Abzug der Bodentruppen in Gaza:Netanjahus Exit-Strategie

Abzug der Bodentruppen in Gaza: Ein israelischer Panzer im Gazastreifen am 3. August auf dem Rückweg nach Israel.

Ein israelischer Panzer im Gazastreifen am 3. August auf dem Rückweg nach Israel.

(Foto: AFP)

Fast alle Tunnel zerstört, das Waffenarsenal der Hamas empfindlich dezimiert: Israels Premier Netanjahu handelt aus einer Position der Stärke, wenn er den Rückzug aus dem Gazastreifen befiehlt. Seine Formel: Handeln statt verhandeln. Doch wie lange geht das gut?

Von Peter Münch, Tel Aviv

Noch immer wird gekämpft, noch immer wird gestorben, und die Parolen der Politiker klingen noch kein bisschen leiser oder weiser: "Die Operation geht weiter", verkündet Israels Premierminister Benjamin Netanjahu, "alle Optionen liegen auf dem Tisch, um die Sicherheit wiederherzustellen." Zugleich jedoch hat sich an diesem Wochenende ein Teil der Bodentruppen aus dem Gazastreifen zurückgezogen. In Israels Medien ziehen die allgegenwärtigen Militärexperten bereits eine Bilanz des großen Blutvergießens. Auch wenn das noch vorschnell erscheinen mag, zeichnet sich jetzt deutlicher als je zuvor eine Exit-Strategie für die israelischen Truppen ab.

Handeln statt verhandeln - auf diese Formel lässt sich die neue Position der Jerusalemer Regierung bringen. Während in Kairo noch die Vermittler auf ihren Einsatz warten und sich US-Außenminister John Kerry weiter die Ohren heiß telefoniert, hat Israels Sicherheitskabinett auf einer nächtlichen Sabbat-Sitzung eine weitreichende Entscheidung getroffen: Man will nicht mehr länger mit der Hamas und den anderen palästinensischen Gruppen um ein Abkommen zu einer Waffenruhe ringen. Vielmehr behält sich Israel das Recht vor, im Alleingang zu entscheiden, wann und wie dieser Krieg beendet wird.

Als Blaupause für diese unilaterale Strategie dürfte das Ende der "Operation Gegossenes Blei" aus dem Winter 2008/09 dienen. Damals war der Krieg gegen die Hamas mit ähnlicher Härte aus der Luft, vom Meer her und am Boden geführt worden. Nach gut drei Wochen der Verwüstung erklärte Israel dann einen einseitigen Waffenstillstand und zog die Truppen zurück. Keine Verhandlungen, kein Abkommen, keine Zugeständnisse. Der Hamas blieb nichts anderes zu tun, als die Wunden zu lecken und die Trümmer zu beseitigen.

Schwerer Schaden für die Hamas-Infrastruktur

Der nun erneut eingeleitete teilweise Rückzug der Bodentruppen zeigt an, dass Israels Militärplaner die Ziele der Operation als weitgehend erreicht ansehen. Im Zentrum steht dabei die Zerstörung der Tunnel, die von den Hamas-Kämpfern unter der Grenze nach Israel hindurch gegraben worden waren, um für Anschläge genutzt zu werden. 31 Tunnel, so heißt es, seien entdeckt worden - und deren Zerstörung sei weitgehend abgeschlossen. Überdies wurde der gesamten Hamas-Infrastruktur beim Bombardement von mehr als 3000 Zielen schwerer Schaden zugefügt. Viele Waffenfabriken und -lager sind zertrümmert. Das zuvor auf 9000 Raketen geschätzte Arsenal der Hamas hat sich Schätzungen der Armee zufolge auf 2500 reduziert. 3000 dieser Raketen wurden auf Israel abgefeuert, ohne größere Schäden anzurichten. Der Rest wurde bei israelischen Luftschlägen zerstört.

Mit einer solchen Bilanz kann auch Netanjahu zum Rückzug der Truppen blasen, ohne den Rechten in der eigenen Regierung damit die Vorlage zu geben, ihm Feigheit vor dem Feind vorzuwerfen. Der Feind ist in diesem Denken nicht nur die Hamas, sondern auch die internationale Gemeinschaft, die angesichts der hohen Zahl ziviler Opfer seit Langem schon auf ein Ende der Kämpfe dringt. Netanjahu also könnte nun glaubhaft belegen, dass er der Hamas schwere Schäden zugefügt und den notorischen Friedensmahnern draußen die Stirn geboten hat.

Überdies gibt er dabei nicht einmal einen Trumpf aus der Hand, weil die Truppen bis auf Weiteres in Bereitschaft bleiben und womöglich sogar an der Grenze zum schmalen Gazastreifen noch ein militärischer Sicherheitsstreifen eingerichtet wird. Raketenangriffe können jederzeit wieder mit wuchtigen Luftangriffen beantwortet werden. "Die Hamas muss verstehen, dass sie einen aus ihrer Sicht unerträglich hohen Preis für eine Fortsetzung des Beschusses zahlen muss", droht Netanjahu. Wie ernst das gemeint ist, zeigen die Kämpfe vom Sonntag, bei denen palästinensischen Angaben zufolge erneut auch eine UN-Schule unter Beschuss geriet.

Falls die Milizen jedoch in absehbarer Zeit auf Angriffe verzichten, wäre das der schlagende Beweis dafür, dass der israelische Kampfeinsatz das erwünschte Maß an Abschreckung erzielt hat. Die Ruhe wäre wiederhergestellt, die Israels Regierung ihren Bürgern versprochen hat.

Ein Sturz der Hamas erscheint zu gefährlich

Doch wie lange kann eine solche Lösung halten? Nach dem Kriegsende Anfang 2009 währte die Ruhe knapp vier Jahre - dann kam der nächste Waffengang, und anderthalb Jahre später schon wieder der nächste. Befriedigend ist das für niemanden. Es liegt also auch im israelischen Interesse, selbst nach einer im Alleingang verkündeten Waffenruhe zu einer längerfristigen Lösung zu kommen. Dazu ist Diplomatie vonnöten. Die Vermittler von Kairo bis nach Washington könnten also doch noch zum Zuge kommen.

Premierminister Netanjahu selbst hat eingeräumt, dass der Gazastreifen "soziale und wirtschaftliche Erleichterungen" bräuchte. Die Voraussetzung dazu allerdings ist eine Aufhebung, zumindest aber eine Lockerung der israelischen Blockade - und die gibt es nicht umsonst. Der von Israel festgesetzte Preis dafür ist die Demilitarisierung des palästinensischen Küstenstreifens. Das jedoch ist auf dem Verhandlungsweg mit der Hamas gewiss nicht zu vereinbaren, schließlich ist der bewaffnete Widerstand in der DNA dieser Organisation festgeschrieben.

Es bleiben also zwei Optionen: erstens ein Sturz der Hamas. Dies aber erscheint auch Netanjahu als zu gefährlich, weil im dann entstehenden Vakuum noch radikalere Kräfte im Gazastreifen an die Macht kommen könnten.

Vorgezeichnete Pfade zum Frieden

Die Alternative dazu lautet, die Hamas nicht zu stürzen, sondern an die Seite zu drängen - und dies mit internationaler Hilfe und einer neuen Rolle für den im Westjordanland residierenden moderaten Palästinenser-Präsidenten Mahmud Abbas. Dessen Truppen könnten die Grenzen kontrollieren, über die von Israel und Ägypten aus wieder Waren in den Gazastreifen eingeführt werden. Und die internationale Gemeinschaft müsste überwachen, dass die Grenzöffnung nicht zum Waffenschmuggel missbraucht wird. Dem Gazastreifen ginge es dann besser und der Hamas schlechter.

Die Pfade also sind längst vorgezeichnet für einen Ausweg aus dem Krieg. Sie müssten nur endlich begangen werden.

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