion vor. Das sollen Akten des BND belegen.

Von Oliver Das Gupta

Kurz vor seinem Tod 2007 hat sich Albert Schnez vor eine Kamera gesetzt und erzählt, wie er Anfang der sechziger Jahre Konrad Adenauer zurechtwies. Der Kanzler hatte ein bisschen über Westberlin gejammert. Das läge im roten Meer des Sowjetbereichs und sei deshalb so schwer zu halten. Schnez sagte darauf in die Stille des Raumes hinein: "Herr Bundeskanzler, wenn Sie Berlin aufgeben, brauchen Sie bei der nächsten Wahl gar nicht mehr anzutreten." Ein Satz, mit dem ein Bundeswehrgeneral den westdeutschen Regierungschef vor Publikum brüskierte.

Warum sich Schnez traute, solche Sprüche zu klopfen, legt ein Fund im Archiv des Bundesnachrichtendienstes BND nahe, über den der Spiegel nun berichtet. Aus einer 321 Seiten umfassenden Akte geht Bizarres hervor: Schnez bastelte in den frühen Jahren der Bundesrepublik gemeinsam mit anderen Veteranen der Wehrmacht und der Waffen-SS an einer Schattenarmee, die gegen die Sowjetunion kämpfen sollte.

Oberst war der im Schwäbischen geborene Albert Schnez im Zweiten Weltkrieg, später stieg er in der Bundeswehr zum General auf - und erlaubte sich, öffentlich den Kanzler zu kritisieren. Adenauer wusste zu diesem Zeitpunkt, mit wem er es zu tun hatte: 1951 erfuhr der CDU-Gründer von der Existenz der Schattenarmee und seines Kopfes Schnez - und blieb untätig.

Der Spiegel beruft sich auf freigegebene Unterlagen des Bundesnachrichtendienstes, die der Historiker Agilolf Keßelring eingesehen habe. Der Akt, den er fand, trug die wohl zur Tarnung gewählte Bezeichnung "Versicherungen". Die Papiere sind offenbar unvollständig, und doch ist die Gestalt der geheimen Armee erkennbar.

Ritterkreuzträger sollte für Waffen sorgen

2000 ehemalige Offiziere betrieben demnach die Truppe, die im Ernstfall eine Stärke von 40.000 Mann haben sollte. Ihr Ziel: die sowjetische Armee zu bekämpfen, sollten sie in Westdeutschland einmarschieren. Die konspirative Armee wollte sich bei einer sowjetischen Invasion zunächst ins Ausland absetzen und dann von dort aus die Bundesrepublik "freikämpfen". Genannt werden die Schweiz und Spanien, das damals vom faschistischen Franco-Regime beherrscht wurde.

Die Organisation der Truppe begann 1949 hinter dem Rücken von Bundesregierung, Öffentlichkeit und Westalliierten. Waffen sollten dem Bericht zufolge im Ernstfall aus Beständen der Bereitschaftspolizei kommen dank Anton Grasser. Der war im Weltkrieg zum General der Infanterie aufgestiegen und von Adolf Hitler mit dem Ritterkreuz ausgezeichnet worden. Nach dem Krieg war Grasser zunächst in Schnez' Firma angestellt und 1950 ins Bonner Innenministerium gewechselt. Dort stieg er zum Generalinspekteur der Bereitschaftspolizei und wurde Inspekteur des Bundesgrenzschutzes - Schlüsselpositionen für den Zugang zu Waffen.

Das Netzwerk von Schnez soll Spenden bei Unternehmen eingeworben haben und besprach offenbar mit Speditionen, welche Fahrzeuge diese zur Verfügung stellen konnten. Es habe auch einen sogenannten Abwehrapparat betrieben, der linksorientierte Bürger bespitzelt haben soll. So wurde bei einem Kriminalrat schon mal der Hinweis "Halbjude" notiert und auch Politiker wie der spätere SPD-Fraktionschef Fritz Erler ausgespäht. Für den Fall eines Bürgerkrieges bereiteten sich Schnez' geheime Krieger für den Einsatz im Inland gegen Kommunisten vor - was auch immer das heißen mag.

Schnez' Spitzel lieferten BND Listen mit angeblichen Verdächtigen

Auf der anderen politischen Seite suchte und fand Schnez offenbar viele Kontakte: mit dem SS-Obersturmführer Otto Skorzeny ebenso wie mindestens zwei rechten Organisationen, die sich auf den bewaffneten Kampf gegen Eindringlinge aus dem Osten vorbereiteten. Seine Schattenarmee bot Schnez 1951 der Organisation Gehlen "zur militärischen Verwendung" an, aus dem der Bundesnachrichtendienst (BND) hervorgehen sollte. Offenbar lieferten Schnez' Spitzel dem BND-Vorläufer "Warnlisten", auf denen vermeintlich oder tatsächlich linke Personen verzeichnet waren.

Hans Speidel mit deutschen Offizieren an der Ostfront, 1943

Generalmajor Hans Speidel mit deutschen Offizieren an der Ostfront 1943. Nach dem Krieg stieg Speidel in der Bundeswehr und der Nato auf.

(Foto: Süddeutsche Zeitung Photo)

Die Bundesregierung von CDU-Kanzler Adenauer scheute den Konflikt mit den umtriebigen Weltkriegsveteranen. Angeblich informierte Adenauer auch den damaligen SPD-Granden Carlo Schmidt. Doch es passierte fast nichts.

Zweimal habe es aus dem Kanzleramt den Auftrag an Gehlen gegeben, wie mit der Schnez-Truppe zu verfahren wäre: "Betreuung und Überwachung". Neben kleineren Geldzuwendungen soll es allerdings keine weiteren Unterstützungen gegeben haben. Was aus der Schattenarmee wurde, geht aus den entdeckten Papieren nicht hervor.

Einen Orden zum Abschluss

Viele Köpfe der Truppe gingen zur Bundeswehr, die 1955 gegründet wurde. Mit dabei beim Aufbau der Truppe: Adolf Heusinger, der erste Generalinspekteur, und Hans Speidel, ab 1957 Oberbefehlshaber der Nato-Landstreitkräfte in Mitteleuropa. Beide Generale sollen Schnez' Geheimprojekt auch unterstützt haben. Schnez selbst machte ebenfalls bei der Bundeswehr Karriere: Er gehörte zum engeren Umfeld des Verteidigungsministers Franz Josef Strauß (CSU) und wurde Brigadegeneral. 1960 wurde öffentlich, dass er sich in Spanien nach Depots und Übungsplätzen für die Bundeswehr umsah - die Parallele zu früheren Plänen seiner Schattenarmee ist naheliegend.

Doch das schadete Schnez ebenso wenig, wie das vorlaute Verhalten gegenüber Adenauer. "Keine Folgen" von Seiten des Kanzlers habe es gegeben, sagte der General a. D. kurz vor seinem Tod, und fügte zufrieden hinzu: Adenauer habe anschließend bei Gesprächen mit US-Präsident John F. Kennedy "wie eine Eins" zu Berlin gestanden.

Kurz vor dem Ende seiner militärischen Laufbahn zeigte Schnez noch einmal, wie er tickte. In einer Studie schwadronierte er 1970 über das Soldatenbild einer "vergangenen militärischen Welt", wie die Zeit vermerkte. Es war eine Kraftprobe mit dem neuen Bundesverteidigungsminister Helmut Schmidt (SPD), der die Truppe später reformieren sollte - ohne Schnez. Der ging 1971 in Pension, nachdem ihm das Große Verdienstkreuz mit Stern verliehen worden war.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: