Abzug der US-Kampftruppen:Irak - ein Land als Beute

Während die US-Soldaten abziehen, schachern in Bagdad Politiker wie Pferdehändler um die Macht und al-Qaida jagt eine Terrorwelle durchs Land. Barack Obama hinterlässt einen schwachen Irak, den seine Nachbarn als Bühne für ihre Interessen missbrauchen werden.

Tomas Avenarius

Wer in der Politik keine großen Erfolge vorweisen kann, behilft sich gern mit Symbolen. Deshalb wird in der kommenden Woche in Bagdad eine schöne Zeremonie mit amerikanischen und irakischen Soldaten stattfinden. Es wird Reden geben, Flaggen, Blaskapellen, salutierende Soldaten. Siebeneinhalb Jahre nach Kriegsbeginn übergibt die US-Armee die Verantwortung für die Sicherheit im Irak an die Regierung in Bagdad.

Über 40 Tote bei Anschlagserie im Irak

Attacken auf einen instabilen Staat: Am vergangenen Mittwoch erschütterte eine Anschlagsserie den Irak. 43 Menschen starben, wie hier in Basra waren hauptsächlich Polizisten Ziele der Angriffe.

(Foto: dpa)

Nachdem in den vergangenen Tagen Fernsehbilder der abziehenden US-Panzer die Nachrichten dominiert hatten, verkünden amerikanische Politiker und Generäle nun voller Stolz ihre Botschaft: Das arabische Land, wollen sie glauben machen, steht nach dem erzwungenen Sturz der Saddam-Diktatur wieder auf eigenen Füßen. "Operation Morgenröte" heißt diese neue Phase irakisch-amerikanischer Beziehungen. Der Name soll Optimismus vermitteln. Doch es überwiegt die Skepsis.

Der US-Präsident fegt, wenig euphorisch, die irakischen Scherben seines Vorgängers George W. Bush zusammen: Barack Obama ist einerseits verfangen in den Zwängen der US-Innenpolitik und andererseits in den außenpolitischen Herausforderungen an eine Supermacht, die in zwei Staaten gleichzeitig Krieg führt. Mit seiner "Morgenröte" im Irak versucht er, für die USA das Bestmögliche herauszuholen.

Notgedrungen betreibt er dabei Etikettenschwindel auf Kosten der Iraker: Während das Land von einer Terrorwelle überzogen wird, vermittelt der US-Präsident den Eindruck, seine Truppen hinterließen halbwegs geordnete Verhältnisse. Was noch zu tun bleibe, liege in der Hand der neuen, demokratisch gewählten Regierung in Bagdad. Mit tatkräftiger Hilfe amerikanischer Militärberater und Diplomaten könne das Land bis Ende 2011 endgültig auf den richtigen Weg gebracht werden - es brauche nur gut trainierte, der Bagdader Regierung treue Sicherheitskräfte, wirtschaftlichen Aufbau und eine boomende Ölindustrie. Dazu eine tragfähige Infrastruktur in einem handlungsfähigen politischen System.

Die Realität sieht anders aus. Die USA haben im Irak nur einen kleinen Teil ihrer Ziele erreicht. Der Irak hat sich nicht zum Demokratie-Biotop verwandelt. Er ist auch keine Drehscheibe der US-Militärmacht geworden, von der aus sich die Region dominieren ließe. Im Gegenteil: Der Irak-Krieg hat die Grundkonstellation im Nahen Osten auf den Kopf gestellt. Zur Erinnerung: Der arabisch-israelische Krieg von 1973 hat die Region verändert, weil diesem Krieg der ägyptisch-israelische Frieden von Camp David folgte. Damit lief Israel nicht mehr Gefahr, sich in einem Zwei-Fronten-Krieg gegen eine Übermacht arabischer Armeen wehren zu müssen.

Alte Konflikte - neu geschürt

Der Bagdad-Feldzug der USA hingegen hat jede Menge neue Fronten eröffnet. Der Irak nach Saddam ist zur Arena für verschiedene regionale, inner-islamische und internationale Konflikte geworden: Der Streit zwischen den muslimischen Religionsgruppen der Sunniten und Schiiten spielt sich im Land ab, und auch der jahrzehntealte Kurdenkonflikt könnte sich im Irak an Streitigkeiten zwischen Bagdad und seiner auf Autonomie pochenden Minderheit immer wieder neu entzünden. Die Konkurrenz zwischen Persern und Arabern wird ebenfalls im Zweistromland ausgetragen. Teheran träumt von der Rolle als Regionalmacht, die Araber wollen genau das verhindern. Die Möchtegern-Nuklearmacht Iran ist dank der verfehlten US-Politik dabei im Vorteil: Teheran verfügt nun vom Irak über Syrien bis zum Libanon und in den Gaza-Streifen hinein über Einflussmöglichkeiten.

Die Nachbarstaaten des Irak - Iran, die Türkei, Saudi-Arabien und Syrien - betrachten das Land als Bühne ihrer nationalen Interessen. Solange der Irak selbst geschwächt ist, kann er den Kabalen seiner Nachbarn wenig entgegensetzen. Es wird Jahre dauern, bis ein selbständiges Bagdad seine eigene Agenda durchsetzen kann. Gelingt das lange nicht, wird der Irak die von außen ins Land getragenen Spannungen in die Nachbarstaaten zurücktragen.

In der Hand von al-Qaida

So könnte das Land auch nach Saddam Husseins Ende den Nahen Osten weiter destabilisieren. Das langfristige Dilemma spiegelt sich auch in den täglichen Nachrichten wieder. Während die US-Panzer abzogen, begann al-Qaida, den Irak mit einer Terrorwelle zu überziehen. Opfer sind Polizisten und Soldaten, Richter und Ärzte. Wichtige Vertreter der Gesellschaft werden ermordet, das geringe Vertrauen der Iraker in ihre Soldaten, Polizisten und Beamten wird untergraben. Dahinter stehen möglicherweise die Iraner, zweifellos aber auch innerirakische Kräfte.

Die Wirtschaft immerhin springt an. Aber der Wiederaufbau gelingt zu langsam, die Arbeitslosigkeit liegt bei 35 Prozent. In der Politik schachern die Bagdader Parteiführer wie Pferdehändler um die Macht; sechs Monate nach der Parlamentswahl ist noch immer kein Kabinett aufgestellt.

Ob es im Irak nach 2011 die für die USA strategisch so notwendige Militärpräsenz geben wird, ist bislang offen. Washington muss entsprechende Vereinbarungen aushandeln. Der Erfolg wird vom Wohlwollen der irakischen Regierung abhängen, deren Zusammensetzung und Ausrichtung bis heute unklar ist. Der Bagdad-Krieg, wider besseres Wissen vom Zaun gebrochen, war eine Bankrotterklärung für die US-Politik im Nahen Osten; er bleibt eine drückende Hypothek für die Staaten der Region.

Der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad brachte das gehässig auf den Punkt: Die Amerikaner, sagte er, hätten im Irak mit großem Aufwand einen Baum gepflanzt. Jetzt zögen sie überstürzt ab, anstatt ihn über Jahre zu wässern. Der Perser gehört zu denen, die das Gewächs lieber heute als morgen verdorrt sehen wollen. Teheran hat durch den US-Krieg jenen politischen, militärischen und ideologischen Freiraum gewonnen, den Saddam Hussein dem Nachbarn verweigert hatte. Das zeigt: Während die US-Politik kurzatmig ist und dem Veranstaltungskalender anstehender US-Wahlen folgt, denken nahöstliche Strategen in Jahrzehnten. Je länger der Irak als selbständiger Spieler ausfällt, desto besser können sie ihre Ziele verfolgen. Stabilität im Irak mag den Interessen der Nachbarn dienen. Ein autarker und selbstbewusster Irak tut es nicht.

Nach dem Abzug der Kampftruppen nehmen nun die Diplomaten aus Washington deren Platz ein - mit 50.000 US-Soldaten im Rücken. Im Alltag aber müssen die amerikanischen Gäste in mühsamer Kleinarbeit mit ihren irakischen Gesprächspartnern umsetzen, was das Militär in sieben Jahren nicht geschafft hat: den Irak so zu stabilisieren, dass er die Region nicht verunsichert, sondern befruchtet. Nach all den Fehlern der Amerikaner in den vergangenen Jahren ist das Vertrauen in ihre Fähigkeit als Ordnungsmacht im Irak und in Nahost allerdings ebenso erschüttert wie die Hoffnung auf gutnachbarschaftliche Unterstützung durch die irakischen Anrainerstaaten.

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