Abu-Ghraib-Soldatin Lynndie England:"Rumsfeld wusste alles"

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Die frühere US-Soldatin wurde durch die Missbrauchsfotos von Abu Ghraib bekannt. Nach ihrer Haft spricht sie über die Vorgänge in dem irakischen Gefängnis, zeigt kaum Reue und belastet ihre ehemaligen Dienstherren. mehr ...

Im März 2007 wurde Lynndie England vorzeitig aus der Haft entlassen, nun gibt sie dem Stern ein Interview über die Zustände in dem amerikanischen Gefängnis Abu Ghraib bei Bagdad.

Dieses Foto ging um die Welt: Lynndie England im Gefängnis von Abu Ghraib, in ihrer Linken hält sie eine Leine, an deren Ende ein gequälter irakischer Gefangener festgebunden ist. (Foto: Foto: AFP)

Die heute 25-Jährige sagt, dass ihre Vorgesetzten bis hinauf zum damaligen Verteidigungsminister Donald Rumsfeld sehr wohl von den Missbrauchs-Praktiken wussten: "Wir wussten doch, dass unsere Offiziere davon wussten, auch unsere Sergeants. Wir dachten, wenn unsere Vorgesetzten davon wissen, wissen es auch die ganz oben. Ich bin immer noch davon überzeugt, dass auch Rumsfeld alles wusste. Er war in Abu Ghraib während meiner Zeit. Wie soll er nicht davon gewusst haben? Und Bush? Der steht an der Spitze."

Ihre Kompanie, die 372. Militärpolizei-Einheit, habe nach ihrer Ankunft im Frühherbst 2003 lediglich fortgesetzt, was in Abu Ghraib anscheinend zuvor schon üblich war: "Als wir eintrafen im September waren die Gefangenen schon nackt, sie trugen schon Frauen-Unterwäsche, sie waren schon in Stress-Positionen gebracht worden. Das lief schon eine ganze Weile so in Abu Ghraib, lange vor uns. Wir übernahmen diese Praktiken von unseren Vorgängern", erklärte sie dem Magazin.

Der Missbrauch sei vom Militär und von Geheimdienstlern sogar ausdrücklich abgesegnet worden. "Soften them up", "kocht sie weich", sollen die Männer England zufolge gesagt haben. "Sie gaben genaue Instruktionen über Schlafentzug, Essen oder auch darüber, dass der Gefangene nackt in der Zelle auf dem Boden schlafen solle."

England, die damals gerade 21 Jahre alt war, zeigt in dem Interview nur wenig Reue. Sie habe sich die ganze Zeit "nicht richtig schuldig gefühlt, weil ich Befehlen folgte. Weil ich tat, was ich tun musste."

Gleichwohl war sie sich seinerzeit offenbar schon der schockierenden Wirkung der Bilder bewusst. "Ich dachte, hoffentlich kommen die Fotos nie raus! Die Menschen werden einen anderen Blick auf den Krieg und Amerika kriegen. Und so ist es dann auch passiert."

Die Folgen waren gravierend. "Ich gebe zu, vielleicht habe ich Tausende Menschen getötet, aber nicht direkt. Es war ein Resultat der Fotos. Nachdem das publik wurde, griffen Iraker die Amerikaner und Briten an, und die schlugen zurück, und irgendwann töteten sie sich gegenseitig."

Sie habe vieles, vor allem das Posieren vor den Gefangenen, aus Liebe zu ihrem früheren Freund und Anführer Charles Graner getan, sagt sie in dem Gespräch: "Ich hatte damals schon ein ungutes Gefühl. Aber ich folgte Graner. Ich tat alles, was er wollte. Ich wollte ihn nicht verlieren."

Lynndie England verbüßte 521 Tage ihrer drei Jahre Haft und kam im März 2007 auf Bewährung frei. Sie lebt in Fort Ashby, West Virginia, gemeinsam mit ihren Eltern und ihrem drei Jahre alten Sohn Carter Allan, dessen Vater Charles Graner ist. England ist arbeitslos und noch heute eine Gefangene der Fotos: "Ich kann nirgendwo hingehen, weil mich alle erkennen. Jeder erkennt mein Gesicht und meine Stimme. Ich habe mein Haar gefärbt, aber trotzdem hat mich jeder erkannt. Mich erkennen sie sogar, wenn ich Hut und Sonnenbrille trage."

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