Die USA und der Nahostkonflikt:Eine Kugel, zwei Geschichten

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Eine Gedenkfeier für Shireen Abu Akleh in Bethlehem. (Foto: Mussa Issa Qawasma/Reuters)

Das Projektil, durch das Shireen Abu Akleh starb, wurde "wahrscheinlich" von einem israelischen Soldaten abgefeuert: Wie Washington daran gescheitert ist, die Wogen im Fall der getöteten Journalistin zu glätten.

Von Peter Münch, Tel Aviv

Unvergessen wird sie bleiben: Die Al-Jazeera-Journalistin Shireen Abu Akleh, die vor knapp zwei Monaten in Dschenin erschossen wurde, als sie dort über einen Einsatz der israelischen Armee berichteten wollte, ist auf palästinensischer Seite längst zur Märtyrerin geworden. Doch in Frieden ruhen wird sie nicht, weil die Umstände ihres Todes nun vermutlich den Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern weiter befeuern werden. Daran konnte auch eine nun abgeschlossene Untersuchung des Falls unter Federführung der USA nichts ändern. Ganz im Gegenteil.

Die US-Regierung hatte sich aus zwei Gründen in diesen erbitterten Streit eingeschaltet, in dem die Palästinenser von einem kaltblütigen Mord durch israelische Soldaten sprechen und die Israelis die Möglichkeit offen halten, dass ein palästinischer Schütze für den Tod der Journalistin verantwortlich ist. Grund eins: Die prominente palästinensische TV-Reporterin besaß auch einen amerikanischen Pass, und im Kongress hatten zahlreiche Abgeordnete auf eine Untersuchung der Todesumstände gedrungen. Grund zwei: Washington wollte die Wogen glätten, bevor US-Präsident Joe Biden Mitte nächste Woche Israel und das palästinensische Westjordanland besucht.

Nach einem Anruf von US-Außenminister Antony Blinken hatten die Palästinenser am Wochenende nach langem Ringen zugestimmt, amerikanischen Experten für eine forensische Untersuchung jene Kugel auszuhändigen, die Abu Akleh getötet hat. Die Israelis hatten das stets gefordert, um die Kugel mit den Waffen der in Dschenin eingesetzten Soldaten zu vergleichen. Doch die nun in einem israelischen Institut unter amerikanischer Aufsicht durchgeführte Untersuchung brachte "kein klares Ergebnis", wie ein Sprecher des US-Außenministeriums mitteilte. Die Kugel sei für einen Abgleich zu stark beschädigt gewesen.

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Dennoch urteilten die Washingtoner Experten, dass die Reporterin nach Einbeziehung aller bisherigen Untersuchungsergebnisse "wahrscheinlich" durch Schüsse des israelischen Militärs ums Leben kam. Zu ähnlichen Ergebnissen waren zuvor auch schon verschiedene amerikanische Medien - unter anderem die New York Times, der Fernsehsender CNN und die Nachrichtenagentur AP - sowie die Vereinten Nationen gekommen. In Washington wurde nun betont, dass der tödliche Schuss wohl nicht vorsätzlich abgegeben wurde, sondern "eher das Ergebnis tragischer Umstände" sei.

Womöglich war diese Erklärung aus Washingtoner Sicht der Versuch, auf beide Seiten zuzugehen. In der Praxis ist das gescheitert.

Der Fall soll vor dem Internationalen Strafgerichtshof weiter verfolgt werden

Die Palästinenser zeigen sich zunächst einmal "überrascht" davon, dass die Kugel für zu beschädigt erklärt wurde. Laut Anklagebehörde in Ramallah hätte man durchaus Rückschlüsse auf die Waffe ziehen können. Im palästinensischen Außenministerium spricht man von einem "armseligen Versuch, die Kriminellen und Mörder zu schützen". Ein Sprecher von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas fordert die USA auf, sie müssten, "um ihre Glaubwürdigkeit zu erhalten", die israelische Regierung für die "verbrecherische Tötung" der Journalistin zur Verantwortung ziehen. Angekündigt wurde, den Fall nun vor dem Internationalen Strafgerichtshof weiter zu verfolgen.

Unmut, allerdings weniger offen, gibt es auch auf israelischer Seite. Beklagt wird dort laut Medienberichten, dass Washington einen israelischen Schützen für "wahrscheinlich" erklärt hat. Der neue Premierminister Jair Lapid hat das in seiner Reaktion vielsagend ignoriert und lediglich mitgeteilt, dass nach der jüngsten Untersuchung "nicht festgestellt werde kann, wer für den bedauerlichen Tod der Journalistin Shireen Abu Akleh verantwortlich ist". Klar sei nun lediglich, dass es "keine Absicht" gab, sie zu töten. Verteidigungsminister Benny Gantz ließ wissen, dass die Hauptverantwortung ohnehin bei jenen bewaffneten Palästinensern liege, die sich in dicht besiedelten Gebieten Feuergefechte mit israelischen Soldaten lieferten.

Der Fall dürfte also noch die Gemüter erhitzen, wenn Biden am 13. und 14. Juli nach Jerusalem und Bethlehem kommt. Aus Washington wurden Israelis und Palästinenser nun zwar aufgefordert, bei der weiteren Aufklärung zu kooperieren. Damit jedoch ist kaum zu rechnen, denn die Narrative haben sich auf beiden Seiten längst verfestigt. Israel richtet sich im Zweifel ein, die Palästinenser in ihrer Anklage gegen die israelische Armee.

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