Abzug der US-Truppen aus dem Irak:Krieg ohne Gewinner

Die USA haben im Irak nicht nur Tausende Soldaten und Billionen Dollar verloren, sondern auch den Krieg selbst. Auch die Iraker haben wenig gewonnen - am meisten profitiert Iran von den Veränderungen in der Region. Eine Bilanz des achtjährigen Krieges.

Thomas E. Ricks

Wenn Kriege zu Ende gehen, gibt es normalerweise einen Gewinner und einen Verlierer: Die Griechen zerstören Troja, so in dieser Art. Nun, da wir uns dem Ende des amerikanischen Engagements in Irak nähern, ist es eine gute Gelegenheit, danach zu fragen, wer denn nun gewonnen und wer verloren hat und was das Ergebnis für die Zukunft des Landes bedeutet.

A resident walks past U.S. Army soldiers standing guard during a joint patrol with the Iraqi Army on the outskirts of Kut

Ein irakischer Zivilist geht an einigen US-Soldaten vorbei. Bis Ende des Jahres sollen die Amerikaner den Irak verlassen.

(Foto: REUTERS)

US-Verteidigungsminister Leon Panetta denkt, dass die Iraker irgendwie gewonnen hätten: "Am Ende haben wir dort, erkauft mit vielen Opfern, eine relativ stabile Demokratie aufgebaut." Schauen wir dagegen zu unseren Lieblingsbloggern der US-Rechten, erfahren wir eine Menge dummes Zeug über Siege und Opfer, Ergebnis eines falschen Patriotismus, der nicht mal mehr für einen guten Country-Song taugt. Betrachten wir die Fakten, ist es wesentlich weniger klar, ob die USA oder Irak überhaupt etwas gewonnen haben.

Die Vereinigten Staaten verloren 4474 Soldaten (und die Zählung ist noch nicht vorüber) - Tausende mehr wurden verwundet oder verkrüppelt - sowie ein paar Billionen Dollar, was dazu beigetragen hat, unsere Wirtschaft daheim in ein Wrack zu verwandeln. Aber sie bekamen nicht viel zurück. Blut für Öl? Nur in dem Sinne, dass jeder achte Gefallene in Irak beim Versuch starb, einen Treibstoffkonvoi zu bewachen. Die irakische Ölproduktion wird noch lange unter dem Stand bleiben, den sie vor dem Krieg hatte. Sollten die Ölpreise einmal deutlich fallen, wäre die irakische Wirtschaft ruiniert.

Was immer Panetta über Irak als künftigen Partner der USA erzählt - dieser Staat wird seinen eigenen Weg gehen, de facto mit Iran verbündet und wenig gewillt sein, geopolitische Träume der USA zu unterstützen. Ja, Amerika wird den Irakern ein paar Rüstungsgüter verkaufen. Aber am Ende ist George W. Bush 2003 in den Krieg gezogen und alles, was wir dafür bekommen haben, ist eine Diktatur, die sich in einen halben Polizeistaat verwandelt hat. Es ist nicht einmal klar, ob die Amerikaner über Ende Dezember hinaus irgendwelche Truppen im Lande lassen dürfen.

Und ist Irak also ein Gewinner, nachdem die US-Armee acht Jahre lang auf dem Land herumgetrampelt ist? Sicher nicht. Iraks Zivilgesellschaft wurde zerschreddert, acht Jahre Bürgerkrieg kosteten mehr als 100.000 Tote, das Land ist heute Heimat einer kleinen, aber höchst aktiven Außenstelle der al-Qaida. Die USA gehen, ohne einen Ausgleich zwischen den kurdischen und arabischen Irakern geschaffen zu haben; dieser Topf bleibt einfach am Kochen.

Die USA haben nicht einmal stabile Grenzen für das befreundete kurdische Gebiet aufgebaut - mit dem Ergebnis, dass die Iraner "Kurdistan" von Osten her beschießen, während türkische Kampfflugzeuge es von Westen bombardieren. Die Türkei gehört zur Nato - das ist so, als ob Washington ruhig zusehen würde, wenn die Deutschen nächste Woche Bomben über Polen abwerfen würden.

Die sunnitischen und schiitischen Moslems in Irak bleiben sich feindlich gesinnt. Die religiösen Spannungen sind enorm, und die USA werden daran nichts mehr ändern können. Schon in den vergangenen Monaten haben sie es den Irakern überlassen, die Sache unter sich auszuschießen - abgesehen von etwas technischer Hilfe und einigen sehr begrenzten Spezialeinsätzen.

Und es macht keinen Unterschied, ob nun gar keine oder 3000 oder 10.000 US-Soldaten im Land bleiben - was könnten sie besser machen als die sehr viel größere Zahl, die nun abzieht? Selbstmordanschläge und gezielte Morde sind längst ein Teil des irakischen Alltags geworden, und das ist viel schlimmer als einzelne spektakuläre Attentate, über die dann die Medien weltweit berichten. Nein, Irak ist wirklich kein Sieger.

Gewinner Iran

Aber wer ist es dann? Zum Beispiel Iran. Das Land hat geduldig stillgehalten, während die Vereinigten Staaten auf seine beiden größten Feinde einschlugen, Saddam Hussein in Irak und die Taliban in Afghanistan. Damit wurden, ohne dass die Iraner irgendetwas tun mussten, ihre Grenzen im Westen und Osten sicherer. Es scheint, als habe Teheran 2003 den USA versöhnliche Gesten gemacht und irgendeine Art besserer Beziehungen angestrebt. Die Iraner wurden aber von der hysterischen Bush-Administration schroff abgewiesen und sahen dann zu, wie sich Amerika immer tiefer in beide Kriege verstrickte.

Je länger diese sich hinschleppten, desto weniger Neigung zeigte die amerikanische Öffentlichkeit zu einem weiteren Krieg. Daher kühlten sich die Pläne sehr rasch ab, die man in Tel Aviv und Washington schon für Luftschläge gegen das iranische Nuklearprogramm entworfen hatte. Und wenn Bushs Vize Dick Cheney es nicht schaffte, die Amerikaner in diesen Kampf zu manövrieren, wer dann?

Schlachtfeld für Stellvertreterkrieg

Die Iraner lernten schnell, dass Irak, ebenso wie der Libanon, ein hübsches Schlachtfeld für einen Stellvertreterkrieg abgab. Gegen Ende meiner Irak-Touren konnten die minengeschützten Militärfahrzeuge, mit denen wir unterwegs waren, Schäden von so ziemlich allem einstecken, was es da draußen gab. Mit einer Ausnahme: Straßenbomben aus iranischer Herkunft, sogenannte EFPs. Diese schossen vom Straßenrand aus verflüssigtes geschmolzenes Kupfer ab und waren das Einzige, wovor wir wirklich Angst hatten. An all der Gewalt, die Irak nach 2003 plagte, hatten die Iraner ihren Anteil.

Teheran verlor nicht nur einen Feind, als Saddam schließlich gehängt wurde. Es gewann mit dem neuen Irak sogar einen Verbündeten. Als die USA bei den irakischen Wahlen im März 2010 daran scheiterten, dort eine Regierung aufzubauen, half Iran eine Lösung zu vermitteln, zu welcher der heutige Premierminister Maliki gehört, sowie Schiitenführer Muktada al-Sadr. Maliki ist auch Finanzminister und Innenminister, aber bitte, er ist kein Diktator.

Der Premier, ein Schiit, erinnert sich an glückliche Tage, die er während Saddams Herrschaft in Iran verbrachte. Und Sadr lebte nach 2003 als religiöser "Student" im iranischen Gom, während die USA ihn auf die "Capture or Kill"-Liste setzten. Beide Männer sind Iran heute eng verbunden und bringen Irak näher und näher an Teherans politische Positionen heran. Nichts von alledem wird helfen, ein stabiles Irak zu schaffen. Das Gegenteil ist der Fall.

Thomas E. Ricks, 56, war Reporter für das Wall Street Journal und Militärexperte der Washington Post. Er ist heute Publizist und Träger des Pulitzer-Preises.

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