Süddeutsche Zeitung

Abtreibung:Das erste Ultimatum

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Die SPD gibt der Union nur noch bis zum Herbst dieses Jahres Zeit, einer Abschaffung des umstrittenen Paragrafen 219 a zuzustimmen.

Von Henrike Roßbach, Berlin

Die große Koalition ist noch keine sechs Wochen im Amt, da hat schon der eine Koalitionspartner dem anderen ein Ultimatum gestellt. Der eine, das ist in diesem Fall die SPD. Deren Parteivorstand beschloss am Sonntagabend, direkt nach dem Sonderparteitag, der Union nur noch bis zum Herbst Zeit zu geben, einer Abschaffung des Paragrafen 219 a zuzustimmen. Der regelt das bislang gültige Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche - und sorgt seit geraumer Zeit für Spannungen im großkoalitionären Miteinander. Zieht die Union nicht mit, so der SPD-Beschluss, müsse "in Gesprächen mit den reformwilligen Fraktionen" nach einer Lösung gesucht werden, etwa in einem Gruppenantrag, "um eine möglichst breite parlamentarische Mehrheit zu finden". Am Montag hatte schon ein Verbändebündnis den Druck auf die Union erhöht und eine Abschaffung des Paragrafen gefordert.

Ausgangspunkt des Streits ist die Verurteilung der Ärztin Kristina Hänel zu einer Geldstrafe, weil sie auf ihrer Internetseite über Schwangerschaftsabbrüche informiert hatte. "Sexuelle Selbstbestimmung kann nur dann gelebt werden, wenn alle Menschen freien Zugang zu sachlichen Informationen über medizinische Behandlungen haben", heißt es nun in dem SPD-Beschluss. Ein freier Zugang zu sachlichen medizinischen Informationen sei "nicht verhandelbar". Und: Die Suche nach einer parlamentarischen Mehrheit dürfe angesichts weiterer Strafverfahren "nicht auf die lange Bank geschoben werden".

Frauenministerin Franziska Giffey (SPD) betonte am Montag abermals das Recht auf Selbstbestimmung von Frauen, das für sie auch bei einer Schwangerschaft Priorität habe. "Frauen, die ungewollt schwanger sind, befinden sich in einer Ausnahmesituation. Es ist eine der schwierigsten Entscheidungen des Lebens, dann zu entscheiden, das Kind zu bekommen oder nicht." Information, Beratung und Unterstützung dürfe man ihnen nicht verwehren. "Und sie brauchen Ärztinnen und Ärzte, die nicht unter dem Generalverdacht stehen, kriminell zu handeln und sich strafbar zu machen."

Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) allerdings erklärte eine Reform für unnötig. "Wir wollen, dass Frauen in einer schwierigen Konfliktsituation sich gut informieren können. Dieses Ziel ist aus meiner Sicht umfänglich ohne eine Änderung des 219 a zu erreichen", sagte er der Bild-Zeitung. Unionsfraktionsvize Georg Nüßlein (CDU) sagt der Süddeutschen Zeitung, der SPD-Beschluss zeige "einmal mehr, dass unser Koalitionspartner das Gespür dafür verloren hat, was die Menschen wirklich umtreibt". Wichtiger seien etwa Zuwanderung und Sicherheit. Auch in der Gesundheitspolitik rangiere der Paragraf 219 a unter "ferner liefen".

Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD, Eva Högl, dagegen verteidigte ihre Partei. "Wir haben klar benannt, wohin wir bei dem Thema wollen", sagte sie. "Wer jetzt nur versucht Zeit zu schinden, hilft niemandem.Bei einer Gewissensentscheidung könnte die SPD auf die Opposition bauen. "Die Mehrheit für eine Änderung des Paragrafen 219 a im Bundestag ist da", sagte FDP-Fraktionsvize Stephan Thomae. Ulle Schauws, frauenpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, sagte: "Wenn es nach uns ginge, wäre 219a schon längst gestrichen." Bislang hält die SPD-Fraktion ihren Antrag aus Rücksicht auf die Union noch zurück.

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SZ vom 24.04.2018
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