Süddeutsche Zeitung

Akten über die CDU:Das deutsche Watergate

Jahrelang ließ Konrad Adenauer die gesamte SPD-Spitze ausspionieren. Der eklatante Rechtsbruch zeichnet ein neues Bild der jungen Bundesrepublik.

Von Roland Preuß und Willi Winkler

Bisher unentdeckte historische Dokumente lassen Konrad Adenauer in einem neuen Licht erscheinen. Demnach ließ der erste Kanzler der Bundesrepublik die SPD fast zehn Jahre lang mithilfe eines Informanten in der Parteispitze ausspionieren. Fast 500 vertrauliche Berichte aus dem SPD-Parteivorstand gelangten auf diesem Wege in das CDU-geführte Kanzleramt. Adenauer, der von 1949 bis 1963 regierte, war über den Spitzel des Bundesnachrichtendienstes (BND) oft noch am selben Tag darüber informiert, was die größte Oppositionspartei im Land diskutierte und plante. Dies geht aus Akten der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung hervor, die der Historiker Klaus-Dietmar Henke ausgewertet hat und die die Süddeutsche Zeitung einsehen konnte. Henke ist Sprecher der unabhängigen Historikerkommission zur Erforschung der Geschichte des BND.

Schon bisher war bekannt, dass Adenauer über seinen Staatssekretär Hans Globke und Reinhard Gehlen, Leiter der nach ihm benannten Organisation Gehlen, aus dem der BND hervorging, innenpolitische Gegner überwachen und belastendes Material über sie sammeln ließ. Prominentestes Beispiel ist der spätere SPD-Bundeskanzler Willy Brandt.

Die nun ausgewerteten Dokumente legen jedoch eine neue Dimension der illegalen innenpolitischen Geheimdienstarbeit von Adenauers Regierung gegen politische Konkurrenz offen. Im Mittelpunkt der jahrelangen Spionage gegen die SPD-Führung standen Siegfried Ortloff und Siegfried Ziegler. Beide waren Sozialdemokraten, Ortloff arbeitete für den SPD-Vorstand und war dort für die Abwehr kommunistischer Unterwanderung zuständig. Ziegler war Mitglied der Organisation Gehlen und zugleich SPD-Kreisvorsitzender in Starnberg, er stellte den Kontakt her zwischen Gehlen und Ortloff. Beide lieferten fortan die vertraulichen Informationen aus den Spitzenrunden der Genossen an Gehlen, die über Globke ihren Weg zu Kanzler Adenauer fanden.

Auf die Papiere in den Akten schrieb Adenauer Anmerkungen

Die zahlreichen Anmerkungen des Kanzlers in den Akten zeigen, wie intensiv dieser sich mit den von Globke aufbereiteten Berichten befasst hat. So erfuhr Adenauer beispielsweise, was im SPD-Vorstand besprochen wurde über den damals erwogenen Wechsel zum Mehrheitswahlrecht, wer als SPD-Kandidat bei der Wahl des Bundespräsidenten antreten würde oder dass die Sozialdemokraten 1957 ihre eigene Wahlkampf-Illustrierte kritisierten, unter anderem weil es dieser fehle "an dem heute unumgänglichen ,Schuss Sex'", wie es in dem Bericht hieß. Auch die vertrauliche Mitteilung, dass der damalige Parteivorsitzende Erich Ollenhauer bei der Bundestagswahl 1961 nicht erneut als Kanzlerkandidat kandidieren wolle, hatte der Kanzler zeitnah auf seinem Schreibtisch liegen.

Staatssekretär Globke war eine der umstrittensten Figuren in Adenauers Regierung, der Jurist verfasste während der Zeit des Nationalsozialismus den Kommentar zu den "Nürnberger Rassegesetzen". Der frühere Wehrmachtsgeneral Gehlen baute nach dem Krieg den westdeutschen Auslandsgeheimdienst auf, der allerdings auch widerrechtlich im Inland spionierte.

Diese umfangreiche Spionage gegen einen innenpolitischen Gegner erinnert an die Watergate-Affäre. Der damalige republikanische US-Präsident Richard Nixon hatte seine Regierungsmacht missbraucht, die konkurrierenden Demokraten sollten auf Anweisung aus dem Weißen Haus ausgespäht werden. Bei dem Versuch, in das Hauptquartier der Demokratischen Partei im Washingtoner Watergate-Hotel einzudringen, wurden Einbrecher von einem Wachmann überrascht und verhaftet. Die Spur führte zu Unterstützern Nixons und ins Weiße Haus. Dies stieß weitere Untersuchungen an, die 1974 zum Rücktritt des US-Präsidenten führten.

Adenauers Überwachung der SPD fällt in die Zeit eines weitverbreiteten Antikommunismus in der Bundesrepublik, der vom Kanzler ausdauernd befördert wurde. Die Angst vor kommunistischer Infiltration war groß, nicht zufällig hatte die SPD in Ortloff einen eigenen Mitarbeiter zu dessen Abwehr. Die Verdächtigungen machten auch vor der SPD nicht halt, Adenauer warf den Sozialdemokraten schon mal vor, sich durch die DDR finanzieren zu lassen, was er nach der Wahl 1953 zurücknehmen musste.

Der autoritäre Führungsstil des ersten Bundeskanzlers stand schon bei Zeitgenossen in der Kritik, Adenauer galt in den Augen einer kritischen Öffentlichkeit als Mann einsamer Beschlüsse, der von seinen Ministern und den Regierungsfraktionen Gefolgschaft erwartete, die Opposition unnachgiebig bekämpfte und mit scharfer Polemik überzog. Zeithistoriker wie der verstorbene Kurt Sontheimer werten diesen Regierungsstil jedoch auch als Brücke hin zur Demokratie für eine Bevölkerung, die zuvor die Instabilität der Weimarer Republik und die totalitäre Herrschaft der Nationalsozialisten erlebt hatte.

Konrad Adenauer hatte sich bei der Bildung seiner ersten Regierung 1949 gegen eine große Koalition mit der SPD entschieden mit dem Argument, es gebe sonst keine "kraftvolle Opposition" im Bundestag. Was sie unternahm, um stärker zu werden, darauf wollte Adenauer allerdings immer vorbereitet sein.

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