Süddeutsche Zeitung

Abzug russischer Truppen:Putin kann eine Liste von Zielen abhaken

  • Mit dem Militäreinsatz in Syrien hat Putin es geschafft, seinen Verbündeten Assad zu stärken, die Isolation Russlands in der Staatengemeinschaft zu beenden und den eigenen Einfluss im Nahen Osten zu stärken.
  • In der Folge der Einmischung in Syrien hatte Russland allerdings auch mehr als 200 Todesopfer zu beklagen, außerdem ist das Verhältnis zum einstigen Verbündeten Türkei zerrüttet.

Von Julian Hans, Moskau, und Paul-Anton Krüger, Kairo

Sergej Lawrow sagte zwar nicht sehr viel, als Wladimir Putin am Montagabend im Kreml den Teilabzug der russischen Streitkräfte aus Syrien verkündete. Aber der wichtigste Satz zur Erklärung dieses überraschenden Schritts kam nicht vom Präsidenten und nicht von Verteidigungsminister Sergej Schojgu, sondern vom Außenminister.

Erfolge gebe es nicht nur am Boden, begann Lawrow seine Bilanz, nachdem Schojgu aufgezählt hatte, dass seine Piloten mehr als 9000 Flüge absolviert, mehr als 2000 Terroristen getötet, die Nachschubwege der verbliebenen abgeschnitten und die Aufständischen aus Latakia und den Provinzen Hama und Homs vertrieben hätten. Die Operation habe auch dazu beigetragen, die Bedingungen für einen politischen Prozess zu schaffen, fuhr Lawrow fort: Russland sei seit 2012 konsequent für einen innersyrischen Dialog eingetreten. "Unsere Vorschläge scheiterten aber an der fehlenden Bereitschaft aller unserer Partner, sich mit diesen Fragen zu befassen. Aber seit der Einsatz unserer Luftwaffe begann, änderte sich das."

Verglichen mit dem martialischen Auftritt von Putins Vorbild George W. Bush auf dem Flugzeugträger Abraham Lincoln zum Ende des Irak-Krieges 2003, wirkte diese Darbietung bescheiden-bürokratisch. Gleichwohl kann der russische Präsident eine Liste von Zielen abhaken, die er in einem knappen halben Jahr mit Bombardements erreicht hat.

Ein Blick zurück: Im Frühjahr 2015 war Syriens Diktator Baschar al-Assad unter dem Ansturm der von Golfstaaten, der Türkei und teils vom Westen unterstützten Kämpfer so sehr in Bedrängnis geraten, dass es fraglich erschien, ob er die Hauptstadt Damaskus und die Provinz Latakia würde halten können. Das Regime geriet ins Wanken. Seit dem Tod des libyschen Diktators Muammar al-Gaddafi aber hatten Putin und seine Umgebung wieder und wieder erklärt, man werde nie mehr den Sturz eines Verbündeten zulassen.

Keine Regierung in Syrien ohne Russland

Auf die Revolution in Kiew folgten die Krim-Annexion und der Krieg im Donbass. In Syrien wollte Moskau handeln, bevor es zu spät war. Die Luftangriffe brachten das Regime erstmals seit Jahren wieder in die Offensive. Regierungstruppen, mehr aber noch Schiiten-Milizen der Hisbollah und afghanische Söldner nahmen den Rebellen wichtige Landstriche ab, auch wenn die Gebietsgewinne der Regierung überschaubar sind; der von Rebellen kontrollierte Teil Aleppos ist umzingelt. Heute ist Assad vorerst gerettet, wichtiger aber für Putin: Es wird in Syrien absehbar keine Regierung geben, die Russlands Interessen missachtet. Erstes Ziel erreicht.

Im September flog Putin als Außenseiter zur Generaldebatte der Vereinten Nationen nach New York, um dort einen Vorschlag zu machen, den er als Neuauflage der Anti-Hitler-Koalition präsentierte: Die USA und Russland als Anführer eines Bündnisses gegen das Böse, in diesem Fall den sogenannten Islamischen Staat (IS). Nur widerstrebend räumte Barack Obama ihm einen Termin ein - ohne Zeremonie und ohne konkretes Ergebnis. Mit der Aggression gegen die Ukraine hatte Putin sich ins Aus gespielt.

Mit den Bombern und der Luftabwehr in Syrien hat Putin sich wieder ins Spiel gebracht, ohne Abstimmung mit den Russen geht nichts mehr. Regelmäßig telefonieren die Präsidenten jetzt miteinander, auch über die Ukraine wird gesprochen. Wie in einer kleinen Ausgabe der Jalta-Konferenz reden Amerikaner und Russen jetzt über Einflusszonen in Syrien. Und mit einem Mal sind für das russische Staatsfernsehen nicht mehr die Amerikaner die Bösen, sondern alle, die die neue Harmonie zwischen den Großmächten stören. Die Isolation ist gebrochen. Zweites Ziel erreicht.

Nebenbei konnte Russland seine militärische Präsenz im Nahen Osten deutlich ausbauen. Zum Marinestützpunkt Tartus kam der Flughafen Latakia, beide sollen weiterbetrieben werden, sagte Putin. Die Rolle Russlands im Nahen Osten ist größer geworden. Drittes Ziel erreicht.

Die Taktik ähnelt letztlich dem Vorgehen in der Ukraine: Mit militärischer Gewalt werden die Verbündeten im Land gestärkt - im einen Fall die Separatisten, im anderen Fall die Regierung, die Moskau auch nach mehr als 250 000 Toten noch als legitim betrachtet. Nach dem Rückzug tritt Moskau als Schutzmacht seiner Partner im Land auf - mit der Option, bei Bedarf wieder voll einzusteigen - die Jets können binnen Tagen oder Wochen nach Syrien zurückkehren, wenn Putin es für nötig hält. Assad wie auch die Separatisten im Donbass wissen derweil, dass sie ohne die Hilfe Moskaus sich kaum halten könnten.

Nebenbei konnte Russland, zweitgrößter Waffenexporteur der Welt nach den USA, seine neuesten Entwicklungen im Einsatz präsentieren - vom Jagdbomber SU-35 bis zu den seegestützten Marschflugkörpern Kaliber. Dass der Kreml zu Beginn der Operation am 30. September erklärt hatte, Russland müsse den "Islamischen Staat" bekämpfen, bevor Tausende Terroristen von dort in ihre Heimat im Kaukasus zurückkehrten und die Sicherheit Russlands bedrohten - längst vergessen. Erst nach Beginn der Waffenruhe hat Russland ernsthaft damit begonnen, die Dschihadisten zurückzudrängen, zuletzt mit einer Offensive bei Palmyra. Die größten Gebiete entriss dem Kalifat eine von den Amerikanern unterstützte Allianz kurdischer und arabischer Rebellen.

Saudi-Arabien hatte Russland vor den Konsequenzen gewarnt

Den IS zu vertreiben oder gar ganz Syrien unter die Kontrolle von Damaskus zu bringen, würde Moskau einen viel zu hohen Preis kosten - an Menschenleben wie auch finanziell. Was also spräche dafür, den Einsatz wie bisher weiterzuführen?

Er ist jetzt bereits teuer genug, zumal das Land in einer tiefen Krise steckt. Im Februar musste die Regierung in Moskau nachträglich eine Kürzung des Wehretats für 2016 beschließen. Seit Putins Amtsantritt 1999 waren die Ausgaben exponentiell gestiegen, jetzt wird erst einmal um fünf Prozent gekürzt, immerhin, alle anderen Ressorts müssen zehn Prozent einsparen. Der Teilrückzug aus Syrien könnte zudem die Gespräche mit Saudi-Arabien über eine Drosselung der Förderquote erleichtern, um so den Ölpreis zu stützen, vermuten russische Medien. Riad, Führungsmacht der Sunniten, ist der wichtigste regionale Gegenspieler Assads und hat Russland eindringlich vor den Konsequenzen seines Eingreifens gewarnt.

Ganz ohne Verluste hat Moskau seine Ziele indes nicht erreicht. Offiziell kamen bei dem Einsatz bisher zwar nur vier russische Soldaten ums Leben. Dazu kommen aber die Opfer des Terroranschlags auf einen Urlauberflieger über der Sinai-Halbinsel im Oktober mit 224 Menschen an Bord, zu dem sich der IS bekannte. Und ein auf lange Zeit zerrüttetes Verhältnis zur Türkei, die Putin vor dem Einsatz noch als Partner in der Energiepolitik gelobt hatte.

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SZ vom 16.03.2016/dayk/mikö
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